Sonntag, März 29, 2009

Kampagne in Rumänien: "Zigeuner" statt "Roma"

"Nachkommen der Römer" gegen Roma
Eine Kampagne in Rumänien fordert, die Roma nur noch Zigeuner zu nennen, weil sonst die Italiener dächten, alle Rumänen seien Roma und demnach kriminell. Reale und virtuelle Stammtische zeigen sich begeistert

BERLIN taz - Vor einigen Tagen veröffentlichte die Bukarester Zeitung Jurnalul Naţional den Vorschlag, im öffentlichen Sprachgebrauch nur noch den Begriff "Zigeuner" zu benutzen und auf die Bezeichnung "Roma" gänzlich zu verzichten. Die Anregung löste erwartungsgemäß einen Beifallssturm aus. Der virtuelle Stammtisch schwärmte von diesem Vorstoß und lobte die Zeitungsmacher im Internet als ausgesprochen mutig, prorumänisch und patriotisch.
Die Zeitung begründete ihren Vorschlag mit dem Hinweis, im Ausland verwechsele man Rumänen mit Roma. Diese Verwechslung, hieß es weiter, komme wegen der ähnlich klingenden Bezeichnungen zustande und füge dem Ansehen der Rumänen in der Welt einen ungeheuren Schaden zu. Sie besudele darüber hinaus das Image des Landes.
Ausgangspunkt der jüngsten Umbenennungskampagne waren einige kriminelle Vorkommnisse in Italien, in die rumänische Staatsbürger verwickelt waren, die angeblich der Romaminderheit angehören. In hunderten Leserzuschriften, die das Blatt auf seiner Internetseite veröffentlichte, aber auch in mehreren rechtsradikalen Blogs äußerten die Befürworter der Umbenennung die Meinung, die Italiener glaubten, Rumänien sei ausschließlich von Roma besiedelt. Dieser Zustand müsse beendet und der internationalen Öffentlichkeit gezeigt werden, dass die Rumänen eigentlich Nachkommen der Römer seien und überhaupt nichts mit den im Mittelalter aus Indien eingewanderten Zigeunern zu tun hätten. Als diesen nach dem Untergang des kommunistischen Regimes 1990 offiziell der Status einer nationalen Minderheit zuerkannt worden war, hätten sie absichtlich die Volksbezeichnung "Roma" durchgesetzt, um die Unterschiede zwischen Zigeunern und Rumänen zu verwischen.
Diese Debatte ist nicht neu. Und auch der Widerstand rumänischer Nationalisten gegen die Bezeichnung "Roma" tobt seit fast zwanzig Jahren. Nachdem Bukarest dem Druck europäischer Gremien nachgegeben und versprochen hatte, die diskriminierende Bezeichnung "Zigeuner" aus dem offiziellen Sprachgebrauch zu tilgen und durch den von der Minderheit vorgeschlagenen Namen "Roma" zu ersetzen, gingen die völkischen Puristen auf die Barrikaden. Mit dem Argument, jegliche Verwechslung - auch orthografischer Art - von Roma und Rumänen unterbinden zu wollen, setzten sie sich letztendlich durch. Ihr Vorschlag, das Wort "Roma" mit zwei Rr (Rroma) zu schreiben, wurde dankend angenommen. Mit der Wiedereinführung der Bezeichnung "Zigeuner" soll nun auch dem Spuk dieses linguistischen Monsters ein Ende bereitet werden.
Ausgerechnet Silviu Prigoană, ein Abgeordneter der Liberaldemokratischen Partei (PDL), die dem Staatspräsidenten nahesteht, erklärte nun, die Kampagne der Zeitung aktiv unterstützen zu wollen. Der Medienmogul und Parlamentarier kündigte am 18. März an, er werde einen Gesetzentwurf vorbereiten, der die Abschaffung des Begriffs "Roma" zum Inhalt hat. Dies auch deshalb, weil dieser Begriff, wie er sich ausdrückte, "schlecht klinge". Alexandru Florian, der Geschäftsführer des Elie-Wiesel-Instituts zur Erforschung des rumänischen Holocaust, betrachtet diese Kampagne mit großer Skepsis und sieht darin einen "rassistischen Ansatz". "Diese Kampagne", erklärte er gegenüber der taz, "ist undemokratisch, diskriminierend und unrealistisch. Die Initiative erinnert an die Periode des Holocaust, den einzigen Zeitabschnitt in der modernen Geschichte der Menschheit, als faschistische Regime aufgrund von religiösen und rassischen Merkmalen gesetzlich bindende Hierarchien entwarfen, um Menschen in gute und schlechte, in nützliche und unnütze Geschöpfe einzuteilen."
WILLIAM TOTOK


aus taz: 28. 3.2009
http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=au&dig=2009%2F03%2F28%2Fa0105&cHash=8f8ce5243d

Lesen oder hören Sie zum gleichen Thema auch den Artikel: Romi, rromi sau ţigani?

http://www.europalibera.org/content/article/1516345.html

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11. 1. 2013

Autonome Nationalisten plädieren für die Sterilisierung der Romafrauen in Rumänien


William Totok

In einer gemeinsamen Presseerklärung haben das Landesinstitut für das Studium des Holocaust in Rumänien „Elie Wiesel“, die Roma-Menschenrechtsorganisation „Romani Criss“ und das Zentrum für die Bekämpfung des Antisemitismus (MCA) einen Aufruf der Autonomen Nationalisten zur Sterilisierung von Romafrauen vehement verurteilt. In dem Dokument der drei Organisationen wird auf die Gefahr des aufflammenden Rechtsextremismus aufmerksam gemacht und dessen Unvereinbarkeit mit den fundamentalen Prinzipien einer demokratischen Rechtsordnung, der sich auch das EU-Land Rumänien verschrieben hat. „Die Sterilisierung von Frauen, die einer bestimmten ethnischen Gruppe angehören ist ein schwerwiegender Angriff auf die Mitglieder dieser Gruppe und auf die Gesellschaft als Ganzes, unabhängig von der Art wie dies propagiert wird“, heißt es in der Erklärung, die von der rumänischen Presse weitgehend ignoriert wurde.
Auf der Nachrichtenseite des Fernsehsenders România TV (RTV), wo de Vorfall in einer knappen Zusammenfassung wiedergegeben wurde, reagierten einige Leser mit Sprüchen, die zum Standardrepertoire rumänischer Rechtsextremisten gehören: „Nicht sterilisieren, sondern vergasen soll man sie,“ schrieb ein sich hinter einem Pseudonym versteckter Leser. Ein anderer fügte hinzu: „Wenn sie sich widersetzen, soll man sie durch Kopfschüsse erledigen“. „Ich bin bereit eine Einsatzgruppe zu gründen, um die Hinrichtungen durchzuführen“, ergänzte unwidersprochen ein weiterer Leser.
Die Stellungnahme der drei Organisationen ist eine erste Reaktion auf die Agitation einer seit rund fünf Jahren in Erscheinung getretenen Gruppierung, die sich selber als NAT88, d.h. „Autonome Nationalisten aus Temeswar, Heil Hitler“, bezeichnet. Der Aufruf, in dem jeder Roma-Frau eine Belohnung von 300 Lei (rund 70 Euro) versprochen wird, wenn sie einen von einem Arzt beglaubigten Sterilisierungsnachweis vorzeigt, ist eine indirekte Reaktion auf den publizistischen Vorstoß des ungarischen Politikers Zsolt Bayer. Der Freund des ungarischen Premiers Viktor Orbán, Bayer hatte am Anfang dieser Woche in einem in der Budapester Zeitung „Magyar Hírlap“ veröffentlichten rassistischen Leitartikel die „Endlösung“ der „Zigeunerfrage“ gefordert. Dies stieß innerhalb der europäischen rechtsextremen Szene auf Beifall und hatte auch die in der westrumänischen Stadt Timisoara, deutsch Temeswar, konspirativ agierenden Autonomen Nationalisten zu ihrem provozierenden Sterilisierungsvorschlag inspiriert. Ganz wie die militanten Gegner in anderen osteuropäischen Ländern begründen auch die Autonomen Nationalisten aus Rumänien ihre romafeindliche Haltung mit „gewalttätigen Angriffen der Zigeuner“ auf die Mehrheitsbevölkerung. In der westrumänischen Stadt Temeswar wurde die Anti-Roma-Stimmung in den letzten Jahren zusätzlich durch undurchsichtige Immobilienspekulationen angeheizt. Rechtsextremisten beschuldigen wohlhabende Roma, sich historisch wertvolle Immobilien angeeignet und die rumänischen Mieter vertrieben zu haben. Die für ihre antiziganistische Politik bekannte radikale Organisation „Neue Rechte“ (Noua Dreapta) organisiert regelmäßig Protestdemonstrationen gegen die „Immobilienmafia“, wie es verbal verschleiert in ihren Aufrufen heißt.
Die rumänischen Autonomen Nationalisten unterstützen wohl diese Aktionen, plädieren jedoch auf ihren Internetseiten für radikalere Lösungen der „Zigeunerfrage“, nicht zuletzt für gewaltsame Überfälle und Angriffe auf Roma.
In Rumänien leben laut offiziellen Angaben über 600.000 Roma. Nach inoffiziellen Schätzungen sind es aber mehr als 2 Millionen. Diskriminierungen der Roma haben in den letzten Jahren immer wieder für internationale Schlagzeilen gesorgt. Im ersten Jahrzehnt nach der Wende kam es in etlichen Ortschaften wiederholt zu pogromartigen Überfällen.
Die „Autonomen Nationalisten Temeswar 88“ sind vorwiegend in Temeswar in Erscheinung getreten. Es handelt sich - ähnlich wie in Deutschland - um Jugendliche, im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, die sich vom traditionellen rechtsextremen Spektrum wie der erwähnten „Neuen Rechten“ (Noua Dreapta) abgrenzen. Einige ihrer Aktivisten haben inzwischen auch in weiteren rumänischen Städten Anhänger gefunden und lokale Filialen gegründet.
Zu den ideologischen Vorbildern der rumänischen National-Autonomen gehören nicht nur Nazis wie Goebbels, sondern auch der zum Volkshelden und Symbol des bewaffneten antikommunistischen Widerstands hochstilisierte Freischärler, Ion Gavrilă Ogoranu. Dieser war ein Anhänger der rumänischen faschistischen Jugendbewegung (Frăţia de Cruce – Kreuzbruderschaft), ging in den 1950-er Jahren in den Untergrund und schloss sich bewaffneten Partisanenverbänden an. Nach der Wende tauchte der 2006 verstorbene Ogoranu als Gründungsmitglied der rechtsextremen „Partei für das Vaterland“ (Partidul pentru Patrie - PPP) wieder in der Öffentlichkeit auf.
In einem Artikel in der „Schwarzen Fahne“, einem Organ deutscher Autonomer Nationalisten, präsentieren sich ihre rumänischen Gesinnungsfreunde als Fortsetzer der in der Zwischenkriegszeit gegründeten Faschistengruppierung „Legion des Erzengels Michael“, deren Ideale sie verkörpern und fortführen würden: Antisemitismus, Antikommunismus, Bekämpfung des demokratischen Parteiensystems mit dem Ziel, einen neuen Menschen zu schaffen. 

Siehe auch die Kurzfassung: 70 Euro für eine Sterilisation, in: taz-online, 11.1. 2013 und in der Printausgabe, Belohnung für Sterilisation, in: taz, 12./13. 1. 2013, S. 8

Über die Gruppierung "Autonome Nationalisten" (NAT88) und deren Unterstützung für die Temeswarer Kandidaten der rechtsextremen "Partei für das Vaterland" (Partidul pentru Patrie - PPP - deren Umbennennung in "Partidul Totul pentru Ţară" – PTŢ - Partei für das Vaterland von der Justitz abgewiesen wurde) bei den Lokalwahlen 2012 siehe auch: William Totok, „Radikal, militant, nationalistisch und christlich-orthodox“. Rechtsextremismus in Rumänien, in: Ost-West Europäische Perspektiven, 13. Jg., Heft 3, 2012, S. 218-224 [Schwerpunkt: Rechtsextremismus in Mittel- und Osteuropa]



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taz, 21.1. 20
Rassismus in Rumänien
Gebärverbot für Roma
Der Vorschlag eines Bürgermeisters löst Zustimmung, aber auch Protestkundgebungen aus. Auf ihnen wird der Rücktritt des Stadtoberen gefordert.

William Totok

BERLIN taz | Menschen ohne festen Arbeitsplatz und festes Einkommen, die keine abgeschlossene Ausbildung haben, müsse man gesetzlich verbieten, Kinder in die Welt setzen. Diese Vorschläge formulierte allen Ernstes der Bürgermeister der rumänischen Stadt Târgu Mureş, Dorin Florea. Seine auf Facebook veröffentlichten Ansichten lösten eine Flut zustimmender Kommentare, aber auch ablehnende Reaktionen aus.

Es war sonnenklar, dass Florea mit seinem umstrittenen Vorstoß seinen Blick auf die Minderheit der Roma gerichtet hatte, von der Nationalisten seit Jahren behaupten, sie sei eine demografische Gefahr.

Seit dem Untergang des national-kommunistischen Regimes vor dreißig Jahren wird von nationalistischen Kreisen die populistische Mär von der bevorstehenden Überfremdung der Mehrheitsbevölkerung durch die Roma verbreitet. Vorschläge zur Eindämmung der sogenannten „Romagefahr“ formulierten im Laufe der Jahrzehnte sowohl Politiker als auch einzelne politische Gruppierungen.

In den 90er-Jahren forderte eine rechtsradikale Partei die Errichtung von Gettos. Die „Autonomen Nationalisten Heil Hitler“ schlugen die Sterilisierung von Romafrauen vor.

Orden aberkennen
Gegen den Vorstoß des Bürgermeisters Florea protestierten am vergangenen Freitag in Târgu Mureş zahlreiche Menschen, die dem Aufruf der Roma-Organisation Plattform Aresel gefolgt waren. Sie forderten Floreas Rücktritt, dessen Vorschläge sie als rassistisch und menschenfeindlich bezeichneten.

In einem am Montag veröffentlichten Brief an den rumänischen Präsidenten Klaus Johannis forderte Plattform Aresel, Florea den hohen Orden abzuerkennen, den er 2011 für „besondere Verdienste“ vom damaligen Staatschef Traian Băsescu erhalten hatte.

Der Bürgermeister reagierte störrisch und erklärte erneut auf Facebook, er werde kein Jota aus seinen Anregungen streichen. Einer seiner Berater leistete ihm Schützenhilfe und sprach von einem Referendum, in dem sich die Bewohner der Stadt für oder gegen die Vorschläge des Bürgermeisters äußern könnten.

Eine von einer Bukarester Publikation durchgeführte, nicht repräsentative, Leserumfrage ergab, dass fast 50 Prozent der Teilnehmer, die Auffassungen des Bürgermeisters teilen.

Bevorzugte Zielscheibe
Die Mitbegründerin und -vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation Liga Pro Europa, Smaranda Enache, die am vergangenen Freitag an dem Protest gegen den Bürgermeister teilgenommen hatte, bezeichnete die Äußerungen Floreas als „aggressiv“ und als „Verstöße gegen die in der rumänischen Verfassung verankerten Menschenrechte“.

In einer der taz vorliegenden Erklärung schilderte sie die Laufbahn des seit dem Jahr 2000 amtierenden Bürgermeisters, der Mitglied mehrerer Parteien war und dessen „bevorzugte Zielscheibe“ von Anfang an die Roma-Minderheit gewesen sei.

Enache erinnerte auch an dessen Versuch, in Târgu Mureş 2004 eine Straße nach dem militär-faschistischen Diktator und Verbündeten Hitlers Ion Antonescu zu benennen. Das Regime Antonescus ist für die Ermordung von über 380.000 Juden und über 11.000 Roma verantwortlich. Nach Protesten und Gerichtsverfahren wurde die Straßenumbenennung gestoppt.

https://taz.de/Rassismus-in-Rumaenien/!5655801/
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William Totok, Romi, rromi sau ţigani?, RFE, 25.3. 2009 
id., Herder lebt, in: taz, 22.9. 2010
id., Die Roma sollen eingemauert werden, in: taz, 7.7. 2011
id., Im Geiste Draculas, in: taz, 26.7.2011
id., Primitiver Rassismus im Wörterbuch und Kommentar: Sozialismus der dummen Kerls, in: taz, 13. 8. 2011
id., Die Auferstehung der braunen Ungeheuer, in: taz, 11.1.2011
id. Cine sunt Naţionaliştii Autonomi din Timişoara?, RFI, 14.1. 2013
id. Modelele Naţionaliştilor Autonomi, RFE, 16. 1. 2013
id. Autonome Nationalisten fordern..., haGalil, 6.2. 2013 

Petre Florin Manole, O situaţie rasistă la Primăria Alba Iulia, in: Adevărul, 8.4. 2016

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19.4. 2018



Marin, Manuela (ed.), Romii și regimul comunist din România. Marginalizare, integrare și opoziție, 2. vol. Editura MEGA, Cluj‑Napoca, 2017




Aktualisiert - actualizat: 6.5. 2021, 12:03 h 
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