Dienstag, September 25, 2012

Bewältigung, Gedächtnis, Authentizität




Diese Seite aktualisiert, 6.1. 2013, 18:50 h 

In derHalbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, 24. Jg., Heft 1-2, 2012
ISSN: 0939-3420 

Thema: Bewältigung, Gedächtnis, Authentizität
Aus dem Inhalt: 
Michaela Nowotnick: „95 Jahre Haft“.
Kronstädter Schriftstellerprozess 1959: Darstellungsformen und Deutungsmuster der Aufarbeitung 
William Totok: Empathie für alle Opfer. Eginald Schlattner, ein Leben in Zeiten diktatorischer Herrschaft

Stefano Bottoni: „Freundschaftliche Zusammenarbeit“. Die Beziehungen der Staatssicherheitsdienste Ungarns und Rumäniens 1945 bis 1982

Björn Opfer-Klinger: Die turbulenten Anfangsjahre Albaniens. Ein ungewollter Staat wird 100 Jahre alt 

Boris Blahak: Hanuš Kuffners Propagandaschrift ,Náš stát a světový mír‘ (1918) in der völkisch-deutschnationalen Rezeption der 1920er und 1930er Jahre

Joachim Kuropka: 'Geschichte von unten' bringt neue Erkenntnisse – auch in Polen

Johann Böhm: Wie erklärt sich der Machtanspruch der Serben auf Kosovo?

Karl-Heinz Gräfe: Die völkisch-faschistische und extrem nationalistische Rechte Russlands

Elena-Irina Macovei: Ein Analysemodell für eine Soziologie des Internets. Dargestellt am Beispiel des Internetforums der rumänischen Tageszeitung „Adevărul”

Ernest Wichner: „Der Ausdruck, den wir den Dingen geben“

Johann Lippet: „Wir werden wie im Märchen sterben“. Streiflichter zur Temeswarer Literaturszene: die „Aktionsgruppe Banat (1972-1975) und der „Adam Müller-Guttenbrunn“ Literaturkreis in der Zeitspanne 1977-1984 

Joachim Wittstock: Nächstes Jahr in Jerusalem. Ein Reisebericht

Georg Trakl, Viorel Mureşan: Gedichte

Klaus Popa, Johann Böhm: Gestörtes Geschichts- und Kulturverständnis. Zu: „Das Südostdeutsche Kulturwerk und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter. Rückschau und Bilanz“ von Johann Adam Stupp





Textprobe 1: 


„Freundschaftliche Zusammenarbeit“:
Die Beziehungen der Staatssicherheitsdienste Ungarns und Rumäniens 1945 bis 1982 

Von Stefano Bottoni

Die internationalen Rahmenbedingungen

Die vorliegende Studie rekonstruiert einen wichtigen Aspekt der ungarisch-rumänischen Beziehungen: die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der inneren Angelegenheiten und der Staatssicherheitsdienste.  Die Ausgestaltung dieser Zusammenarbeit hing über Jahrzehnte hinweg wesentlich vom Einfluss der Sowjetunion ab, die sich nicht nur als Verbündete der beiden sozialistischen Staaten verstand, sondern ihnen gegenüber auch eine gewisse Vorherrschaft beanspruchte. Bekanntlich führte die Entstehung des sowjetisch dominierten Ostblocks nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer engeren Zusammenarbeit auch der Staatssicherheitsdienste dieser Länder. Einige von ihnen hatten es jedoch seit 1918, also auch zu Friedenszeiten, als lebenswichtige Aufgabe betrachtet, gegeneinander Abwehr- und Aufklärungsarbeit zu betreiben. Diese Vorgeschichte ging beispielsweise der späteren Zusammenarbeit der ungarischen und rumänischen sowie der ungarischen und tschechoslowakischen Geheimdienste voraus.
Wenn man untersucht, wie der ungarische Staatssozialismus die Minderheitenfrage handhabte, kann man dies in einem breiteren Rahmen tun, der über den engen Ausschnitt der Beziehungen auf bilateraler Partei- und Staatsebene hinausgeht: Eine genauere Kenntnis der Beziehungen zwischen den Sicherheitsbehörden (dazu zählen neben den Staatssicherheitsdiensten beispielsweise auch Polizei, Armee und Grenzwachen) sozialistischer Staaten verhilft dazu, das Verhältnis der ungarischen Volksrepublik zu den außerhalb der Staatsgrenzen lebenden Ungarn besser zu verstehen. Neueste internationale Forschungen verweisen für Polen, die Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien auf eine überraschende Kontinuität im Umgang mit der Minderheitenfrage. Diese Kontinuität erstreckt sich von der oftmals rechtsorientierten nationalistischen Politik seit den 1920er-Jahren bis zu der offiziell internationalistischen Politik nach 1945. Letztere war in der Praxis jedoch häufig an einer Politik der nationalen Interessen ausgerichtet. Darüber hinaus wies sie oft, versteckt oder offen, deutschfeindliche, antisemitische oder auch ungarn-feindliche Charakteristika auf.  All das überrascht nicht, wenn man von der Annahme ausgeht, dass die sozialistische Staatengemeinschaft nach Stalins Tod 1953 grundsätzlich aus Nationalstaaten bestand, die zunehmend ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen verfolgten und bemüht waren, den der Sowjetunion abgerungenen Hand-lungsspielraum maximal zu nutzen.
In welchem formalen und informellen Rahmen arbeiteten die Staatssicherheitsdienste der Region zusammen, und inwieweit war die Kooperation erfolgreich und reibungslos?
(...)

(Weiter in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift

Bestellungen sind an den AGK-Verlag, Franzstr. 27, D-49413 Dinklage, Tel. 04443/91212; Fax: 04443/91213; oder an jede Buchhandlung zu richten.
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Textprobe 2: 


Nächstes Jahr in Jerusalem
Ein Reisebericht

Von Joachim Wittstock

(...)

Jerusalem

Damit sind wir aber auch schon mitten in unserem Auftritt in der Stadt auf den Bergen. Die Worte des Psalmisten „Unsere Füße stehen in deinen Toren, Jerusalem“ verstanden wir so, möglichst oft in die Innenstadt zu gelangen, bald durch das Jaffator, dann wieder durch das Kettentor oder das Damaskustor.
Bei unseren Gängen durch die einzelnen Viertel wurden wir bisweilen an den Psalm-Wunsch erinnert: „Es möge Friede sein in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen!“ Marc hatte uns vor Tagen ein Gebetbuch mit deutschen Übersetzungen des hebräischen Textes gegeben, und der dortige Wortlaut des Psalms verdeutlichte uns die Lutherdeutsche Aussage: „Möge Friede sein in deinem Zwinger, Sicherheit in deinen Palästen!“
Das Stigma am Bein – berührte die mit Stein versehene Ferse das glattgetretenen Pflaster, erhielt mein Schritt eine harte Betonung. Meist aber wurde dieser lautliche Zusatz überdeckt von den vielen Geräuschen, verursacht von den Besucherströmen, von Fahrtlärm und so manchem anderem. Besonders in den engen Gässchen mit ihren zahllosen Verkaufsläden verschwand Einzelmenschliches im Allgemeinen.
Doch fehlte es in diesem Getöse der Geschäftigkeit nicht an charakteristischen Äußerungen, die sich deutlich vom Hintergrundgeräusch abhoben. Die Händler sprachen uns an, wir vernahmen auch manchen deutschen Zuruf: … Ich habe unglaublich viel… Kaschmirs, Tücher… Salem aleikum, kuck mal, komm… Guten Tag, dies ist mein Shop… Kommen, sehen, alter Fuchs… Schalom, du willst nicht kaufen? Keine Zeit? Kein Geld? Was machst du? Von wo bist du?… Schalom Sabbath…
(...)

(Weiter in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift


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Textprobe 3: 


Die turbulenten Anfangsjahre Albaniens 
Ein ungewollter Staat wird 100 Jahre alt

Von Björn Opfer-Klinger

Eine bunte Gruppe gesetzter albanischer Männer war in der Hafenstadt Vlorë zusammengekommen: Schriftsteller und Großgrundbesitzer, Bandenführer und Kaufleute, manch ein ehemaliger osmanischer Beamter. Sie waren sich nicht in allen Fragen einig, doch sie wussten, dass ihnen die Zeit davonlief. So trat schließlich eine kleine Delegation von ihnen auf den Balkon des kleinen Versammlungsgebäudes, und der Publizist Ismail Qemali Bej Vlora (1844-1919) verkündete vor der dort zusammengelaufenen großen Menschenmenge: „Ab heute ist Albanien eigenständig, frei und unabhängig!“  Wenig später hissten sie die Doppeladler-Flagge des mythisierten mittelalterlichen Nationalhelden Skanderbeg. Auch wenn die Frage eines eigenen albanischen Staates zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als eine Proklamation mitten im blutigen Geschehen des Balkankrieges war, kann sie nunmehr endgültig auf die Agenda der internationalen Politik. Dieses Ereignis liegt nun 100 Jahre zurück.
Das heutige Albanien tut sich schwer mit seiner eigenen staatlichen und nationalen Geschichte: In welchen historischen Traditionslinien will sich der albanische Staat, knapp 20 Jahre nach Ende der kommunistischen Diktatur, verstanden wissen? Noch immer ist das Erinnern und das Aufarbeiten der eigenen Geschichte in Albanien ein schwieriges Unterfangen. Der Fokus der albanischen Geschichtswissenschaft ist eher auf die Antike und den angeblichen illyrischen Ursprung des albanischen Volkes gerichtet als auf die jüngere Vergangenheit. Besonders die sozialistische Zeit ist noch heute stark tabuisiert und eher Teil der politischen Grabenkämpfe der beiden großen Parteienlager  als Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Forschung. Dies hat insofern Tradition, als dass die Jahre vor und während des Ersten Weltkriegs sich wenig für die kommunistische Geschichtserzählung geeignet hatten und somit neben dem Partisanenkampf im Zweiten Weltkrieg in erster Linie zu früheren Epochen gearbeitet worden war. Entsprechend rar waren und sind die Studien albanischer Wissenschaftler zu den Jahren nach 1912.  Dabei darf nicht vergessen werden, dass die wissenschaftliche Elite des Landes zahlenmäßig sehr klein ist. Erst 1957 war die erste Universität in Albanien gegründet worden. Das Zentrum des albanischen Kulturbetriebs befand sich zuvor in Istanbul und blieb es auch nach der Hochschulgründung in Tirana noch einige Zeit. Erst 1972 wurde die albanische Akademie der Wissenschaft und 1981 das nationale Museum der albanischen Geschichte gegründet. Jede dieser Institutionen war stark von der politischen Nomenklatura abhängig, woran sich auch nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft wenig änderte. 
(...)

(Weiter in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift


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Textprobe 4: 

Gestörtes Geschichts- und Kulturverständnis
Zu: „Das Südostdeutsche Kulturwerk und die Südostdeutschen Vierteljahresblätter. Rückschau und Bilanz“, von Johann Adam Stupp, in: Spiegelungen, Heft 1, 7. (61) Jahrgang, 2012, S.48-56

Von Klaus Popa und Johann Böhm 

Wenn der im Titel dieser Stellungnahme ausgesprochene Habitus die Regel für die Südostdeutschen Vierteljahresblätter darstellt, so erweckt auch die Nachfolgepublikation Spiegelungen nun verstärkt den Eindruck, sich dieser Frontenstellung verpflichtet zu fühlen. So geschehen in dem als Bilanz gedachten Text des ehemaligen Redaktionsmitglieds Johann Adam Stupp. Dessen Beitrag verkörpert das Wesen des absolut unprofessionellen, antijournalistischen, wahrheits- und wahrhaftigkeitsfremden Duktus eines nun sieben Jahrzehnte mit der politischen und finanziellen Segnung der Bundesregierung stattfindenden Nabelschau der sich stolz „Südostdeutsche“ nennenden Vertriebenenelite, die sich auch heute noch untersteht, mit einem ihrer Vertreter und Fürsprecher unverhohlen zu behaupten, der „zeitliche Abstand“ zur Festschrift „50 Jahre Südostdeutsches Kulturwerk/Südostdeutsche Vierteljahresblätter“ ermögliche es, „zurückschauend aufgrund neuer Erkenntnisse Ergänzungen und einige notwendige Korrekturen anzubringen, die jedoch das damals gezeichnete Bild nicht grundlegend verändern, wohl aber präzisieren“.[1] Mit dieser ausgesucht neutralen Wortwahl möchte Stupp bzw. der Redakteur der Spiegelungen, dessen Feder man hier unschwer erkennen kann, die grundlegenden Forschungsergebnisse zur eindeutig schwer NS-belasteten Vergangenheit sämtlicher Gründungsmitglieder des Südostdeutschen Kulturwerks und der Südostdeutschen Vierteljahresblätter wie auch ihrer langjährigen Herausgeber, Redakteure und Beiträger, die hauptsächlich vom Kreis um Dr. J. Böhm und der von ihm geleiteten Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik aufgedeckt und publik gemacht wurde, abmildern und in rein geschichtsrevisionistischer Manier verwässern.

(...)




[1]    Spiegelungen, Heft 1, 7(61), Jg. 2012, S.48.



(Weiter in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift


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Textprobe 5: 

Die völkisch-faschistische und extrem nationalistische Rechte Russlands

Von Karl-Heinz Gräfe

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Die Vorläufer - „Schwarze Hundert“ 1905-1920


Die Vorgeschichte der neofaschistischen und extrem nationalistischen Bewegung seit 1989 reicht ein ganzes Jahrhundert in die Geschichte Russlands zurück. Als eine Reaktion auf das Erstarken der sozialdemokratischen, sozialrevolutionären und liberalen Bewegung gegen das autoritäre Zarenregime entstand in Russland die straff organisierte völkisch-nationalistische, klerikal-monarchistische Bewegung der Schwarzen Hundert (Černaja Sotnja) oder Schwarzhunderter (Černye sotny).  Sie besaß im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 410.000 Mitglieder, organisiert in mehr als 3.000 regionalen Gruppen und einigen größeren Gesamtorganisationen. Diese völkische Ideologie und Bewegung wurde vom Zarenregime nicht nur toleriert, sondern auch finanziell unterstützt und bewaffnet. Sie war militant, zarentreu, antisemitisch, großrussisch-chauvinistisch und religiös fanatisch. Die Gewaltaktionen dieser extremen Gruppen richteten sich vor allem gegen die jüdische Bevölkerung, aber auch gegen linke und liberale Parteien und Politiker. Deren konterrevolutionäre Terrorgruppen, oftmals von Popen angeführt, von der örtlichen Staatsmacht geschützt oder toleriert, zogen mit dem Gesang der Zarenhymne, Ikonen und Kirchenfahnen durch Städte und Dörfer, inszenierten Judenpogrome und Gewaltaktionen gegen Streikende und Revolutionäre. Bereits in der ersten Novemberwoche 1905 organi-sierten die Schwarzhunderter in 110 Ortschaften des Russischen Reiches 700 Juden-pogrome, in deren Folge 3.500 Menschen getötet und mehr als 10.000 verletzt wurden. Allein in Odessa ermordeten diese antisemitischen Banden während eines viertägigen Pogroms über 400 Juden. Von den 608 in den Krankenhäusern registrierten Verletzten waren 392 Juden. Geplündert wurden 1.500 Wohnungen und Geschäfte.  Mit Duldung des Gouverneurs und dem Segen des Bischofs zündeten die schwarz uniformierten zarengläubigen Gewalttäter in Tomsk das Theater an, in welchem gerade eine Arbeiterveranstaltung stattfand, mehr als 200 der dort Versammelten kamen ums Leben. In Twer sprengten die Schwarzhunderter eine Versammlung liberaler Politiker.  Die Aktionen der Schwarzen Hundert hatten nicht nur einen antijüdischen, sondern auch einen generell konterrevolutionären Charakter.  Sie hatten das Ziel, die uneingeschränkte Za-renherrschaft zu erhalten bzw. nach der Revolution 1905 wieder vollständig aufzurichten sowie alle weiteren Versuche, demokratische und sozial gerechte Zustände in Russland zu schaffen, mit terroristischer Gewalt zu verhindern. Die klerikal-monarchistische Bewegung war nur eine Teilkraft der Gegenrevolution. Die revolutionäre Massenbewegung in der ersten russischen Revolution 1905-1907 wurde vor allem durch Geheimpolizei (Ochrana), Polizei und Armee des Zarenregimes niedergeschlagen, allein von Januar 1905 bis April 1906 14.000 Menschen getötet, 75.000 eingekerkert.

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(Weiter in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift

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Textprobe 6: 



Hanuš Kuffners Propagandaschrift ,Náš stát a světový mír‘ (1918) in der völkisch-deutschnationalen Rezeption der 1920er- und 1930er-Jahre


Von Boris Blahak

(...)

Im Fokus der folgenden Darstellung steht die schmale politische Denkschrift eines tschechischen Privatmannes, die, obgleich ursprünglich nur für einen engen Personenkreis bestimmt und zunächst in niedriger Auflage erschienen, nach dem Ersten Weltkrieg binnen weniger Jahre zur meistzitierten Schrift tschechischer Provenienz in völkisch-deutschnationalen Kreisen inner- und außerhalb Böhmens avancierte, allerdings nicht aufgrund allgemeiner Zustimmung zu ihren Thesen, sondern wegen ihrer propagandistischen Verwertbarkeit gegen denjenigen Staat, dessen optimale Ausgestaltung zu beschreiben sie zum Ziel hatte. Ihr Verfasser, Hanuš Kuffner, wurde am 12. Januar 1861 in Mirowitz (Mirovice, Bezirk Písek / Südböhmen) als Sohn eines k. k. Beamten geboren. Die in zeitgenössischen lexikographischen Darstellungen  kaum berührten, von Richard Hofmann  erstmals mit Hilfe archivalischer Materialien aus dem Wiener Kriegsarchiv  rekonstruierten ersten 28 Lebensjahre Kuffners waren durch eine zunächst ,klassisch‘ verlaufende, dann aber unvermittelt endende k. k. Offizierskarriere geprägt: Nach einem vierjährigen Gymnasialbesuch in Klattau (Klatovy) und Prag-Smichov durchlief Kuffner 1876 bis 1880 eine militärische Ausbildung an der Prager Infanterie-Kadettenschule, bis Januar 1878 zunächst als Truppeneleve, von da an assentiert für das Infanterieregiment Nr. 74. Im Stile der hier vorgezeichneten üblichen Laufbahn erreichte er 1883 den Dienstgrad eines Leutnants (Infanterieregiment Nr. 92, Terezienstadt / Terezín), 1884 den eines Bataillonsadjutanten (1. Feldbataillon, ab 1886 2. Feldbataillon, Komotau / Chomutov) und wurde 1888 schließlich zum Oberleutnant (Infanterieregiment Nr. 57, Krakau / Kraków) befördert. Seine bis zu diesem Zeitpunkt vielversprechend verlaufene Karriere endete abrupt, als Kuffner am 15. Januar 1889 aufgrund zahlreicher Delikte  durch das Krakauer Garnisonsgericht zum Infanteristen degradiert und zu einer einjährigen Kerkerstrafe verurteilt wurde, die er bis zum 29. Januar 1890 verbüßte. Zum 31. Dezember des Jahres verließ er die Armee endgültig.

(...)


Als Zivilist betätigte sich Kuffner folgend journalistisch und schriftstellerisch. Teilweise anonym veröffentlichte er Aufsätze in dem Militär-Fachjournal Vojenské Rozhledy (Militärische Rundschau), der rechtsorientierten Zeitschrift Národní Politika (Volkspolitik) und der Tageszeitung Národní Listy (Volksblätter). Als Redakteur der Militärrubrik der deutschsprachigen Tageszeitung Politik verfocht er einen Umbau des österreichisch-ungarischen Militärwesens nach dem Kriterium nationaler Zugehörigkeit. Bereits seit 1899 und verstärkt seit 1907 befasste er sich in verschiedenen Monographien  mit dem älteren tschechischen, v. a. hussitischen Kriegs-wesen. Zu diesem entwarf er eine eigene, gleichermaßen aus historischen wie aus mythologischen Quellen deduzierte Theorie, die so phantastische Züge trug, dass ihm selbst tschechische Zeitgenossen attestierten, er habe seine Studien „ne vždy kriticky“  verfasst. 1923 legte Kuffner eine Untersuchung vor, in der er mit Hilfe der Etymologie beweisen zu können glaubte, dass slawische Stämme bereits in spätrömischer Zeit über Mitteleuropa geherrscht hätten, von den zeitgenössischen Historikern allerdings irrtümlich für Germanen gehalten worden seien.  Im Streit um die gefälschten Königinhofer und Grünberger Handschriften gehörte er zu den Befürwortern ihrer Echtheit. Kuffner verstarb am 20. Mai 1929 in Prag.

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(Weiter in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift
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Textprobe 7: 


Ein Analysemodell für eine Soziologie des Internets

Dargestellt am Beispiel des Internetforums der rumänischen Tageszeitung „Adevărul

Von Elena-Irina Macovei

„Das Internet wird zum zentralen Markt
der globalen Stadt von morgen.“
Bill Gates


"(...)

Eine heikle Frage, die noch erwähnt werden muss, ist die Nutzung des Online-Raumes für extremistische Propaganda: Es gibt auch Situationen, in denen Personen des öffentlichen Lebens zu Opfern verbaler Gewalt von Kommentatoren werden. Hinsichtlich der Regelung der Online-Kommunikation wurde bislang noch kein Konsens gefunden, jedes Land hat seinen eigenen Umgang mit diesem Problem entwickelt. Zwar existiert bereits ein für alle Internetnutzer gültiger Knigge der Online-Kommunikation in Foren, Newsgroups und Blogs, Netiquette genannt, doch wird er nicht von allen berücksichtigt.
Um dieser Frage nachgehen zu können, ist es wichtig, neben den geposteten Inhalten auch die Motivation dahinter zu verstehen. Aus welcher Motivation heraus postet jemand Propa-gandamaterial? Ist es sein Ziel, einen Politiker zu kränken oder zu blamieren – oder will er dadurch viel eher den anderen Politiker unterstützen? Jeder der Kommentatoren hat einen bestimmten gesellschaftli-chen und familiären Erfahrungshintergrund, aus dem heraus er agiert, wenn er ein Werturteil fällt oder eine Meinung abgibt. Anders ausgedrückt sind diese Äußerungen vom Habitus des Einzelnen geprägt. Habitus verstehen wir mit Pierre Bourdieu als „die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in Gestalt von Wahrnehmungs-, Urteils- und Handlungsschemata niederschlagen und die Gewinnung neuer Kenntnisse ermöglichen.“ (...)



(Vollständiger Text der Studie in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift

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Textprobe 8: 


„Wir werden wie im Märchen sterben“
Streiflichter zur Temeswarer Literaturszene: die „Aktionsgruppe Banat“ (1972-1975) und der „Adam Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis in der Zeitspanne 1977-1984

Von Johann Lippet

(...)
Die Lesungen im [Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-] Literaturkreis, darüber berichtete die NBZ und veröffentlichte Leseproben, wurden zu einem festen Bestandteil des kulturellen Lebens von Temeswar. Es lasen nicht nur Banater Autoren, sondern auch Autoren aus Siebenbürgen und Bukarest, Autoren aus der DDR, sogar Autoren aus der Bundesrepublik, die auf Einladung des Goethe-Instituts aus Bukarest auf Lesereise in Rumänien waren. Die Saison des Literaturkreises begann Oktober/November und erstreckte sich bis Juni/Juli, die Zusammenkünfte fanden zweimal im Monat statt, in der Regel an einem Donnerstag. Die Manuskripte, aus denen gelesen wurde, waren keiner Vorzensur unterworfen, so dass es, was die Thematik betraf, an der Zivilcourage jedes Autors lag, was er las. Der wurde in der Regel von einem Kollegen vorgestellt, der eine Einführung zum Autor und dessen Manuskript machte. Zu ästhetischen Aspekten gab es nach den Lesungen oft kontroverse Diskussionen, die jungen Autoren nahmen sich, auch wenn einer von ihnen las, kein Blatt vor den Mund. Der Literaturkreis hatte innerhalb kürzester Zeit an Gewicht gewonnen, er war außerdem der einzige deutschsprachige Literaturkreis des Landes, der eine kontinuierliche Tätigkeit aufzuweisen hatte, und er war zum Treffpunkt für Schüler und Studenten geworden, die hier ihre ersten literarischen Versuche vorstellten, vorerst mal in Lesungen zu Beginn oder am Ende der Saison, bis einige von ihnen dann eigene Lesungen bestritten. Bei diesen Lesungen zu Saisonbeginn oder -ende musste man sich im Unterschied zu eigentlichen Lesungen nicht vormerken lassen, es konnten kurze Texte vorgestellt werden. Diese Gelegenheit nutzten auch Teilnehmer an den Sitzungen des Literaturkreises, für die eine Lesung nicht in Frage gekommen wäre, um etwas aus ihren Gelegenheitsproduktionen vorzulesen.
Es gab auch Lesungen zu Themen, u. a. zu Dorf, Umwelt, die Texte dieser Gruppenlesungen konnten nur teilweise in der NBZ veröffentlicht werden, die zum Thema „Wir Rumänien-deutschen – 1981“ schon gar nicht, aber Berwanger ließ sich was einfallen. Er, der taktierte, Möglichkeiten auszuschöpfen wusste, konnte auch ein Hasardeur sein. Auf einem kleinen Kopierer, den die Redaktion als Geschenk aus Deutschland erhalten hatte, wurden diese Texten nebst Nachrichten aus dem Kreis zum „AMG-Info“ vervielfältigt. Davon allerdings gab es nur wenige Exemplare und nur einige Vertrauensleute erhielten eines, die Angelegenheit war Berwanger dann doch zu heiß geworden. (...)
(Vollständiger Text  in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift

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Textprobe 9: 


„95 Jahre Haft“
Kronstädter Schriftstellerprozess 1959: Darstellungsformen und 
Deutungsmuster der Aufarbeitung

Von Michaela Nowotnick

(...)
Mit der Öffnung der Archive der Securitate nach 2000 und der weitgehenden Verfügbarkeit von Dokumenten ist ein neues Interesse an diesem Prozess erwacht, der als „Schriftstellerprozess“  in Wissenschaft und Medien eingegangen ist. Was sich anfangs vor allem von Vermutungen nährte und auf Zeitzeugenberichte und Prosaverarbeitungen angewiesen war, kann nun, so scheint es zumindest, mit Akten untermauert oder widerlegt werden. Hierbei ergeben sich Darstellungskontinuitäten, aber auch -brüche, die teilweise nur schwer miteinander in Einklang zu bringen sind.
Zunehmend ist darüber hinaus eine Tendenz der vereinfachten Darstellung zu beobachten. So wird der Schriftstellerprozess oft unter der Aussage subsumiert, dass fünf Autoren zu insgesamt 95 Jahren Haft beziehungsweise Zwangsarbeit verurteilt worden seien.  Diese Zuweisung, so richtig sie in ihrer Kernaussage auch sein mag, kann die tatsächlichen Ereignisse allenfalls benennen, nicht aber erläutern oder beschreiben.
Eine genaue Prüfung, wie sich Darstellung und kritische Bewertung des Schriftstellerprozesses gewandelt haben, ist gerade zum jetzigen Zeitpunkt der Aufarbeitung notwendig. Die jeweiligen Bezugsquellen kenntlich zu machen, aber auch Begrifflichkeiten und Abläufe des Prozesses kritisch zu hinterfragen, erscheint vor allem deshalb besonders wichtig, da nur so problematische sowie fehlerhafte Darstellungsweisen dieses so hochsensiblen Themas vermieden werden können. Zudem bleibt mit dem Tod von Zeitzeugen zu hinterfragen, wie deren Berichte und Erinnerungen eingeordnet werden können und in welchem Widerspruch oder Einklang sie mit anderen verfügbaren Quellen stehen. Nur so wird in Zukunft eine größtmöglich objektive Darstellung des damaligen Geschehens, seiner Ursachen und Folgen bis in die heutige Zeit möglich sein.
(...)
(Vollständiger Text  in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift


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Textprobe 10: 


Empathie für alle Opfer 
Eginald Schlattner, ein Leben in Zeiten diktatorischer Herrschaft

Von William Totok

(...)
Die Aussagen der Zeugen sind bekanntlich durch Erpressungen, Drohungen mit Gefängnis, psychischen und physischen Druck zustande gekommen. Deshalb sieht der rumänische Gesetzgeber ausdrücklich vor, die Zeugen politischer Prozesse wegen belastender Aussagen nicht mit inoffiziellen Mitarbeitern der Securitate gleichzusetzen. Das Gesetz Nr. 394/2008 definiert, welche Personen als offizielle oder inoffizielle Securitatemitarbeiter eingestuft und als solche bezeichnet werden dürfen.
Als offizielle oder inoffizielle Securitatemitarbeiter bezeichnet das rumänische Gesetz Personen, die durch ihre Tätigkeit zur Verletzung der fundamentalen Menschenrechte beigetragen haben, indem sie dem Staatssicherheitsdienst Informationen über Aktivitäten Dritter lieferten, die gegen das totalitäre Regime gerichtet waren. Die Aussagen und Erklärungen von Personen bei Verhören, während der Untersuchungshaft oder im Laufe politischer Gerichtsverhandlungen werden nicht als Formen der Kollaboration mit der politischen Polizei eingestuft. Somit können diese Personen auch nicht als inoffizielle oder offizielle Securitatemitarbeiter bezeichnet werden.
Diese gesetzlichen Bestimmungen betreffen auch Eginald Schlattner.
Die persönlichen Leiderfahrungen, die psychische und physische Pein, die alle Opfer eines „kriminellen Regimes“, wie es zu Recht im Abschlussbericht der Kommission zur Untersuchung der kommunistischen Diktatur  bezeichnet wurde, zu erdulden hatten, sind schwer zu vergessen. Die durch die willkürlichen repressiven Maßnahmen verursachten seelischen Wunden der Opfer sind ein Mahnmal, eine Aufforderung an die Nachgeborenen, alles zu tun, um den Rückfall in den Totalitarismus zu verhindern. Und ein absolut notwendiger Schritt in diese Richtung ist auch die kritische Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Denn wer diese nicht kennt, riskiert, die alten Fehler wieder zu begehen.
(Vollständiger Text  in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift


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Textprobe 11: 


„Der Ausdruck, den wir den Dingen geben“

Von Ernest Wichner

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Paul Celans Dichtung war für uns Gymnasiasten und junge Studenten zu Beginn der Siebzigerjahre in Rumänien ein in vielfacher Hinsicht schockierendes Erlebnis. Wir stammten aus deutschen Bauern- oder Handwerkerfamilien, hatten unsere Kindheit auf Dörfern oder in Kleinstädten verbracht, die fernab einer modernen deutschen Hochsprache in der anachronistischen Mundart der früheren süddeutschen Herkunftsgebiete sowie in geschichtlichen und sozialen Erfahrungen erstarrt waren, die all das leugneten, was zum politischen und kulturellen Erfahrungshorizont Paul Celans gehört hatte. Wir empfanden uns als die Nachkommen der potentiellen oder tatsächlichen Täter; sie hatten Paul Celans Eltern umgebracht, die mit ihm verwandte Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger, hatten Lager bewacht, fremde Territorien erobert, ihr Leben ihrem Führer opfern wollen und saßen nun herum bei Leichenbegängnissen, sprachen von ihrer großen Zeit, von ihren schurkischen Heldentaten und davon, wie sie davongekommen waren. Und es schwang ein Triumph in ihren Reden mit, eine Genugtuung, die den Schritt hin zur Kritik an der gegenwärtigen Lebenssituation im rumänischen Nachkriegssozialismus klein und unerheblich machte. 1970 war ich achtzehn Jahre alt, Rolf Bossert und Richard Wagner waren gleichaltrig, Herta Müller und Gerhard Ortinau waren siebzehn.
(...)
(Vollständiger Text  in der gedruckten Ausgabe der Halbjahresschrift

Bestellungen sind an den AGK-Verlag, Franzstr. 27, D-49413 Dinklage, Tel. 04443/91212; Fax: 04443/91213; oder an jede Buchhandlung zu richten.

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Ralf Sudrigian, "Auf der Suche nach Authentizität. Diesjährige Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik erschienen", in: ADZ, 17.12.2012

"Ein Militärgericht im rumänischen Kronstadt verurteilte 1959 in einem Schauprozess gegen eine Gruppe junger Schriftsteller aus der deutschen Minderheit fünf Angeklagte zu 95 Jahren Haft und Arbeitslager. Der Schriftsteller Eginald Schlattner wurde beschuldigt, als «Kronzeuge» eine unrühmliche Rolle gespielt zu haben. Jetzt werfen Recherchen ein neues Licht auf den Fall."

Markus Bauer, "Vorsicht beim Gebrauch von Securitate-Akten. Neues Licht auf den Fall Eginald Schlattner", in: NZZ, 3.1. 2013

Rodica Binder, "Pîinea sufletului. Dosarele securităţii rezervă noi surprize cercetătorilor, determinîndu-i să-şi nuanţeze sau schimbe atitudinea faţă de victime. Ultimul număr al revistei Halbjahresschrift documentează acest fenomen", DW, 6.1. 2013