[1980. „Der mysteriöse Tod des Hans Blaßmann“]
[1980. „Moartea misterioasă a lui Hans Blaßmann“]
Der mysteriöse Tod des Hans Blaßmann
Tonband: „Am 1. 3. 1944 trat ich nach zweijährigem freiwilligen Fronteinsatz meinen Dienst in der Banatia wieder an. Ich unterrichtete am Gymnasium und an der Handelsschule. Nach dem Unterricht fuhr ich in meine Wohnung in der Gärtnergasse in der Vorstadt Fabrik und arbeitete an meinem Roman ,Die Letzten von Schulzenfeld'. Angebote von Komanschek auf eine leitende Funktion in der Kulturabteilung des Kreises Temeschwar schlug ich ebenso aus wie den Antrag des Gauleiters Hans Jung zwei Jahre vorher.
Eines Tages kam Paul Kindl, Direktor der Banatia, in der großen Pause ins Professorenzimmer und bat mich, im Auto mitzufahren, um meinen Lenauheimer Landsmann und Nachbarn Hans Blaßmann zu verständigen, daß sein elfjähriger Sohn Erich, Heimschüler, schwer erkrankt sei. Kindl hatte erfahren, daß Blaßmann, den er persönlich nicht kannte, sich im Gasthof ,Spieluhr' aufhalte. Dort angekommen, machte ich Blaßmann mit Kindl bekannt, der ihm gleich die Erkrankung seines Sohnes mitteilte. Blaßmann fuhr mit in die Banatia. Ich stieg an der Ecke der Schwabengasse aus und eilte ins Gymnasium, denn die Pause war vorüber. Erst am nächsten oder übernächsten Tag erfuhr ich von dem Heimschüler Hans Christof, einem Landsmann aus Lenauheim, daß Blaßmann verhaftet worden war. Ein paar Tage danach war Schulschluß. Ich fuhr zu meiner Familie nach Lenauheim.
Dort wurde an einem der nächsten Tage Hans Blaßmann begraben. Es war ein Parteibegräbnis mit großen Reden. Blaßmann war früher Ortsgruppenleiter gewesen. Nach dem Begräbnis kamen seine Frau und seine Mutter zu mir, in ihrem Leid kaum fähig, ein Wort zu sprechen, Sie beschworen mich, ihnen alles zu sagen, was ich über seinen Tod wüßte. Ich erzählte ihnen, was ich eben geschildert habe. Sie wußten, daß Hans in der Banatia gestorben war, daß man seine Leiche aber nach Werschetz gebracht hatte. Sie sagten: ,Unser Hans ist umgebracht worden!' Sie waren mit einem Telegramm aus Werschetz verständigt worden, den Leichnam dort abzuholen. Dort sagte man dem Vater des Toten, dem Altbauern Dorninik Blaßmann, Hans habe sich in der SS-Kaserne in Werschetz erhängt. Er glaubte es nicht und ging der Sache in Werschetz nach. Der Leichnam war in der Nacht nach Werschetz gebracht worden und sollte der SS-Einheit übergeben werden, bei der Hans gedient und Urlaub erhalten.hatte. Sein Unteroffizier wies das Ansinnen, den Leichnam zu übernehmen, empört zurück. Darauf wurde der Leichnam in einer Friedhofgruft abgelegt. Die Besitzerin der Gruft, die Hans Blaßmann kannte, hatte dann das Telegramm an seine Angehörigen in Lenauheim geschickt. Diese Zusammenhänge konnte Dominik Blaßmann in Werschetz klären. Aber niemand wußte, wie er ums Leben gekommen war und wer den Leichnam nach Werschetz gebracht hatte. Kurz nach dem Begräbnis traf die Familie Blaßmann ein weiterer schwerer Schlag: Karl, der mittlere der drei Brüder Blaßmann, war an der Front gefallen. Das schlug den Vater vollends nieder; er fiel in Wahnsinn. Noch jahrelang nachher ging er durch die Gassen und rief nach dem Mörder seines Sohnes.“
Kindls Stellvertreter in der Banatia war damals Viktor Stürmer. In München sagte er aus, Hans Blaßmann sei von Kindl als Deserteur verhaftet worden. Aber die Ortskommandantur der Deutschen Wehrmacht habe es abgelehnt, ihn zu übernehmen. Man habe ihn ein paar Tage lang in einem Zimmer des obersten Stockes der Banatia inhaftiert. Eines Morgens, als ihm die Magd Katti Burger das Frühstück brachte und die Tür öffnete, sah sie ihn am Fensterkreuz hängen. Sie stieß einen Schrei aus, mehrere Schüler eilten hinzu und sahen den Leichnam dort hängen.
Dazu meine Bemerkung: Daß die Magd und die Schüler ihn dort hängen sahen, ist ein Beweis, daß er dort hing, aber noch kein Beweis, daß er sich selbst erhängte. Zweitens: Hatte man der Magd den Schlüssel zum Gefängnis eines Deserteurs, dem die Todesstrafe drohte, anvertraut?
Aussage Nikolaus Engelmann: Paul Kindl ließ nach der Verhaftung des Hans Blaßmann die gesamte Heimschülerschaft im Hof antreten (250-300), rief den kleinen Erich Blaßmann vor die Front, donnerte ihn an und erging sich in so deutlichen Anspielungen auf den Deserteur und dessen zu erwartende Strafe, daß jeder Schüler wußte, wer gemeint war.
Dr. Michael Kappes, jetzt Gerchsheim bei Tauberbischofsheim, hatte bereits früher ausgesagt, er sei mit anderen Angehörigen der Deutschen Mannschaft zur Bewachung des Deserteurs und zu lauten, drohenden Zwiegesprächen vor der Tür befohlen worden, so daß Blaßmann es hören mußte. (Kindl und Kappes waren bei dieser Tagung in München nicht anwesend.) Hans Blaßmann hatte sich während seines Urlaubs von der Waffen-SS in Werschetz, weil sie dort untätig herumlagen, bei seiner früheren rumänischen Einheit, dem 5. Jägerregiment in Temeschwar, gemeldet, um dort seinem Wehrdienst zu genügen. Er berief sich dabei auf das Abkommen zwischen der rumänischen Regierung und dem Reich, wonach die wehrfähigen Männer der deutschen Volksgruppe als Freiwillige in die Waffen-SS übernommen werden konnten. Dazu schreibt Hans Hartl: „Schon ehe präzise Abmachungen getroffen waren, wurde mit der Musterung begonnen, um eventuelle Einschränkungen seitens der Rumänen von vornherein zu durchkreuzen. Alle wehrfähigen deutschen Männer von 18 bis 45 Jahren erhielten von den Dienststellen der Volksgruppe den Auftrag, sich zur Musterung zu stellen ... Der rumänische Staat gab lediglich sein Einverständnis dafür, daß die wehrfähigen Mariner der deutschen Volksgruppe freiwillig der Waffen-SS beitreten konnten und zu diesem Zweck von den rumänischen Militärbehörden ,abkommandiert' wurden. Die Volksgruppenführung veranstaltete eine Versammlungswelle, in der Redner erklärten: ,Das Reich ist in Gefahr, wir zögern nicht, seinem Ruf Folge zu leisten. Wer sich hinter juristischen Spitzfindigkeiten verschanz, ist entweder ein Feigling oder er zweifelt am deutschen Endsieg!' Damit war jede vernünftige Erörterung der sich aus der Einrückung in die Waffen-SS ergebenden Rechtsfragen rücksichtslos abgeschnitten. Jeder wehrfähige Mann war sozusagen am Portepee seiner nationalen Gesinnung gepackt. Und es gab kaum einen, der sich der Schande aussetzen wollte, als ,Drückeberger' zu gelten.“ Hans Blaßmann galt den SD-Kommissaren als solcher. Ich (Tonband): „Kindl hatte sich in Lenauheim bereits früher unrühmlich bekanntgemacht. Im Sommer 1942 kam er in das Haus des Peter Kleemann, dessen Sohn einer der Verweigerer war, und zwang ihn, das Versteck des Sohnes zu verraten. Dann ohrfeigte er den Verweigerer vor den Augen des Vaters und drohte ihm mit dem Erschießen, falls er sich nicht zur SS melden würde. Mit Anweisungen an die örtlichen Parteifunktionäre klang sein Besuch aus. Am Abend zog ein Rollkommando unter Führung des Ortsgruppenleiters Franz Hirt vor die Häuser der Verweigerer. Sie schlugen die Fenster ein, warfen Ziegelsteine in die Zimmer und beschmierten die Hausgiebel. Von den Verweigerern in Lenauheim sind einige trotz Drohungen nicht zur Waffen-SS eingerückt, unter ihnen Peter Kleemann, Franz Altrnayer und Karl Bohn, der Sohn des bereits Genannten. Sie meldeten sich zum Wehrdienst in der rumänischen Armee.“
Hinweis für Historiker und Forscher: Die hier enthaltenen Aussagen zu den drei auf das Programm der Tagung gesetzten Ereignissen können mit dem Tonband der AG im Besitz von Cloos verglichen werden.“
Hans Wolfram Hockl, Offene Karten. Dokumente zur Geschichte der Deutschen in Rumänien. 1930-1980 (Cu cărţile deschise. Documente privind istoria germanilor din România 1930-1980), Linz 1980, S. 72-74.
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