Freitag, März 27, 2009

Bischofsvikar Friedrich Müller als Widerständler?

Ü                Johann Böhm: Bischofsvikar Friedrich Müller als Widerständler?

Ü                August Georg Kenstler, Herausgeber der Monatsschrift „Blut und Boden“ und aktiver Vorkämpfer der nationalsozialistischen Agrarpolitik

Ü                Anhang:
1. Zum Verständnis der politischen Gruppen (Parteien) der deutschen Volksgruppe in Rumänien von 1922 bis zum 23. August 1944    2. Organisationsplan der NSDAP der DViR Ende 1943. Tabelle mit den Unterorganisationen der NSDAP der DViR




Bischofsvikar Friedrich Müller als Widerständler?

Von Johann Böhm


Wer immer sich mit demProblem der Opposition gegen die Führung der NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (NSDAP der DVR) und gegen die Kirchenleitung unter Bischof Wilhelm Staedel nach 1941 beschäftigt, wird auch nach dem sichtbarsten Ausdruck des Widerstandes fragen müssen. Ein historisch brauchbarer Widerstandsbegriff muss stets auf die konkreten Rahmenbedingungen des jeweiligen Herrschaftssystems bezogen sein. Wichtigste Rahmenbedingungen der nationalsozialistischen Volksgruppenführung im deutschen Siedlungsraum von Rumänien ab 1940 war der totale Herrschaftsanspruch. Die NS-Volksgruppenführung war kein Monolith, aber sie beanspruchte mehr als ein Monopol auf die politische Willensbildung im Rahmen der traditionellen Staatszugehörigkeiten in Rumänien: Sie erhob totalen Anspruch auf Kontrolle der deutschen Bevölkerung, auf Erfassung der gesamten menschlichen Existenz, auf Sinngebung des Lebens und auf Gewissensformung. Die mit Werbung und Drohung angestrebte Verhaltensform des Einzelnen war daher keineswegs die des obrigkeitsstaatlichen Untertans, der sich passiv und ruhig, also „unpolitisch“ verhält. Jedem Deutschen in Rumänien wurde vielmehr immerzu ein aktives Bekenntnis zum Nationalsozialismus abverlangt. Wer sich als Einzelner oder als Gruppe der Volksgruppenführung und deren Mobilisierung von Zustimmung zu entziehen suchte, geriet in Opposition und musste entsprechende Konsequenzen befürchten.
Ohne die grundlegende Bezugnahme auf das Totalitäre der Alltagswirklichkeit im deutschen Siedlungsraum von Rumänien lässt sich daher kein angemessener Widerstands-Begriff formulieren: Gemessen an dem Ziel der totalitären Erfassung konnten Verhaltensformen, die unter anderen, z. B. den westlichen Bedingungen der Nachkriegszeit, als unerheblich und belanglos angesehen würden, Widerstand darstellen. Das Grundkriterium des Widerstandsbegriffs hat daher in der Frage zu liegen, ob nach 1940 ein bestimmtes Verhalten von Einzelnen oder von Gruppen Risikocharakter hatte oder nicht. Diesem Risiko-Kriterium entspricht ein sehr weiter „Widerstands“-Begriff; denn grundsätzlich unterlag in der Deutschen Volksgruppe in Rumänien zwischen 1941 und dem 23. August 1944 jedes Verhalten, das sich dem totalitären Erfassungszwang und Gleichschaltungsdruck der NS-Volksgruppenführung entzog, einem Risiko. Ein so weit gefasster Begriff muss allerdings differenziert werden, um brauchbar zu sein.
Wer gegen Maßnahmen oder Anordnungen der Volksgruppenführung war, riskierte einiges; aber er setzte nicht, wie eine Untergrundorganisation, die den Sturz eines Regimes organisiert, sein Leben auf Spiel. Wie wir wissen, lassen sich vier Stufen des Widerstandes unterscheiden. Als unterste Stufe kommt punktuelle Unzufriedenheit in Betracht. Sie kann unterschiedliche Gründe haben: vom Schimpfen der Bauern oder Arbeiter über niedrige Agrarpreise oder Löhne bis hin zur Aufregung über politische Tätigkeiten in den Gemeinden. Weitaus eindeutiger ist die zweite Stufe, die mit Sachverhalten wie Resistenz, Nicht-Anpassung und Selbstbewahrung zu verbinden ist. Voraussetzung für diese Form von Widerstand ist der Angriff auf die Eigenständigkeit, das Selbstverständnis, die Identität einer Person oder einer sozialen Einheit, z. B. der evangelischen oder katholischen Kirche. Bis 1941 konnte die Evangelische Landeskirche A.B. in Rumänien unter Bischof D. Dr. Viktor Glondys ihre bedrohte Identität bewahren und verteidigen. Diese Nicht-Anpassung begrenzte die politische Führung der Deutschen in Rumänien und behinderte die Realisierung des Totalitären in einem konkreten Bereich, was danach unter Bischof Staedel (1941-1944) nicht mehr der Fall war.
Die dritte Stufe des Widerstands war der öffentlich erhobene Protest. Er bedeutete bereits eine Offensive gegen das System, während der Widerstand der zweiten Stufe im Kern defensiv blieb, so wie das im innerkirchlichen Kampf in Siebenbürgen der Fall war. Die vierte Stufe ist als „aktiver Widerstand“ oder als „Widerstand im engeren Sinne“ zu bezeichnen. Unter diesen Begriff fallen alle Aktivitäten, die auf den Umsturz des politischen Regimes hin orientiert waren und also nicht nur ein partielles, sondern ein generelles Nein zum Regime bedeuteten. Im Unterschied dazu bezog sich der Widerstand der Stufen eins bis drei im deutschen Siedlungsraum von Rumänien auf einzelne Sektoren, auf einen Teil der Erscheinungsformen und Herrschaftsansprüche der Volksgruppenführung. Daher konnten Unzufriedenheit, Nicht-Anpassung und Protest sich im Übrigen mit partieller Loyalität gegenüber der NS-Volksgruppenführung verbinden, so wie ich das bereits dargestellt und im Weiteren noch darstellen werde.
Der Widerstand im deutschen Siedlungsraum von Rumänien war nicht organisiert, darum gab es niemals einen „aktiven Widerstand“ gegen die nationalsozialistischen Auswüchse der Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt und der Kirchenleitung unter Bischof Staedel. Der Widerstand ging meistens von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen von Pfarrern aus, die, sei es aus persönlichen Gründen oder aber aus echter innerer christlicher Überzeugung, gegen die brutalen gegenchristlichen Maßnahmen der Volksgruppenführung und deren Umsetzung durch die Kirchenleitung opponierten.[1]
Man wird sich mit diesen summarischen Hinweisen begnügen müssen, weil das vorhandene Quellenmaterial hinsichtlich einer organisierten Opposition gegen die NS-Volksgruppenführung und gegen die Kirchenleitung, die von den Nazis beherrscht wurde, keinen eindeutigen Einblick liefert. Auch die Ausführungen ehemaliger Naziamtswalter, die im Bundesarchiv Bayreuth aufbewahrt sind, oder Veröffentlichungen, die sich nicht auf einschlägiges Quellenmaterial stützen, sind höchst unzuverlässig. Um die Ziele des Widerstandes herauszustellen, um schließlich ihren Beurteilungsmaßstab in der äußerlichen Ansicht von Erfolg und Misserfolg zu finden, muss man den Grund sehen, zum Prinzipiellen vorstoßen, zu den Kräften moralischer Selbstbehauptung, die über die Erwägung des bloß politisch Notwendigen hinausgehen. Erst dann sieht man, dass die moralische Substanz zum Zuge drängt, nicht die persönlich politische.
Gewiss sind die sittlichen und religiösen Antriebe des Widerstandes keineswegs nur in Deutschland lebendig gewesen, sie traten ? wenn auch vereinzelt – unter dem Druck beispielloser Umstände auch im deutschen Siedlungsraum von Rumänien in einer beispielhaften Weise in Erscheinung. Was hier in Betracht kommt, ist die Tatsache, dass ein beachtlicher Teil der deutschen Bevölkerung der NS-Volksgruppenführung begeistert huldigte oder gehorsam anhing, und nur wenige bereit waren, den Nazimethoden Paroli zu bieten. Man wird hinzuzufügen haben, dass selbst diejenigen, die nur Lippendienst taten, oft genug in ein Netz von Zugeständnissen und größeren oder kleineren Lügen verstrickt wurden, die ihnen ihre innere Überzeugungskraft raubten.
Dieser moralische Erdrutsch wird von den meisten Historikern der Siebenbürger Sachsen dem Druck des Deutschen Reiches zugeschrieben. Er war aber, wie die schärfer zugespitzte These es will, das Ergebnis verhängnisvoller Tendenzen der NS-Bewegung des Fritz Fabritius und Alfred Bonfert, die sich Ende der zwanziger und ganz besonders in den dreißiger Jahren gezeigt haben. Man kann guten Gewissens sagen, dass die Deutschen in Rumänien in vier Gruppen zerfielen: tatsächliche und nominelle Nazis, Nicht-Nazis und Anti-Nazis. Über ihr Verhältnis zueinander genaue Angaben zu machen, ist naturgemäß unmöglich; die Scheidelinien haben sich durch die Jahre hin mannigfach verschoben, und eine Gruppe ging in die andere über.
Denkt man an die ständige Drohung, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, wenn die Befehle und Anordnungen der Volksgruppenführung nicht befolgt wurden, und lässt man die Schwächen an sich vorbeiziehen, die als typisch deutsch galten, insbesondere die anerzogene Neigung zum Gehorsam gegenüber der „Volksführung“, so mag in Wahrheit mehr Anlass sein, über die „Begrenztheit“ als über die „Verbreitung“ von „Unterwürfigkeit“ zu staunen.
In diesem Abschnitt soll nicht sosehr von Gedanken, sondern vielmehr von konkreten Aktionen ausgegangen werden, das heißt von den verschiedenen Versuchen, wie gegen die Anordnungen und Befehle der Volksgruppenführung vorgegangen wurde. Die kritischen Auseinandersetzungen einzelner Personen sowie einer kleinen Gruppe von Geistlichen[1] mit der Kirchenleitung und der Volksgruppenführung waren im Wesentlichen gegen folgende Vorkommnisse und Maßnahmen gerichtet: auf die „gegenchristliche Demonstration im Zeidner Waldbad durch Mitglieder der NS-Volksgruppenführung“[1], die von den Geistlichen als ein Versuch, „über den Umweg einer politischen Organisation zu einer religiösen Reformation kommen zu können“, betrachtet wurde; auf das „Gesamtabkommen zwischen evangelischer Kirche und Volksgruppenführung“[2], das die entschädigungslose Übergabe ehemaliger kirchlicher Aufgabengebiete wie Schul- und Erziehungswesen und des dazugehörenden Vermögens, die Übertragung der Bruder- und Schwesternschaften sowie der kirchlichen Nachbarschaften an die Volksgruppenführung regelte; auf den „Religionsplan“[3], der im September 1942 vom evangelischen Landeskonsistorium beschlossen wurde und der eine Verschmelzung von religiösem und politischem Leben vorsah und somit den Religionsunterricht durch einen Weltanschauungsunterricht ersetzen sollte, was eine tiefgreifende, dem Ungeist der Zeit entsprechende Umgestaltung des gesamten religiösen Erziehungswesens bedeutete; auf das „Rundschreiben Z. K. 2328/1942: Einheit des kirchlichen Handelns“[4], das die vorbehaltlose Einfügung der evangelischen Landeskirche A. B. in die neue Lebensordnung des deutschen Volkes unter straffster Vereinheitlichung des kirchlichen Handelns vorsah. 
Jetzt ging es nicht mehr nur um Außenbastionen, um die organisierte Wirkungsmöglichkeit der Kirche in die Gesellschaft hinein, sondern um das kirchliche Wertesystem, um die Identität der Kirche schlechthin. Die NS-Volksgruppenführung versuchte, die Kirche auf eine in ihrer Sicht belanglose „Jenseitsbetreuung“ zu reduzieren, also von jedem Bezug zum konkreten individuellen und gesellschaftlichen Leben zu lösen. Der innerkirchliche Kampf erreichte damit eine neue Dimension. Das Gewissen des Einzelnen und die Kirchenführung sollten dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch der Volksgruppenführung unterworfen werfen. Es ging also um die Kirche in ihrer Substanz.
Die Oppositionellen ließen sich von der Hoffnung leiten, dass mit einer entschlossenen Haltung die Rücknahme der antichristlichen Anordnungen der Kirchenleitung erreicht werden könne. Bei solchen Überlegungen wurde aber, wie aus den Antwortschreiben des Landeskonsistoriums hervorgeht, übersehen[1], dass sich die Kirchenleitung, die von den Nazis beherrscht wurde, auf keinen Kompromiss einlassen würde..
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen naturgemäß Fragen der Behinderung der kirchlichen Arbeit und der christlichen Verkündigung, die auch von der deutschen Bevölkerung aufmerksam verfolgt wurden. Zweierlei wird hier deutlich: die schier aussichtslose Lage der evangelischen Landeskirche A. B., deren etappenweise Vernichtung von der NS-Volksgruppenführung und der neuen Kirchenleitung unter Bischof Staedel betrieben wurde – einmal die organisatorische Verkümmerung der christlichen Verkündigung und dann die völlige Ausmerzung des Christentums aus dem Leben der deutschen Bevölkerung –, aber zugleich auch das Faktum, dass ihre Stimme nicht völlig zum Verstummen zu bringen war.
Doch auch die Rechnung derer, die sich zu willigen Werkzeugen der deutschen Aggressionspolitik hergaben und die NSDAP der DVR unterstützten, ging nicht ganz auf. Die Einsetzung von Andreas Schmidt zum Volksgruppenführer brachte ihnen zum großen Teil nicht die erträumten Befehlsposten ein. Die zunächst gesuchte Anlehnung an das nationalsozialistische Deutschland mit dem Ziel, die eigene Identität behaupten zu können, musste mit der Aufgabe der eigenen Identität bezahlt werden. Gerade im Namen des Großdeutschen Reiches hatte die NS-Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt die strikte Unterordnung rumäniendeutscher „Sonderwünsche“ unter die als gemeinsam hingestellten Reichsinteressen gefordert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verhalfen diese verschiedenen Formen und Grade persönlicher Schädigungen unter der NS-Volksgruppenführung den Betroffenen, gemeinsam eine prinzipielle Gegnerschaft zum NS-Regime und zum Nationalsozialismus anzumelden. Statt den eigenen Anteil an der „Katastrophe“ selbstkritisch zu verarbeiten, verwandelten sich die Vorläufer und Handlanger zu Opfern. Das Abstellgleis, auf das sie von der NS-Führung geschoben worden waren, wird nun zum Widerstandsnest verklärt.[1] Der Nationalsozialismus erscheint so im Nachhinein als Unglück, unter dem alle zu leiden hatten. 
Mit dieser Darstellung bin ich beim eigentlichen Thema dieses Abschnitts angelangt, „Bischofsvikar Friedrich Müller als Widerständler?“
Wie bereits erwähnt, gab es in den von Deutschen besiedelten Gebieten von Rumänien keinen organisierten Widerstand gegen die NS-Volksgruppenführung und gegen die neue Kirchenleitung unter Bischof Staedel, und auch keine „Schaltstelle der organisierten Resistenz in der Landeskirche“[1] um Bischofsvikar Friedrich Müller. Und dass ein angeblicher „Müller-Kreis“ konspirativ gearbeitet haben soll[5], ist keinem offiziellen Dokument zu entnehmen und daher als reine Erfindung zu erklären. Darum ist der Fall des Hermannstädter Stadtpfarrers und Bischofsvikars der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien, Friedrich Müller, besonders aufschlussreich. Die Veröffentlichung seiner „Erinnerungen 1944-1964“ war vielen ein willkommener Anlass für eine regelrechte „Kanonisierungskampagne“ um Friedrich Müller ins Rollen zu bringen, wie in der „Einleitung“ von Ulrich Andreas Wien eindeutig zu erkennen ist.[6]
Ob Bischofsvikar Friedrich Müller wirklich ein Widerständler war, soll anhand einiger Urkunden aus den Jahren 1934-1944 und der im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes überlieferten Unterlagen von 1941 bis 1944 kurz beleuchtet werden.[1] Damit steht auch die Problematik des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im rumäniendeutschen Kontext zur Diskussion, deren sachgerechte Erörterung überfällig ist. Und die Beleuchtung der genannten Dokumentation ermöglicht es, in unmissverständlicher Weise klarzustellen, was von dem Image eines „Opfers“ der nationalsozialistischen Willkürherrschaft der Volksgruppenführung und eines Widerständlers übrig bleibt, das Müller selbst, ins Märtyrerhafte verzerrt, bereits 1942 in Umlauf brachte und verstärkt ab 1944 kultivierte und in seinen „Erinnerungen...“ schriftlich fixierte.
Wie Friedrich Müller als Bischofsvikar und Stadtpfarrer von Hermannstadt zur nationalsozialistischen Bewegung des Fritz Fabritius in Siebenbürgen stand, die bereits 1933/34 die Mehrheit im Volksrat, dem obersten Verwaltungsorgan der Siebenbürger Sachsen, besaß, zeigt Müllers Agieren nach der Volksratssitzung vom 21.–22. Januar 1934, als Waldemar Gust, die damals führende Persönlichkeit der radikalen Nationalsozialisten, die Rede von Bischof Glondys mit Zwischenrufen störte, worauf der Bischof und seine konservativen Anhänger den Sitzungssaal verließen.[1] Müller bot sich nämlich als Vermittler zwischen dem in seiner persönlichen Ehre und in seiner Amtswürde als Landesbischof der evangelischen Kirche Rumäniens beleidigten Viktor Glondys und den Nationalsozialisten an. Es ging Müller eigentlich nicht um eine aufrichtige Vermittlung, weil er mit dem Auftrag eben jener „Männer von Gewicht, die die Kirche amtlich nicht belasten“ beim Bischof erschienen war, um das Exemplar des so genannten „Dienstbuches“ der nazistischen Nationalen Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien (NEDR)[7] zurückzufordern, in dessen Besitz Glondys gelangt war und woraus er am 22. Januar 1934 in der Schrift „Zur Klarstellung der Lage“ Auszüge veröffentlichte, die belegen, dass für die NEDR nationalsozialistische Prinzipien, insbesondere das Führerprinzip, unbedingte Gültigkeit hatten. Dieser Vermittlungsversuch ist ein erster Anhaltspunkt dafür, dass Bischofsvikar Müller einen ausgezeichneten Draht eben zu den gemäßigten Nationalsozialisten um Fritz Fabritius besaß.
Die überlieferten Dokumente belegen einwandfrei, dass Friedrich Müller aus freien Stücken Vermittlungsversuche bis zum Schlichtungsversuch vom 29.-31. Oktober 1934 in Zürich[1] unternahm. So führte er am 16. Juli 1934 ein Gespräch mit Hans Otto Roth, dem Spitzenpolitiker der konservativen Kräfte, die sich in der so genannten „Einheitsbewegung“ zusammengeschlossen hatten, worauf ihm Roth brieflich mitteilte, dass die Zeit für Verhandlungen nicht reif sei, solange das Presseorgan der nationalsozialistischen NEDR, der „Ostdeutsche Beobachter“, unter der Federführung von Waldemar Gust über „Denunziationen der eigenen Volksgenossen“ spreche und ähnliche Töne auch im „Völkischen Beobachter“ und im „Angriff“ in Berlin angeschlagen würden.[8]
Ein zweiter Brief Roths an Müller vom 4. August 1934[1] belegt, dass der Bischofsvikar eine genaue Kenntnis über die NEDR-Führer besaß, als er in einem Aufsatz zwei Gruppen unterschied, nämlich eine radikale, die ein Pamphlet gegen Bischof Glondys unterzeichnet hatte, und eine gemäßigte. In einem Schreiben vom 5. August 1934 an Roth behauptet Müller, er habe „keinen Ehrgeiz, selbst bei dieser Angelegenheit[9] hervorzutreten. Dass dem nicht so war und dass die Einheitsbewegung ihn als nicht vertrauenswürdig einschätzte, ist aus Müllers Vorwurf gegen die Einheitsbewegung zu entnehmen. Er meinte, diese setze „Versuche zum Einzelabschießen“ gegen ihn in Szene. Müller begründete seinen Vorschlag von „Vorfriedensberatungen“ damit, dass sie den Zweck hätten, die Lage zwischen den rivalisierenden Gruppen zu klären und Grundlagen auszuarbeiten, „die eine friedliche Zusammenarbeit“ ermöglichen würden. Doch komme die von der Einheitsbewegung gestellte Bedingung, nur die Führer zu laden, die die Schmähschrift vom 21. Juli nicht unterschrieben hatten[10], einer Ablehnung der Vorfriedensverhandlungen gleich.[11]Müller scheut sich nicht, die Einheitsbewegung zusammen mit den radikalen Nationalsozialisten, die er „die Verrannten“ nennt, für die Eskalation der Auseinandersetzung verantwortlich zu machen. Er schreibt: „Wollt Ihr Euch mit den Verrannten auf der anderen Seite den Ruhm teilen, den Kampf bis zum Weißbluten erzwungen zu haben, den Kampf, an dessen Ende von unserem völkischen Besitzstand, um dessen Erhaltung und Fortführung wir kämpfen, das Meiste vernichtet sein wird.“ Müller betont ferner, dass Pomarius, Jickeli und Römer sich von den Radikalen distanziert hätten, was wiederum für seine Sicht der Dinge und gegen die Ausgrenzungsversuche seitens der Einheitsbewegung spräche.[12]
In seinem Antwortschreiben vom 6. August 1934 macht Roth Müller darauf aufmerksam, dass die Unterzeichner der Schmähschrift gegen Bischof Glondys eigentlich „einen frontalen Angriff gegen die Kirche“ gestartet hätten. Auch ist Roth der Auffassung, dass „nach dem 1. Juli und vor allen Dingen nach dem 23. Juli noch immer keine klare Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen ehemaliger NEDR-Führer festzustellen“ sei.Roths Brief liefert eine Einzelheit, die wiederum dafür spricht, dass Müller in den damaligen Auseinandersetzungen eine recht zwielichtige Stellung einnahm. Der Bischofsvikar war nämlich „der Hermannstädter Kundgebung für den Herrn Bischof“ ferngeblieben. Roth teilt Glondys das Gerücht mit, Müller sei während der Kundgebung „auf der Hohen Rinne mit einem der Unterzeichner der bischöflichen Schmähschrift[1] zusammengewesen“.[13] Diese Briefstellen belegen einwandfrei, dass der Bischofsvikar ein undurchsichtiges Doppelspiel trieb, in dem er seine Nähe zu den gemäßigten Nationalsozialisten verheimlichte, gleichzeitig aber bemüht war, ein gutes Verhältnis zu Hans Otto Roth und den konservativen Kräften zu bewahren.
Die Tagebuchaufzeichnungen von Bischof Glondys vermitteln ebenfalls das Bild eines wankelmütigen Müller. So heißt es am 17. Oktober 1934, der Bischofsvikar habe Glondys am Vortag gesagt, „es werde gegen ihn sowohl von Seiten der radikalen Elemente der NEDR als auch der Einheitsbewegung gearbeitet“. Glondys hielt ihm vor, dass er „eine politische Aktion sogar öffentlich in einem Zeitungsaufsatz des ‚Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes’ mit dem Ziel einer Vereinigung mit den ‚Pamphletisten’ eingeleitet habe“, ohne den Bischof vorher in Kenntnis zu setzen. „Es wirke doch befremdend auf das Volk, dass der Bischofsvikar mit den öffentlichen Verleumdern des Bischofs Vereinbarungen schließe, [...].“[1] In auf die Verhandlungen in Zürich (29.-31. Oktober 1934) Bezug nehmenden Brief bezeichnete Hans Otto Roth Müller als „parteiisch“.[14]
Auch das am 19. Juli 1935 an den Ministerialrat von Stutterheim im Auswärtigen Amt gerichtete Schreiben von Müller[1] belegt ebenfalls seine zwielichtige Verhaltensweise. Müller hatte seinen Standort inzwischen insoweit geklärt, als er unter dem Eindruck der Abspaltung der radikalen Nationalsozialisten unter Waldemar Gust, Alfred Bonfert und Fritz Cloos von der NEDR, die am 14. Juli 1935 die Gründung der nazistisch-radikalen „Deutschen Volkspartei in Rumänien“ (DVR)[15] für Siebenbürgen vollzogen, den Radikalen den Rücken kehrte. Auch gegen die bürgerliche „Einheitsbewegung“ um Hans Otto Roth bezieht er Stellung. Er stellt fest, dass die „große Gefahr, vor der wir im vorigen Jahr standen, dass eine Reaktion der Alteingestellten im rumänischen Deutschtum eine Dollfuß-Entwicklung heraufbeschwöre“, die aber im wesentlichen „durch die Hilfe, die Herr Staatssekretär Lammers uns damals vermittelte, zunächst vollständig beseitigt worden sei.“ Müller erblickt zwar in der „Gruppe vom Typus der permanenten Revolutionäre unter der Führung von Dr. Waldemar Gust“ „eine neue Gefahr“, die eine Spaltung der „hiesigen nationalsozialistischen Bewegung“ hervorgerufen habe. Doch größere Sorgen scheint ihm die Möglichkeit zu bereiten, dass der heftige Kampf zwischen beiden nationalsozialistischen Gruppen „die Reaktion (d.h. die „Einheitsbewegung“ um Dr. Hans Otto Roth), die schon Morgenluft wittert“, wieder aufkommen lasse, wodurch sie „letzten Endes doch das Feld behalten“ würde. Müllers Befürchtung gilt also eindeutig der zerbrochenen Einheit der nationalsozialistischen Bewegung, womit er politisch genau einzuordnen ist. Denselben Geist atmet Müllers Behauptung, „die tragische Spaltung unter den für die geistigen Strömungen aus dem Deutschen Reich aufgeschlossenen Kreise des hiesigen Deutschtums“ müsse so rasch wie nur möglich überwunden werden.Der Gedanke kehrt wieder in der Formulierung: „unsere Aufgeschlossenheit für die Einwirkungen aus dem Reich“ könnte durch „die Früchte der Reaktion“ lahmgelegt werden. Er unterstreicht abschließend, welche „Bedeutung diese Aufgeschlossenheit des hiesigen Deutschtums für alle geistigen Auswirkungen aus dem Reich nicht nur unter dem Gesichtspunkt seines eigenen Bestandes, sondern auch im Interesse des Reiches selbst“ habe.

Der Streit Friedrich Müllers mit der Kirchen- und Volksgruppenführung

Wie konnte es zwischen dem überzeugten gemäßigten Nationalsozialisten Friedrich Müller und der Volksgruppenführung des Andreas Schmidt und Bischof Staedel zum Eklat kommen? Zwar lehnte Müller den extrem radikalen Nationalsozialismus eines Waldemar Gust ab, aber nicht die Errichtung des Volksgruppenregiments im November 1940. Besonders aufschlussreich für Müllers politische Einstellung bis August 1944 sind seine Worte: „Ich traute der Versicherung Hitlers, die er in seinen Reden immer wieder abgab, dass er an Gott glaube und jeden Gottesglauben achte [...]. Ich traute Hitlers Versicherung in der großen Programmrede im Frühjahr 1939, deren Position dann propagandistisch immer wieder ausgewertet wurde: Der Nationalsozialismus sei keine Ausfuhrware, sondern stelle einen Weg dar, das deutsche Volk zur Erfüllung seiner Aufgabe tauglicher zu machen [...].“[1] Auch der Verlauf des von Hitler am 1. September 1939 vom Zaun gebrochenen, sich dann ab 1941 zum Zweiten Weltkrieg ausweitenden gigantischen Ringens über den ganzen Erdball scheint keinen besonderen Wandel in Müllers politischer Einstellung zum Nationalsozialismus bewirkt zu haben. Das zeigen seine Ausführungen in der Predigt vom 31. August 1941 „Wovon und wozu befreit Christus?“[16], in der er neben antijüdischen Äußerungen auch auf den Russlandfeldzug einging und sagte: „Und das ‚Heil Hitler’ wird gerade uns Christen in diesen Tagen zum Gebet. Hier handelt der Führer ganz gewiss als Gottes Werkzeug.“ Ein Schreiben von Rudolf Brandsch an Müller, in dem Brandsch unter anderem behauptet, dass Staedel sich nicht mehr für den Nationalsozialismus exponiert habe als Müller[17], beweist ebenfalls Müllers Neigung zum Nationalsozialismus. Müller nahm nach 1940 zuerst eine abwartende Stellung ein. Er wusste, dass Glondys mit der neuen Naziführung unter Andreas Schmidt nicht klar kommen werde, darum hoffte er, den Bischofsstuhl besetzen zu können.
Anfangs herrschte noch keine Klarheit über die Umgestaltung der Schulen, Vereine, Nachbarschaften, Bruder- und Schwesternschaften, was Müller Glondys am 2. Dezember 1940 in seinem Lagebericht mitteilte.[1] Müller sagte auch, „die SS habe die Herrschaft angetreten“.[18] Nachdem Glondys den Bischofsstuhl im Februar 1941 unter Nazizwang räumen musste, keimte in Müller die Hoffnung auf, von seinem Vorgänger das Bischofsamt übernehmen zu können. Dies geht aus einer „Denkschrift“ des Bischofs Wilhelm Staedel hervor.[19] Staedel schreibt: „Als wir nach meiner Erwählung zum Bischof am 16. Februar 1941 in feierlichem Zuge zum Haus der Landeskirche gingen, sagte mir der zur Linken schreitende Stadtpfarrer und Bischofsvikar D. Friedrich Müller etwa Folgendes: er habe Gott im Gebet angerufen, dass er die Wahl nicht zu seinen Gunsten ausgehen lassen möge, weil es keine kleine Sache sei, die ungeheure Verantwortung dieses Amtes in der Jetztzeit zu tragen. Diese Äußerung hat mich damals recht seltsam berührt, denn sie kam von dem Manne, der am 1. Januar desselben Jahres in der Sitzung des Hermannstädter Presbyteriums sich mit allen möglichen Mitteln gegen meine Kandidatur zum Bischof gewendet hatte, wohl weil er in mir den gefährlichen Rivalen witterte [...]. D. Müller war einer der Ersten, der nach dem Abkommen mit der Volksgruppenführung gerufen hat, und es muss seltsam berühren, dass er nachher dann auf verschiedene Weise und mit wechselnden Ansatzpunkten Widerstand geleistet hat [...].“ Auch eine „Niederschrift“ von Andraes Schmidt bestätigt dies: „Stadtpfarrer Müller ist mein Landsmann und hatte versucht, durch mich Bischof zu werden [...].“[20] Das gleiche behauptet auch Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt: „Der Stadtpfarrer in Hermannstadt, Bischofsvikar Müller, stellt sich seit längerer Zeit der Führung der Deutschen Volksgruppe sowie dem Bischof Staedel der Deutschen Evangelischen Landeskirche in Rumänien entgegen. Er ist vom Volksgruppenführer Andreas Schmidt seinerzeit als Anwärter für den Bischofsposten abgelehnt worden. Seitdem hat sich das bis dahin gute Verhältnis zwischen dem Stadtpfarrer Müller und dem Volksgruppenführer zunehmend verschlechtert.“[21] Der Nachfolger von Glondys stand in der Person des Altnazi Wilhelm Staedel fest, und dieser wurde am 23. Februar als Bischof installiert.
Müller verhielt sich zunächst ruhig, entschloss sich aber in der Sitzung des Landeskonsistoriums vom 20. November 1941, in der die Übergabe des Schulwesens an die Volksgruppe beschlossen wurde, zu opponieren. In einer Erklärung legte Müller seinen Standpunkt hinsichtlich des Dekretgesetzes 977 vom 7. November 1941 dar.[1]Er war der Ansicht, dass das Dekretgesetz, „zusammen mit dem Verlangen der Volksgruppenführung, das Schulwesen der evangelischen Landeskirche A.B. sofort und ohne vorangehende rechtliche Regelung aller damit aufgeworfenen Fragen in den von diesem Dekretgesetz geschaffenen Schultypus überzuführen“, für die „Kirche und Schule“ die „schwersten Gefahren“ mit sich bringen werde. Die Beschlussvorlage sei ungenau und daher rechtswidrig, darum könne sie in dieser Form nicht angenommen werden. Außerdem stehe dem Landeskonsistorium laut Paragraph 93, Punkt 4, der Kirchenordnung nur die Schulaufsicht, die Schulleitung und Schulförderung zu. Die rechtliche Zuständigkeit zur Übergabe der Schulen an die Volksgruppenführung sei Sache der einzelnen Gemeinden, weil sie die juristischen Personen des öffentlichen Rechtes darstellten und die Schulen ihr Eigentum seien. In einem hektographierten Informationsbrief teilte Müller seine Erklärung mit grundsätzlichen Einwänden unter der Überschrift „Unsere Kirche und Schule in Gefahr“[22] den evangelischen Glaubens? und Volksgenossen in Hermannstadt mit der Bemerkung mit, dass der Beschluss „dem Landeskonsistorium durch Parteidruck aufgezwungen“ worden sei. Diese Tatsache veranlasste die nationalsozialistische Fraktion des Landeskonsistoriums daraus einen Fall der schweren Beleidigung und Ehrverletzung zu konstruieren. Da Müller von seinem Standpunkt während den Verhandlungen des Landeskonsistoriums vom 20. März 1942 ? an denen Dr. Hans Otto Roth nicht teilnahm[23] ? nicht abwich, leitete die nationalsozialistische Fraktion ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein und enthob ihn mit sofortiger Wirkungseines Amtes als Bischofsvikar.[24]
Nichts spricht dagegen, dass Friedrich Müllers Abwendung vom radikalen Nationalsozialismus der Volksgruppenführung aufrichtig war. Zwar nahm dieser Schritt ein Jahr in Anspruch – im Schreiben vom 25. April 1941 an Bischof Staedel erwähnt er, dass er „schon am 10. Dezember 1940“ dem Volksgruppenführer eine Aufzeichnung über die Regelung des kirchlichen Vermögens und die Erhaltungsmittel für die Kirche überreicht habe ?, doch Müller entschied sich mit allen Konsequenzen dafür. Darum ist es hier angebracht, sich die Frage zu stellen, warum Müller sich vor der Bischofswahl am 16. Februar 1941 für das Abkommen der Kirche mit der Volksgruppenführung einsetzte und es danach ablehnte?
Müllers Verbitterung über die Kirchenfeindlichkeit der Volksgruppenführung und die Erkenntnis, dass die Nazi-Führung die totale Zerschlagung der Landeskirche anstrebte, ist zweifelsohne darin zu suchen, dass Volksgruppenführer Andreas Schmidt sich für Staedel und nicht für ihn als Bischof entschieden hatte. Das war der auslösende Punkt, weshalb Müller das Gesamtabkommen der Kirche mit der Volksgruppenführung, das auf der 39. Landeskirchenversammlung (31. Mai 1942) angenommen wurde, bis zum 18. November 1943 ablehnte und es ab diesem Datum akzeptierte.[1]
Müllers Option für die gemäßigten Nationalsozialisten beruhte auf seinem betonten Deutschglauben.[1] In der Amtszeit von Bischof Glondys (14. November 1932 – Februar 1941) war Müller bestrebt, ein gewisses Gegengewicht zu seinem ewigen Rivalen Glondys zu erlangen, was nur auf politischer Ebene zu erzielen war. So war auch aus dieser Konstellation her die Zusammenarbeit Müllers mit den gemäßigten Nationalsozialisten vorgegeben.Durch die versagte Unterstützung trug Müller zweifelsohne zum Sturz von Glondys bei, obwohl er nach außen hin behauptete, Glondys hätte das Bischofsamt nicht niederlegen dürfen. Er hoffte, nun dessen Stelle besetzen zu können, was aber missglückte, weil die radikalen Nationalsozialisten, die inzwischen die Volksgruppenführung übernommen hatten, nichts von freien Bischofswahlen hielten. Müller verkannte offenbar die politische Skrupellosigkeit der Nationalsozialisten um Andreas Schmidt sowie das Prinzip des Fraktionszwangs, das er in seinen zahleichen Beschwerdeschreiben in den Jahren 1941-1943 wiederholt anprangerte. 
Wie war das möglich bei einem Mann, der angeblich einen guten „politischen Riecher“ gehabt haben soll? Das hatte er im Fall Glondys unter Beweis gestellt, doch auf seine eigene Person scheint er es nicht bezogen zu haben. Soll der Grund dafür nur Selbsttäuschung gewesen sein? Manches spricht dafür, dass Müller sich seines Rückhalts in der siebenbürgisch-sächsischen Pfarrerschaft bewusst war und mit diesem Pfand in die Bischofwahl zog. Er hatte sich nicht geirrt, weil er sowohl auf Gemeinde- wie auf Kirchenbezirksebene besser als der Nationalsozialist Staedel abschnitt. Doch dass das eigentliche Wahlergebnis die Nationalsozialisten in keiner Weise beeindrucken würde, damit scheint Müllers kirchendemokratisch geprägtes Denken nicht gerechnet zu haben. Er hätte sich darauf einstellen müssen, dass die Volksgruppenführung auf jeden Fall einen Parteigenossen auf den Bischofsstuhl hieven würde und dass der altgediente Parteigenosse Wilhelm Staedel dafür vorgesehen war. Müller glaubte offenbar, dass sein Kokettieren mit den radikalen Nationalsozialisten des Andreas Schmidt ausreichen würde, seinen Lebenstraum zu erfüllen. Als er in seinen Erwartungen zutiefst enttäuscht wurde, fand er in die Rolle zurück, die ihm als Bischofsvikar bereits zur Zeit Glondys zugestanden hätte, die er aber aus verbissener Gegnerschaft zu seinem Vorgesetzten nicht entsprechend wahrnehmen wollte.[1]
Müllers Kampf gegen die Absichten der Volksgruppenführung, die Schulen aus der kirchlichen Obhut zu lösen und die Kirche über das System des Fraktionszwangs ganz zu lähmen, sollte auch seinen gekränkten Ehrgeiz befriedigen. Doch es gab zweifelsohne auch weitere Beweggründe, die Müller zum Widerstand gegen Andreas Schmidt und Bischof Staedel bewegten: die Gewissheit, dass die Pfarrer, die ihm ihre Stimme bei der Bischofswahl gegeben hatten, weiterhin hinter ihm standen, und das in sicherlich nicht geringer Zahl; dann die Überzeugung, dass er die Kirche mit den Mitteln zu verteidigen habe, die er souverän handhabte, nämlich das konstitutionelle und administrative Kirchenrecht. Das tat er auch in glänzender Weise und darum wird man an Müllers Mut, wie er sich gegen Volksgruppenführer Andreas Schmidt und Bischof Wilhelm Staedel durchzusetzen versuchte, nicht zweifeln. Seine Äußerung, dass ihm die Augen während einer „Generalversammlung des Gustav Adolf-Vereins in Leipzig“[1] geöffnet worden seien, „wie systematisch der Glaubensabfall im deutschen Volk vorgetrieben wurde und wie dadurch die sittlichen Maßstäbe ihre Kraft zu verlieren begannen“, mag aus der Rückschau Müllers wohl stimmen. Die unbelegten Behauptungen, die Predigten von Bischof Graf von Galen und die „Protestschreiben“ des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm hätten ihn nach seiner Rückkehr aus Deutschland bewogen „vor die Versammlung“ der Pfarrer zu treten, um diesen die „Vorgänge in Deutschland“ zu erläutern[25], sind nicht glaubhaft. In dieser Zeit war es nicht möglich, vor eine „Pfarrerversammlung“ oder vor die „Theologische Prüfungskommission“ der Landeskirche zu treten, „um deren Mitgliedern“ die Vorgänge in Deutschland zu schildern;[26] weil grundsätzlich jedes Verhalten, das sich dem totalitären Erfassungszwang und Gleichschaltungsdrang der Volksgruppenführung zwischen 1941 und 1944 entzog, von den Nazis bekämpft und vereitelt wurde.
Müllers Darstellung in seinen Erinnerungen steht somit in einem auffälligen Widerspruch zu seinen Äußerungen in der „Disziplinar-Selbstanzeige“ vom 6. Juni 1942[1], in der er behauptet, dass ihm die „Protestschreiben“ Wurms und die „Predigten“ des Bischofs Graf von Galen „von Angehörigen der deutschen Wehrmacht, die unter uns weilten, zur Verfügung gestellt worden“ seien. Außerdem seien diese im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien ohnehin schon bekannt gewesen, er „habe zur Verbreitung dieser Schriften nicht nur nichts getan, sondern sie gleich zurückgegeben“.[27]
Diese zweideutigen Ausführungen in seinen Erinnerungen wecken Misstrauen und beweisen seine Absicht, wichtige Tatsachen und die persönliche Einstellung zur politischen Realität der Zeit zu entstellen. Sein im Geiste der gewachsenen Kirchendemokratie geführter Kampf war gegen ein mit totalitärer Skrupellosigkeit operierendes Herrschaftssystem, hinter dem die Mehrheit (ca. 80%) der evangelischen Pfarrer stand, aussichtslos. Und so entschied sich auch Müller, das Abkommen zwischen Kirche und Volksgruppenführung am 18. November 1943 anzuerkennen und sich für dessen Durchführung einzusetzen.
Es ist zu vermuten, dass gerade der quasi-religiöse Zug nationalsozialistischer Massenveranstaltungen, der der Sehnsucht vieler Deutscher in Rumänien entgegenkam, dahinter steckt. Denn er überwand äußerlich die Folgen von ökonomischen Gegensätzen sowie die Zerrissenheit und den Glaubensverlust. Er vermittelte – in den dafür vorgesehenen institutionalisierten außeralltäglichen Situationen – das Gefühl einer „Gemeinschaft“, wobei die Glaubensgemeinschaft in eine Hingabebereitschaft der Person transformiert wurde.
Dass Müller all das in seinen Erinnerungen umzudeuten versucht und andere für sein Hin? und Herlavieren zwischen den politischen und religiösen Fronten, was in dem vorhandenen Quellenmaterial reichlich bewiesen wird, verantwortlich macht, mutet jene, die die historische Entwicklung im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien kennen, sonderbar an.
Wie zu beweisen sind wird, hat Müller seine Gestalt mit einer Märtyreraura umgeben. Um die Bedeutsamkeit seines Widerstandes gegen die Einverleibung der Schulen durch die Volksgruppenführung, die bestrebt war, eine sogenannte „Nationalschule“ zu errichten, von der schul?, kirchenrechtlichen und von der ideologischen Motivation abzukoppeln, die nach 1945 ohnehin niemand mehr verstehen würde[1], konzentrierte sich Müller ganz und gar auf seine eigene Person. So erdichtete er den Mythos, er sei während seines Zwangsaufenthaltes in Berlin (August – Oktober 1942) der Einweisung ins „Konzentrationslager Sachsenhausen“ knapp entgangen.[28]Die unhaltbare Behauptung Müllers, Unterstaatssekretär Luther habe auf einen „erlogenen Bericht“ von Generalkonsul Rodde[29] seine Einweisung „in der kommenden Nacht um 1 Uhr ins Konzentrationslager Sachsenhausen“ verfügt[30], ist eine Erfindung Müllers, ebenso die Behauptung: „Killingers wirklicher Auftrag ging dahin, mich nach Berlin zu locken, dort zu überwachen, meinen Verkehr mit ‚Staatsfeinden’ (gemeint war der Kreis um Martin Niemöller) festzustellen und mich daraufhin zu verhaften“.[31] Aus dem Schriftverkehr zwischen Staatssekretär von Weizsäcker und Luther sowie zwischen Legationsrat Triska vom Auswärtigen Amt und Luther ist von einer „Einweisung“ Müllers ins KZ keine Rede.[32]
Bereits drei Wochen nach der Ankunft Müllers in Berlin, wo er auf Veranlassung der Volksgruppenführung[1], des deutschen Gesandten von Killinger in Bukarest und der VOMI weichgekocht werden sollte, um seine Opposition gegen die Kirchenpolitik der Volksgruppenführung und der Kirchenleitung unter Bischof Staedel aufzugeben, legte AR Fleißner dem Chef der Abteilung Deutschland, Unterstaatssekretär Luther, am 20. August 1942 eine Notiz vor, in der es ausdrücklich heißt, dass es bisher keinen Anlass gegeben habe, gegen Müller einzuschreiten.[33] Mehr noch, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD[34] benachrichtigt das AA am 20. August 1942, dass „trotz der eingehend durchgeführten Überwachung“ Müllers es nicht möglich war, „Müller eine Verbindung mit staatsfeindlichen Kreisen oder eine staatsfeindliche Betätigung nachzuweisen.“
Auch Müllers märtyrerhaft angehauchte Schilderung[1], durch das Eingreifen des „entschiedenen Christen“ Staatssekretär von Weizsäcker sei der Plan von Luther in letzter Minute vereitelt worden, ihn ins KZ Sachsenhausen zu verbringen[35], wird von dem Schreiben Luthers vom 17. September 1942 an von Weizsäcker[36] als Schwindel entpuppt. Luther schlägt angesichts der gescheiterten Versuche, Müller im Reich zurückzuhalten, vor, den Bischofsvikar zurückreisen zu lassen. Luther eröffnete Müller vor der Abreise, „das AA erwarte von ihm als Angehörigen des deutschen Volkes, dass er sich nach seiner Rückkehr in Rumänien jeglicher politischen Tätigkeit fernhalte und nichts unternehmen werde, was der Deutschen Volksgruppe schädlich sein könnte.“
Auch die vor Müllers Abreise aus Berlin am 2. Oktober 1942 zwischen Legationsrat Büttner vom AA, Andreas Schmidt, Generalkonsul Rodde vom Konsulat in Kronstadt, Legationsrat Triska vom AA, Gunesch von der VOMI, Müller und Pfarrer Dr. Wilhelm Arz getroffene Vereinbarung[1], die die Anreise des Volksgruppenführers und des Generalkonsuls erforderte, spricht entschieden gegen Müllers KZ-Märchen. 
Als eine merkwürdige fantasievolle Geschichte erscheint die Behauptung Müllers: „Während ich in Berlin an der Rückreise gehindert wurde, verbreiteten meine Gegner in der Heimat: Ich dürfe nie mehr zurück; oder: Ich sei in ein Konzentrationslager abgeführt; gar (z.B. in meiner Heimatgemeinde, in Anwesenheit meiner Anverwandten): Ich sei schon erschossen worden.“[1] Wenn seine Gegner derartige Gerüchte verbreitet hätten, wären große Unruhen in der deutschen Bevölkerung ausgebrochen und die Volksgruppenführung hätte ihr Ansehen verloren, und genau das wollte sie vermeiden.
Nach seiner Ankunft in Hermannstadt (4. Oktober 1942) bat Müller Staedel telefonisch, ihn zu empfangen, um ihm die Berliner Vereinbarung mitzuteilen.[1] Da aber Staedel nach Berlin vorgeladen war, wo ihm Legationsrat Büttner den Inhalt der Vereinbarung vom 2. Oktober 1942 erläuterte, konnte eine Begegnung zwischen Müller und Staedel erst am 29. Oktober 1942 stattfinden.[37] Nachdem Müller Staedel die Vereinbarung mündlich mitgeteilt hatte, äußerte Staedel den Wunsch, ihm diese auch schriftlich vorzulegen, was Müller noch am gleichen Tag tat.[38] Erst am 11. November 1942 erhielt Müller von Staedel die Bedingungen[39], unter welchen das Landeskonsistorium bereit war, den Streitfall zu bereinigen. Die Bedingungen des Landeskonsistoriums, die einer totalen Unterwerfung gleichkamen, veranlassten Müller, Staedel einen umfassenden Gegenvorschlag vorzulegen.[40] Da Staedel kein Entgegenkommen zeigte und Müller an seinen Bedingungen festhielt[41], brach Staedel den Schriftverkehr mit den Worten ab: „Ihre Darlegungen auf meinen letzten Klärungsversuch hin, beweisen mir unwiderleglich, dass wir uns bereits über die Grundvoraussetzungen für eine Befriedung nicht einigen können und dass Sie nicht gewillt sind, Ihren starren Standpunkt auch nur in einem einzigen wesentlichen Punkte aufzugeben. Infolgedessen sehe ich meinerseits keine Möglichkeit mehr, die ehrlich angestrebte Befriedung durchzuführen, und so habe ich mich entschlossen, die ganze Angelegenheit wieder der Stelle abzutreten, die seinerzeit eine friedliche Austragung veranlasst hat: dem Auswärtigen Amt bzw. der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest.“[42]
Daraufhin wandte sich Müller in einem ausführlichen Brief an Legationsrat Büttner vom Auswärtigen Amt mit der Bitte, dafür zu sorgen, dass die Berliner Vereinbarung vom 2. Oktober 1942 durchgeführt und ihr eine entsprechende Bereinigung“ zuteil werde[1], andernfalls würde ihm „nur der Weg gerichtlicher Bereinigung“ offen bleiben. Wie zu erwarten war, legte Staedel dem deutschen Gesandten von Killinger seinen Standpunkt schriftlich dar , dem er den ganzen Schriftverkehr zwischen Müller und ihm beifügte.[43] Daraus ist zu entnehmen, dass die „Friedensbereitschaft“ gescheitert war, weil Müller Staedels Feststellung nicht gelten lassen wollte, „dass der ‚Kirchenstreit’ ursprünglich durch seine Flugschrift entfesselt worden“ sei. Da sowohl Müller als auch Staedel die gegenseitigen Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen wollten, blieb der Konflickt bis zum 18. November 1943 offen, worüber wir bereits berichteten.[44]
Sodann steht ein weiterer Fragenkomplex dagegen, dass das AA jemals erwog, Müller in einem KZ verschwinden zu lassen. Interessanterweise war es Müller selbst, der in seinem einzigen Schreiben an Staatssekretär von Weizsäcker vom 24. August 1942[1] auf die politischen und diplomatischen Verwicklungen aufmerksam machte, die seine Festhaltung im Reich zur Folge haben würden. Wie schwerwiegend die Befürchtungen des AA, des Staatssekretärs von Weizsäcker persönlich waren, dass der Fall Müller die rumänische Regierung auf den Plan rufen könnte, belegt das Schreiben von Weizsäckers an die von Unterstaatssekretär Luther geleitete Abteilung Deutschland (10. September 1942), in dem es u. a. heißt, dass die rumänische Regierung den Fall „mit einem für uns unerwünschten Ablauf“ aufnehmen wird, wobei der deutsche Gesandte in Bukarest, von Killinger, dem Vorwurf ausgesetzt würde, „einen rumänischen Staatsangehörigen in eine Falle gelockt zu haben.“ Zu so einem Vorwurf dürfe es keinesfalls kommen.[45] Dieses Schreiben bringt die äußerste Massnahme zur Sprache, die das AA jemals gegen Müller im Visier hatte, ein Strafverfahren, das von der Abteilung Deutschland vorgeschlagen wurde. Doch von Weizsäcker sieht keine politische Möglichkeit, Müller mit oder ohne Strafverfahren im Reich festzuhalten.
Auf derselben Linie liegt auch ein Telegramm des Generalkonsuls Rodde vom 25. 08. 1942 an die VOMI, in dem die Absicht der Volksgruppe, d. h. dem Volksgruppenführer persönlich, mitgeteilt wird, Müller nach Rumänien zurückzuschicken. Es ist auch hervorzuheben, dass Müller am 15. September 1942 das AA[1] in Verbindung mit seiner unzumutbaren finanziellen Lage darauf aufmerksam machte, dass er „keine Schritte für eine Devisengenehmigung getan hatte und sie hier (in Berlin) nicht nachholen konnte, ohne die rumänische Gesandtschaft und damit die rumänische Regierung“ auf seinen Fall „aufmerksam zu machen.“ Es ist also nicht verfehlt, von der „rumänischen Karte“ zu sprechen, die Müller geschickt zur eigenen Abschirmung in Berlin einsetzte. Mit obiger Bemerkung nimmt er eigentlich das AA in die Pflicht, ihm einen menschenwürdigen Aufenthalt in Berlin bzw. die Rückkehr in die Heimat zuzusichern als Gegenleistung dafür, dass er es unterließ, sich in seiner finanziellen und persönlichen Bedrängnis eben an die diplomatische Vertretung zu wenden, die ihn als rumänischen Staatsangehörigen in Berlin vertrat.
Die relativ kurz gehaltene Schilderung seines Berliner Aufenthalts[1] ist ein Beispiel dafür, mit welcher Vorsicht Erinnerungstexte als Informationsquelle heranzuziehen sind, zumal dann, wenn sie auf Ereignisse Bezug nehmen, die zwanzig Jahre zurückliegen. So bringt Müller nicht nur die Chronologie der Ereignisse durcheinander, sondern erdichtet auch Tatsachen. Er idealisiert Staatssekretär von Weizsäcker und den Diplomaten Bernd von Haeften dermaßen, dass er sie mit Ereignissen in Verbindung bringt, bei denen andere maßgeblich waren. Nur zwei Beispiele: Das am 25. August 1942 mit von Stutterheim im AA geführte Gespräch datiert Müller auf den 12. September 1942 und schreibt es von Haeften zu. Ein von Müller über sein Wortgefecht vom 25. August 1942 mit Generalkonsul Rodde verfasstes Gedächtnisprotokoll soll „sofort nach dem Vorfall“ „zu den Akten gelegt“ worden sein.[46] Dagegen spricht der im Archiv des Auswärtigen Amtes überlieferte Text, den Müller zwar am 25. August 1942 verfasste, aber nach Aussage des Textes erst am 21. September 1942 an Legationsrat Büttner übergab. 
Wenden wir uns nun der Problematik des so genannten „Verteidigungsringes“ zu, den es in der von Müller und jüngst von Ulrich Andreas Wien[1] dargestellten Weise überhaupt nicht gab. Wien behauptet in breitspuriger Formulierung und ohne beweiskräftige Belege über den Müller’schen „Verteidigungsring“, „die meisten seiner Mitglieder“ seien „auch als ‚Bevollmächtigte’ öffentlich“ aufgetreten. Sie sollen in doppelter Funktion als „geistige Resistenz und realpolitisches Konfliktmanagement“ agiert haben. Dass Müller eigentlich mit der Beschwerde führenden Pfarrerschaft nichts zu tun hatte, wird noch zu zeigen sein. Eine kircheninterne Opposition gegen die Zwangsmassnahmen der Volksgruppenführung und des nationalsozialistischen Kirchenregiments unter Bischof Staedel gab es bereits in den Anfängen der Volksgruppe. So veranlasste die offizielle Auflösung der Bruder- und Schwesternschaften und der Frauenvereine im Mai 1941 die ersten oppositionellen Äußerungen. Eine vertrauenswürdige Quelle berichtet, dass Bischof Staedel auf der zwischen dem 11. und 15. August abgehaltenen Pfarrvereinsversammlung „im Zusammenhang mit der Herausgabe eines Nachrichtenblattes vom Pfarrverein“ gekränkt war und die Leitung des Vereins mit harten Vorwürfen überschüttete. In der Bibelarbeit, die zweimal von Bischof Staedel und einmal von Bischofsvikar Müller geleitet wurde, konnten „die Spannungen zwischen dem Bischof und dem Pfarrverein“ „durch Geduld auf beiden Seiten gemildert werden“.[47]
Die Spannung zwischen einem Teil der Pfarrerschaft und der Volksgruppenführung erreichte laut Müller ihren ersten Höhepunkt, nachdem der Pfarrvereinsausschuss Stellung gegen Schmidts Terror nahm. Damals „bildete sich ein Kreis von Pfarrern, die entschlossen waren, alles zu wagen, um die neuheidnische Gefahr abzuwenden“. Müller fährt im Namen der Gruppe fort: „Wir lehnten eine organisatorische Zusammenfassung dieser für die Kirche sich einsetzenden Verteidigungskräfte ab, [...]. Aber es trafen sich allmonatlich bei mir Pfarrer aus unseren wichtigsten Bezirken, berieten die jeweils wechselnden Angriffsrichtungen Schmidts und seiner Leute, um Abwehrmöglichkeiten zu finden [...]. Es hatte sich so, ohne dass wir wussten wie, ein Einlenken der erdrückenden Mehrheit der Pfarrerschaft in unserer Verteidigungslinie ergeben.“[1] Sicher gab es Kontakte zwischen Müller und den oppositionellen Pfarrern, doch Müllers Anspruch, in einer „Wir-Front“ mit diesen Pfarrern gestanden zu haben, ist nirgends, auch nicht durch den vertrauenswürdigen Hellmut Klima bezeugt, auch nicht die monatlichen Treffen in Müllers Haus.
Müller stellt sich in seinen „Erinnerungen“ zumindest als Berater, wenn nicht als geistiger Anführer der oppositionellen Pfarrerschaft bis zum Ende des Volksgruppenregiments dar. So auch in Verbindung mit der Reaktion der freiheitlich gesinnten Pfarrerschaft gegen das Rundschreiben Z. K. 1662/1942 „betreffend die Einheit des kirchlichen Handelns“ (auch als „Maulkorberlass“ bekannt). Müller schreibt: „In ausführlichen Beschwerdeschriften, deren von mir stammende Konzepte in Beratung mit Kampfgenossen ergänzt und ausgefeilt wurden, bekämpften wir diese Maßnahmen zur Einführung der Diktatur in der Kirche.“[1]
Die Belege aus dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes sprechen eine ganz andere Sprache. Man kann dem Beamten- und Politikerkreis des AA kaum vorwerfen, nicht über vertrauliche Informationen verfügt zu haben. Wenn Müller tatsächlich die zentrale Rolle eines Organisators und Beraters der oppositionellen Pfarrerschaft gespielt haben soll, dann würden die einschlägigen Urkunden in der Müller-Akte sich auch darauf beziehen, u. zw. hätte das zumindest als Grund für seine Festsetzung in Berlin erscheinen müssen, ebenso hätte eine oppositionelle Tätigkeit ab Mai 1943, auch auf der Seite der beschwerdeführenden Pfarrer, in den Akten ihren Niederschlag gefunden. Doch nichts dergleichen trifft zu!
Nach dem im Juni 1942 zwischen Landeskirche und Volksgruppenführung abgeschlossenen „Gesamtabkommen“, das die vollständige Dienstbarmachung der Landeskirche für die totalitären Ziele der nationalsozialistischen Volksgruppe sicherstellen sollte, gab es in der Pfarrversammlung vom 19. Februar 1943 einen erneuten Höhepunkt, als eine Eingabe der Pfarrvereinsleitung an das Landeskonsistorium verlesen wurde, in der „die Vorschläge betreffend die Dezentralisierung gemacht“ wurden. Es wurden „die Nachteile der Zentralisierung festgestellt. Die Einsender dieser Eingabe und der Bischofsvikar Müller sind der Meinung, dass die Volksgruppenführung uns die Grundlagen der christlichen Verkündigung entziehen will. Die Mehrheit nimmt die Eingabe freudig an.“[1] Die Pfarrerschaft hatte die totalitären Ziele der Volksgruppenführung, die eine vollständige Nazifizierung der Landeskirche anstrebte, erkannt und wehrte sich konsequent dagegen. Pfarrer Klimas Bericht ist auch dadurch bedeutsam, dass er zwischen Müller und den Einsendern der Eingabe klar unterscheidet. Hier wird die Vorgehensweise Müllers greifbar, sich zwar gedanklich, aber niemals organisatorisch mit der innerkirchlichen Opposition zu identifizieren.[48]
Müllers Anschluss an die innerkirchliche Opposition blieb Bischof Staedel sowie der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest und dem Auswärtigen Amt Berlin nicht verborgen. So informierte der Gesandte von Killinger am 31. Mai 1943 das Auswärtige Amt, Bischof Staedel habe berichtet, dass Müller „Unzufriedenheit besonders in oppositioneller Pfarrerschaft schüre“.[1]
Müller schrieb am 31. Juli 1943 an Legationsrat Büttner[1], der Kampf „maßgeblicher Persönlichkeiten“ für seine Beseitigung diene als Auftakt für die Beseitigung anderer Pfarrer, wozu schon Maßnahmen im Gange seien. Auch seien seine Amtsbrüder an ihn herangetreten mit der Bitte, „sich nicht niedertreten zu lassen, weil das den Angriffen gegen sie die Bahn öffnen würde.“ Müller gewissermaßen als das Schutzschild der oppositionellen Pfarrer! Eigentlich kommt hier der Status zum Ausdruck, den Müller durch seine unversehrte Rückkehr aus Berlin gewann und der von seinen Amtskollegen, aber auch von der in Kirchengemeinden zusammengefassten Bevölkerung, vor allem von den Hermannstädtern, geteilt und solidarisch unterstützt wurde. Müller nahm nun als Bischofsvikar und Hermannstädter Stadtpfarrer eine symbolische Stellung ein. Und er baute im Bewusstsein seines Rufes, ein Spitzenmann der Opposition gegen die Zwangsherrschaft zu sein, seine weitere Oppositionstätigkeit aus, wobei er sich auf die nicht unbedeutende Anzahl oppositioneller Pfarrer berufen konnte. Allerdings ist Müllers Warnung, dass seine Niederringung die gesamte Opposition mit in den Abgrund reißen könnte, eine Übertreibung und ein Ausdruck seines Bewusstseins, eine zum Symbol mutierte Persönlichkeit zu sein.
Müllers eigentlicher Standort in der Oppositionsfront kommt auch im Schreiben des Generalkonsuls Rodde an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest zur Sprache.[1]Rodde informiert, dass er „Müller gebeten habe, „auch auf alle anderen Personen einzuwirken, die im Augenblick beabsichtigen, gerichtlich gegen die Volksgruppe vorzugehen“. Müller habe versprochen, das, „soweit es in seinen Kräften stünde“, zu tun. Müllers Versprechen liegt zeitlich zwischen dem skandalösen Ereignis im Zeidner Waldbad, wo Volksgruppenführer Andreas Schmidt zusammen mit zwei Mitgliedern des Landeskonsistoriums und anderen Gefährten beim Herannahen mehrerer Pfarrer Christus und den christlichen Glauben lästerten (18. August 1943), und der Ankunft des Schlichterausschusses, der den Abschluss der Vereinbarung vom 18. November 1943[49] zwischen Müller, Staedel und Schmidt herbeiführte. Wie bereits erwähnt, hatte sich Müllers Stellung gegenüber seinen Widersachern nach der unversehrten Rückkehr aus Berlin (4. Oktober 1942) beträchtlich gefestigt. Daher ist nun einer der heftigsten Gegner Müllers, Generalkonsul Rodde, auf Müllers Einfluss auf die Opposition, diesmal die politische, angewiesen.
Müllers symbolische Stellung im Oppositionsgefüge wird auch durch folgende Eintragung von Altbischof Glondys belegt: „Ich erzählte dem Bischofsvikar, dass ich am 7. Oktober ein Schreiben vom Landeskonsistorium in der Angelegenheit der Vorfälle im Zeidner Waldbad erhalten hätte, worin ich eingeladen worden sei, die von mir mit 76 anderen unterfertigten Anzeigern [eingereichte Anzeige] gemäß § 13 D. O. [Disziplinarordnung] zu ergänzen.“[1] Das bedeutet, dass Altbischof Glondys als Kopf dieser Aktion angesehen wurde (und nicht Müller), weil seine Unterschrift auf dem Protestschreiben an das Landeskonsistorium vor der der anderen Unterzeichner stand.
Auch in Verbindung mit der Vereinbarung vom 18. November maßt sich Müller eine Rolle an, die er so niemals spielte. Er schreibt: „Da aber in dieser Endphase der Auseinandersetzung für uns alles darauf ankam, Zeit zu gewinnen, halte ich es auch heute, aus der Rückschau für richtig, dass ich die Verantwortung für diesen Befriedungsversuch übernahm, worin ich damals dann durch die widerspruchslose zur Kenntnisnahme der Schlichtungsvereinbarung durch alle Kirchenstellen eine mein Gewissen sehr beruhigende Entlastung erfuhr.“[1] Müller tut so, als ob er das Zustandekommen der Vereinbarung veranlasst und auch bewerkstelligt habe. Doch das erstere ging eigentlich darauf zurück, dass das Auswärtige Amt und das Kirchliche Außenamt zur Überzeugung gelangt waren, dass es keine andere Schlichtungsmöglichkeit gab, nachdem Müller Anfang August und erneut am 31. August 1943 das durch das Kirchliche Außenamt und durch das Auswärtige Amt im Einvernehmen mit der Volksgruppenführung und der VOMI vorgeschlagene Schiedsgericht in Berlin ablehnte. Ferner pochte Müller wiederholt auf die „dringende[r] Durchführung der Berliner Vereinbarung vom 2. Oktober 1942“[50], das die außergerichtliche Beilegung seiner Streitsache mit dem Landeskonsistorium, mit Bischof Staedel und mit der Volksgruppenführung vorsah.
Zusammenfassend kann behauptet werden, dass Bischofvikar Friedrich Müller von einer großen, um nicht zu sagen übergroßen Loyalität gegenüber der Volksführung erfüllt war, und er war der herkömmlichen evangelischen Haltung verhaftet, „im Kriege enge Verbindung mit dem Volk zu pflegen, auf den siegreichen Ausgang des Krieges zu hoffen und dafür zu beten“. Müller sah es als seine Pflicht an, auch noch den Aufruf zum totalen Krieg zu unterstützen. 
Nach dem Dargestellten dürfte nun klar sein, dass Müller seinen ausschließlich persönlichen Konfliktfall in gekonnter Weise mit den Aktionen der beschwerdeführenden Pfarrer verband und Verdienste um die innersiebenbürgische Befriedung für sich usurpierte.
Auch ist es bezeichnend, dass Müller in keinem der überlieferten Brieftexte, die er vor oder nach seiner Rückkehr aus Berlin an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest, an das Auswärtige Amt in Berlin oder an den Hauptakteur des Schlichtungsausschusses, Generalkonsul Lierau, richtet, jemals im Namen der kircheninternen Opposition, sondern ausschließlich über seine eigene Lage, über die Angriffe seiner Gegner schreibt, eigene Lösungsvorschläge unterbreitet und die Einhaltung erzielter Vereinbarungen wiederholt einfordert, über die Nichteinhaltung der Kronstädter Vereinbarung vom 18. November 1943 oder über geführte Gespräche unterrichtet. Die eingesehenen Urkunden belegen einwandfrei, dass die Opposition der siebenbürgisch-sächsischen Pfarrerschaft unabhängig von den ausschließlich persönlichen Initiativen Müllers aufkeimte und sich entfaltete, wobei Müller immer vorsichtig genug war, sich davon zu distanzieren, aber nicht davor zurückschreckte, die Aktivitäten der Opposition in den Dienst seiner eigenen Sache zu stellen. Dass es bei seinen Vorstößen nicht um die Belange der Pfarrerschaft, sondern eigentlich um seine eigene, persönliche Sache ging, belegt unter anderem die Formulierung in einem Schreiben der Deutschen Gesandtschaft Bukarest an Müller vom 5. August 1943[1]: die „Erledigung Ihres Falles“ und die „Beseitigung der wegen Ihrer Person und Haltung bestehenden Differenzen“.
Dass Müllers Opposition ein Alleingang war, legt auch der Vereinbarungstext vom 18. November 1943, der von Andreas Schmidt, Wilhelm Staedel, Friedrich Müller, Generalkonsul Lierau und Konsistorialrat Bischof Heckel, aber von keinem Vertreter der mehrheitlichen Pfarreropposition unterzeichnet wurde, nahe. Die Beschwerdeführenden werden nur im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Bestellung von Bevollmächtigten und deren Anhörung genannt. Auch soll nicht unerwähnt bleiben, dass Müller nach der Kronstädter Vereinbarung ein einziges Schreiben an reichsdeutsche Stellen, nämlich an Generalkonsul Lierau, am 9. Januar 1944 richtete, und das auch nur veranlasst durch ein Schreiben Lieraus zum Jahreswechsel. Demnach wurde es nach dem 18. November 1943 um den Oppositionellen Müller sehr still. Hatte er sich doch in der Kronstädter Vereinbarung verpflichtet, die Beschlüsse der 39. Landeskirchenversammlung (31. Mai – 3. Juni 1942, u. a. auch die Bischofsinstallation Staedels) „und damit vor allem auch das Gesamtabkommen zur Regelung des Verhältnisses der evangelischen Landeskirche A. B. zur Deutschen Volksgruppenführung in Rumänien“ anzuerkennen. Außerdem hatte er „sich als Stellvertreter des Bischofs zur Durchführung desselben besonders verpflichtet.“
Bemerkenswert sind die Angaben von Generalkonsul Lierau im „Bericht zur Vereinbarung vom 18. November 1943“ vom 26. November 1943[1] und in der „Aufzeichnung über die Verhandlungen der Kommission zur Befriedung der kirchlichen Auseinandersetzung in Siebenbürgen“ von Bischof Heckel.[51] Müller äußerte während der Verhandlungen die Befürchtung, „dass womöglich viele andere Pfarrer, für die er die Verantwortung nicht übernehmen könne, sich nicht an die von ihm unterschriebene Verantwortung gebunden fühlen werden“. Diese Information belegt, dass Müller sich einerseits anmaßte, bei den Verhandlungen und dann als Unterzeichner der Vereinbarung die Pfarrerschaft zu vertreten, andererseits aber einräumte, dass es viele Pfarrer gab, die nichts von einer Befriedung hielten. Lierau berichtet auch, „die weit überwiegende Zahl der Pfarrer stand in diesen Fällen [den Disziplinarverfahren des Landeskonsistoriums gegen einige Pfarrer, den Beschwerden, dem Zwischenfall im Zeidner Waldbad] gemeinsam mit Müller gegen das Kirchenregiment“. Auf diese Solidarität baute Müller, und die setzte er auch geschickt zur Abwehr der Angriffe gegen sein Amt und seine Person ein.
Müllers Statur gewann nach der „Vereinbarung“ sichtlich an Gewicht. Am 9. Januar 1944 schrieb er Lierau[1], er sei von Pfarrern besucht worden, die neue Konflikte auszutragen hätten. Gleichzeitig betont er, er könne nicht verstehen, inwieweit diese Pfarrer eigene Wege gingen, weil er „ja auf zufällige Fühlungsnahme und Informationen angewiesen“ sei. Für Müllers Statusgewinn spricht auch die Mitteilung Lieraus an das Auswärtige Amt vom 3. März 1944[52], „unser Hauptgegner, Bischofsvikar Müller“, habe „sein Versprechen, seinen großen Einfluss auf die oppositionellen Pfarrer geltend zu machen, nach Aussage von Bischof Staedel bisher ehrlich erfüllt.“ Diese Textstelle belegt aber auch, dass Müller nach der Unterzeichnung der Kronstädter Vereinbarung seinen Autoritätszuwachs in den Dienst des nationalsozialistischen Kirchenregiments stellte, was den zwielichtigenCharakter seines Persönlichkeitsbildes wiederum vertieft.
Diese Strategie des Vergessens und der Umdeutung von Fakten und Ereignissen ist im Nachkriegseuropa vielerorts angewandt worden, vor allem in Frankreich, wo Charles de Gaulle ganz bewusst die peinliche Wahrheit über Vichy mit einem Mythos der „France résistante“ überdeckte. Aber man denke auch an Italien oder Österreich. Und wie war es mit der Bundesrepublik Deutschland der fünfziger Jahre?
Wichtig allerdings ist, dass Müller – auch wenn die Auseinandersetzung mit Andreas Schmidt und Bischof Staedel persönlichen Charakter hatte – die Methoden und Praktiken der Volksgruppenführung und Kirchenleitung gekonnt anprangerte und um die Bewahrung von Christentum und Kirche besorgt war. Aus seinen oben erwähnten Briefen erfahren wir, dass die Gleichschaltungsbestrebungen der nationalsozialistischen Volksgruppenführung bei der Leitung der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien Erfolg hatte, weil es ihr an organisatorischer Geschlossenheit und an theologischer Homogenität fehlte.
Aber das Problem, um das es sich hier geht, hat eine tiefere Dimension als nur taktische Erwägungen. Es rührt an sehr grundsätzliche Fragen, warum viele evangelische Christen der nationalsozialistischen Weltanschauung, die sie mit ihren Glaubensvorstellungen durchaus in Einklang zu bringen vermochten, mit offener Sympathie gegenüber standen. Und nur wenn man das berücksichtigt, kann man voll verstehen, was Opposition gegen die NS-Volksgruppenführung im Ganzen bedeutet hat. Es versteht sich, dass mit einem Andreas Schmidt oder Wilhelm Staedel keine Verhandlungen möglich waren. Dieser Sachverhalt verlieh dem sogenannten Oppositionellen D. Friedrich Müller um so größere Bedeutung, und zwar nicht für Zwecke der deutschen Volksgruppe, sondern im Rahmen persönlicher Anliegen. Denkt man an seine Niederlage bei der Bischofswahl am 14. November 1932, die er nur schwer verwinden konnte und an sein unkollegiales Verhältnis als Bischofsvikar zu Bischof Viktor Glondys nach 1932, den er bei wichtigen Entscheidungen nicht nur im Stich ließ, sondern gegen den er mit den gemäßigten Nationalsozialisten um Fritz Fabritius Front machte[1], sowie an die Niederlage bei der Bischofswahl am 16. Februar 1941, so leuchtet einem sofort ein, wie Müllers oppositionelle Haltung gegenüber Andreas Schmidt und Bischof Wilhelm Staedel bis November 1943 zu deuten ist.[53] Was einen jedoch bei der Lektüre seines umfangreichen Briefwechsels irritiert, sind die häufigen Widersprüche, erdichteten Äußerungen und vor allem die Hinnahme dessen, wogegen er verbissenen Widerstand geleistet haben will.
(Auszug aus dem demnächst erscheinenden Buch, "Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien und das Dritte Reich 1941-1945".)




August Georg Kenstler, Herausgeber der Monatsschrift „Blut und Boden“ und aktiver Vorkämpfer der nationalsozialistischen Agrarpolitik


Von Johann Böhm


August Georg Kenstler[54]
Einer der profiliertesten Vorkämpfer der nationalsozialistischen Revolution war der Siebenbürger Sachse August Georg Kenstler. Auf ihn wurde ich anhand eines Artikels von Rudolf Proksch „August Georg Kentsler, der Artamanenführer aus Siebenbürgen“ [55] aufmerksam. Vorsicht ist sicherlich ein guter Ratgeber des Historikers. Aber gerade im Umgang mit ehemaligen Nazibefürwortern und ganz besonders mit August Georg Kenstler, dem Herausgeber der Monatsschrift „Blut und Boden“[56], wird dieses Gebot von Rudolf Proksch und der Redaktion der Südostdeutschen Vierteljahresblätter bewusst missachtet. In seinem Artikel ignoriert Proksch, selbst ehemaliger Artamanenführer, das reichlich vorhandene Quellenmaterial und die vielen Aufsätze Kenstlers, die in seiner Monatsschrift „Blut und Boden“ und an vielen anderen Stellen veröffentlicht worden sind: in der Tageszeitung „Das Landvolk“, in: „Der Nationale Sozialist“, Herausgeber Gregor Strasser, in: „Sachs’ halte Wacht“, Herausgeber Fritz Fabritius, Schriftleiter: August Georg Kenstler, in: „Kämpfendes Landvolk“, in: „Die Kommenden“, Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geiste volksbewusster Jugend, in: „Artam Richte“, in: „Ludendorffs Volkswarte“, die wöchentlich in München erschien, sowie in Ludendorffs Kampfschriften: „Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse“; „Kriegshetze und Völkermorde“, „Das Geheimnis der Jesuitenmacht und ihr Ende“, „Weltkrieg droht auf deutschem Boden“[57] in denen Kenstler sich nicht nur für das Landvolk, sondern gleichzeitig für die „nationalsozialistische Revolution“ und für die „Nazi-Diktatur“ einsetzte[58]. Wer all das nicht berücksichtigt, verfälscht und beschönigt in seiner Darstellung Kenstlers Wirken.
Proksch verschweigt vorsätzlich die nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie Kenst-lers, von der Letzterer meinte, dass sie ein ideeller Ausdruck und eine gesellschaftliche Rechtfertigung der noch nicht erfolgten Anpassung der Agrarbevölkerung an die Wirtschaftsweise, an die Wertmuster und Verhaltensnormen der städtischen Industriegesellschaft sei, also – wie es Kenstler formulierte – eine „Erscheinungsform der Ungleichzeitigkeit“.[59]
Ideengeschichtlich geht Kenstler in seinen Aufsätzen auf die Ursprünge der deutschen Romantik zurück und sieht daher im Bauerntum den Träger einer angeborenen konservativen Gesinnung und eine wesentliche Grundlage des Deutschen Reiches. So arbeitete Kenstler in den zwanziger Jahren ein sozialpolitisches Konzept aus, in welchem er das Bauerntum der Großstadt und der großstädtischen Bevölkerung als politisches Gegengewicht entgegenstellt:
„Zwischen dem großen Bauernkriege und unserer Zeit liegen für den Bauern 400 Jahre wirtschaftlicher, politischer und geistiger Hörigkeit! Der deutsche Bauer ist der lebendig gewordene, willensstarke Widerstand gegen die Versklavung der Nation durch die Hochfinanz und ihre Fronknechte und gegen den teuflischen Geist der zersetzenden Städte.“[60]
Nach Kenstler war die Freiheitsbewegung des deutschen Volkes im Ringen um das nationale und soziale Schicksal den Gesetzen nicht unter-, sondern übergeordnet:
„Die Bombenattentäter sind junge Deutsche, die mit ihrem Blut sich für Volk und Vaterland einsetzen; junge Deutsche, zu denen ich mich bekenne.“[61]
Für Kenstler war der Bauer die erhaltende Kraft im deutschen Volk, und daher wollte er in seinen Beiträgen (Artikeln) dem Leser nahe legen, dass man diese Kraft erhalten müsse. In der Weimarer Zeit gab es ein vielfältiges wirtschaftliches, gesellschaftliches, politisches und psychologisches Geflecht, das die Aufrechterhaltung und Fortbildung der Bauerntumsideologie ermöglichte. Die Sozialdemokratie wurde vom Bürgertum als Bedrohung empfunden, soziale Konflikte wurden nicht als Ausdrucksformen des sozialen Wandels begriffen. So fehlte vor allem in den Krisenzeiten der Weimarer Republik das Potenzial für systemverändernde, soziale Reformen. Schon um und nach 1900 blieb der konservativen Ideologie nur das Verharren im Kulturpessimismus, die Flucht nach rückwärts in die idealisierte Vergangenheit einer scheinbar glücklichen Agrargesellschaft oder aber die Flucht nach vorn in den Imperialismus. In den Jahren der Weimarer Instabilität erschien die Vergangenheit erst recht als Idylle der Stabilität, der Sicherheit und Ordnung, der Einheit und relativ problemlosen Ausrichtung auf alle gemeinsame deutsche Leitbilder, die Gegenwart hingegen als eine Phase der Agonie, eine in eine falsche Richtung laufende ideologische, gesellschaftliche und politische Entwicklung.
Unter den radikal-reaktionären Phantasten, die von einer völkischen Wiedergeburt durch eine umfassende Reagrarisierung schwärmten, nahmen Bruno Tanzmann[62] und August Georg Kenstler, der 1923 zu Tanzmann, zur „Deutschen Bauernhochschul-Bewegung“ und zur „Landvolkbewegung“ stieß, eine herausragende Stellung ein. In seinem Aufsatz „Es lebe die schwarze Fahne!“[63] fordert Kenstler aggressiv die Rückentwicklung der Deutschen in ein Bauernvolk. Der Bauer sei der „Diener des Staates“.
„Denn könnte ein wirklicher deutscher Staat seine treuesten Diener mit den Mitteln der Unterdrückung belohnen, wenn sie sich auf die Dauer weigerten, für die Hochfinanz ihren Hof auszuliefern, den Tributmächten zu fronen? Nein, das ist kein Staat, keine Republik, kein Gemeinwesen, das ist das Werkzeug der Tyrannei von Mächten, deren Fluch das Abendland in Verwesung setzt.“[64]
Kenstler sah in der Großstadt eine Hochburg des Judentums, den Ort ständiger Rassenvermischung und negativer Auslese, in der Demokratie ein Ergebnis der jüdischen Weltverschwörung. Als Leiter der „Grenzlandschule in Reichenbach/Lausitz“ wollte er – zusammen mit Tanzmann – im Rahmen der Bauernhochschulbewegung das deutsche Bauerntum erwecken und organisieren und dann in direkter Anwendung der Mendelschen Vererbungslehre einen deutschen Bauernadel heranzüchten. Das Ziel seiner Politik formulierte er so:
„Wir sind [die] Kraft, [der] Wille in dem brodelnden Chaos, und wir werden uns nicht treiben lassen, um zu scheitern, sondern wir werden handeln. Wir werden trutzigen Widerstand leisten vor uns,  bis die Kraft hinter uns angeschwollen ist wie eine Flut, dann wird der Damm durchstochen ... Das Ziel ist die Befreiung unseres Wesens aus der inneren Sklaverei einer geistigen Verelendung, und die Brechung der Knechtschaft und Hörigkeit, in die uns eine feindliche Welt schlug. Unser Ziel ist, dem deutschen Menschen den Sinn seines Lebens zu erkämpfen, die Aufgabe, die schöpferische Gestaltung heißt und aus organischem Denken die Dinge ordnet, aus seiner Bindung zu Blut und Boden.“[65]
Deutschland müsse nach Kenstler größer werden, damit die deutsche Jugend wieder das alte Lied deutscher Auswanderer singe: „Nach Ostland wollen wir reiten“.[66]
Kenstler war einer der Mitbegründer der Artamanenbewegung[67], die als eine der wenigen Gruppen der bündischen Jugendbewegung ihre ideologischen Vorstellungen in die Praxis umzusetzen versuchte. Gefördert von völkischen Politikern, Großgrundbesitzern und ländlichen Unternehmern, organisierten die Artamanen einen freiwilligen Arbeitsdienst der Jugend auf dem Lande, für den sich Kenstler voll und ganz einsetzte. Die Artamanen sahen in dieser Einrichtung freilich nur die erste Etappe ihres langen Weges, der über die Siedlung im Osten des Reiches und die völlige Unterbindung der Binnenwanderung zur Reagrarisierung Deutschlands führen sollte. Weil dafür der deutsche „Lebensraum“ nicht ausreichte, war auch ihr Endziel „der bäuerliche Eroberungszug in den Osten mit Pflug und Schwert.“[68]
Den Plänen der Artamanen bereiteten 1924 fehlende finanzielle Mittel ernsthafte Schwierigkeiten. Nachdem die Landwirtschaftliche Bank Tanzmann einen Kredit versagt hatte, wandte er sich in einem Schreiben[69] an Kenstler, der die Führung der Artamanenschaft auf dem Rittergut Limbach bei Wilsdruff übernommen hatte, mit der Bitte, er möge seine Erbschaft in Siebenbürgen der Artamanenschaft zur Verfügung stellen. Am gleichen Tag (14. Juli 1924) richtete Tanzmann auch an Dr. Karl Wolff[70] ein Schreiben und bat ihn, die „16 Tausend Mark“, die Kenstler der Artamanenschaft zur Verfügung stellen möchte, flüssig zu machen. „Das Beste wäre“, so Tanzmann, „wenn die Raiffeisengenossenschaft die Erbschaft“ Kenstlers „beleihen“ würde. Am 23. Juli teilt Wolff in einem ausführlichen Schreiben Kenstler unter anderem mit:
„Von dem in Ihrem wehrten Brief vom 19. Juli geäußerten Wunsche, davon abgesehen, dass der Rest Ihres Geldes, nachdem Sie Herrn Tanzmann 8.000 Mark zur Verfügung gestellt haben, flüssig gemacht werde, nehme ich Kenntnis und bitte Sie, Ihren Verzicht auf Flüssigmachung auch Herrn Tanzmann mitzuteilen.“[71]
Begeistert von der Arbeit der Artamanenschaft und des persönlichen Einsatzes Kenstlers für diese Idee schreibt Wolff: „Außerordentlich freue ich mich, dass Sie die Führung der jungen Leute, die auf dem Gute Limbach arbeiten, übernommen haben. Die Arbeit ist eine gute Vorschule für die große, ja sehr große Aufgabe, die Siedlung im Hanság[72] in die Wege zu leiten. Gelingt Ihnen diese Aufgabe, dann werden Sie und Ihre Mitarbeiter ein großes Werk von kaum abzuschätzender Tragweite vollbracht haben.“[73] Danach folgen Hinweise und Ratschläge, wie diese Arbeit zu bewältigen sei.
Aus diesen Schreiben wird ersichtlich, dass Kenstler mit Leib und Seele bei der Sache der Artamanenbewegung war und nicht müde wurde, gegen den wirtschaftlichen Notstand der Bauern zu kämpfen. Von Anfang an stellte er seinen Kampf in den Dienst der Erhaltung und Stärkung deutschen Volks- und Bauerntums. So wurde er ein Vorkämpfer der Bauernhochschulbewegung, übernahm als Führer die erste Artamanenschaft, rief den Bund „Kinderland“ ins Leben, schuf die Monatsschrift „Blut und Boden“ und brachte in diesem Kampf große materielle Opfer.
Kenstler und Wolff verbanden freundschaftliche Beziehungen, so dass Wolffs Gedanken Kenstler sehr stark beeinflussten und er sich mit ihnen immer wieder beschäftigte. In seinem Tagebuchabriss vom 17. April 1940 schreibt Kenstler:
„Hier möchte ich auch Karl Wolffs gedenken, dem Friedrich List Siebenbürgens. Ich habe die Ehre seines Vertrauens gehabt, bis den Achtzigjährigen – immer noch viel zu früh – der Tod hinweg riss. Ein großes Bündel seiner Briefe harrt bei Liesel Bahmann der Auswertung – alle seine großen, Mittel- und Osteuropa umspannenden wirtschaftlichen Gesichtspunkte setzen die große Hoffnung auf die einmal diesen Raum beherrschende Großmacht: Das Dritte Reich, voraus. In Hitler sah Wolff schon 1922 den kommenden großen Staatsmann. Was Fritz Fabritius durch viele beachtliche Leistungen geworden ist, ist er durch Karl Wolff geworden. Die Jugendwehr, die Fabritius bei Ausbruch des Weltkrieges[74] ins Leben gerufen hatte, und in der ich unter das Gewehr trat, war seine große Leistung. Sie wurde der Beginn einer Jugendarbeit, die dann später stark durch die Jugend- und Bauernhochschulbewegung umgeprägt wurde“[75] – und die in der nationalsozialistischen Selbsthilfebewegung des Fritz Fabritius und ab 1940 in der von Volksgruppenführer Andreas Schmidt gegründeten NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien ihren Abschluss fand.
Als sich dann die NSDAP energischer als jede andere Partei für die bäuerlichen Interessen einsetzte und in ihrem „agrarpolitischen Apparat“ der Landbevölkerung einen Führungskader gab, der aus den Reihen der Bauern selbst hervorgegangen war und besonders aus Jungbauern bestand, zu denen auch Kenstler gehörte und die sich nicht mit Perspektivlosigkeit und Apathie abfinden wollten, trat Kenstler in die NSDAP ein, weil er in dieser Partei die Zukunft der Bauern sah. Dadurch begab er sich, wie das im Weiteren darzustellen sein wird, in die Abhängigkeit der NSDAP, was zur Spaltung und Gleichschaltung des „Bundes Artam“ führte.
Da die Herkunft der Artamanen in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich ist – beruflich, soziologisch, landsmannschaftlich usw., möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Angehörigen der Artamanen aus folgenden Jugendbünden und -gruppierungen kamen:
„Adler und Falken (als Mitbegründer), Fahrende Gesellen, Wandervogel deutscher Bund, Pfadfinder, Quickborn, Freischar Schill, Schilljugend, Sudetendeutscher Wandervogel, Österreichischer Wandervogel, Finkensteiner Bund, Bund der Lichtfreunde; von den Wehrbünden: Wehrwolf, Mitglieder der SA und NSDAP, Jungdeutscher Orden, Jungstahlhelm, Kyffhäuserbund; dazu kamen Jungbauern, zahlreich aus Siebenbürgen, und später Angehörige der Sozialistischen Arbeiterjugend, viel ungebundene Jugend, vereinzelt auch einige Juden.“[76]
Die Artamanen, deren Mitglieder also Angehörige der verschiedensten Bünde der Jugend waren, bildeten einen gesamt- oder überbündischen Bund, der sich aus Angestellten, Jungbauern, Adelssöhnen, Studenten und Arbeitern im Alter von 18 bis 26 Jahren zusammensetzte.[77]
Von den Artamanen und besonders von Kenstler führten nachweisbar wichtige Verbindungswege zum Nationalsozialismus. In einem Schreiben an Himmler[78] meint Kenstler, dass er es begrüßen würde, „wenn eine Aussprache“ zwischen „Landvolk und NSDAP“ zu einem positiven Abschluss kommen würde. Heinrich Himmler, der spätere Reichsführer SS, war Gauführer des Bundes „Artam e.V.“ in Bayern und Leiter der Propaganda-Abteilung der NSDAP in München[79] und unterhielt mit Kenstler einen regen Briefverkehr. Himmler, der bereits Anfang der 1920er Jahre ein überzeugter Anhänger der „Ostlandsiedlung“ war, wurde nach 1923 von Kenstler in seinem Vorsatz bestärkt, so dass antizivilisatorische Vorurteile und archaische Träume von zukünftigen bäuerlichen Gemeinschaften seine Einstellung und seine gesamte politische Tätigkeit nachhaltig prägten. Vor 1933 musste er sich auf Anordnung Hitlers in taktischer Zurückhaltung üben und sich im Wesentlichen auf radikale Kritik an der wirtschaftlichen Situation der Landwirtschaft beschränken. Doch schon 1931 errichtete Himmler das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, das sich zum großen Teil auf die Blut-und-Boden-Ideologie Kenstlers stützte; gleichzeitig begann er, die SS agrarideologisch zu indoktrinieren und auf ihren zukünftigen Einsatz, die Eroberung und Besiedlung von „Lebensraum im Osten“ vorzubereiten.
Es mag wohl stimmen, dass sich Richard Walter Darré, der spätere Chefkonstruktor der nationalsozialistischen Agrarpolitik, am 10. Mai 1930 im Hause Schulze-Naumburg erstmals mit Hitler traf[80]; der eigentliche „Blut-und-Boden-Ideologe“ war aber August Georg Kenstler. Darré, der ein Probeheft von Kenstlers Monatsschrift „Blut und Boden“ erhalten hatte, schreibt Kenstler:
„Ich wollte Ihnen nur einen herzlichen Glückwunsch sagen zum Probeheft von „Blut und Boden“. Das sieht ganz so aus, als ob es eine gute Sache würde. Wenn mich nicht alles täuscht, war die Zeit bereits mehr als reif für eine solche Zeitschrift. Und so rufe ich ihr zu: Vorwärts, mit Gott für Deutschlands Bauernschaft.“[81]
Außerdem belegen mehrere Indizien eindeutig Darrés Beziehungen zu den Ideen der völkischen Jugendbewegung Kenstlers und Tanzmanns. Zum einen wurde das Begriffspaar „Blut und Boden“, das bei Darré und in der nationalsozialistischen Agrarpolitik eine so zentrale Bedeutung erlangen sollte, schon 1927 von August Georg Kenstler häufig benutzt. Zum anderen bezog sich Darrés These „Wir brauchen einen neuen Adel!“, die er als Motto seinem Buch „Neuadel aus Blut und Boden“ voranstellte, auf die unzähligen Artikel und Aufsätze Kenstlers in seiner Monatsschrift „Blut und Boden“, in: „Kämpfendes Landvolk“, in: „Die Kommenden“, in: „Artam Richte“ sowie auf andere Kampfblätter der Artamanenbewegung.
Ohne die schwere Krise der Landwirtschaft, die schon vor der Weltwirtschaftskrise einsetzte, durch diese aber noch verschärft wurde, und ohne Kenstlers Vorarbeit wäre Darré nie in die Lage versetzt worden, die verworrenen Vorstellungen der Blut-und-Boden-Ideologie in praktisch-politisches Handeln umzusetzen. Als sich dann die unzufriedenen Bauern 1928/1929 in Schleswig-Holstein unter der schwarzen Fahne der radikalen Landvolkbewegung zusammenschlossen[82], um mit Gewalt die Pfändung von Vieh und Gerät und die Zwangsversteigerung verschuldeter Höfe zu verhindern, veranlasste das Kenstler zu folgender Äußerung: „Die Diener des Staates sind wir!“[83] Das sei kein Staat, keine Republik und kein Gemeinwesen, das den Bauern zum Sklaven mache.
Kenstler gewann zwischen 1924 und 1929 an Profil und engagierte sich mit seiner Monatsschrift „Blut und Boden“ mit aller Kraft und Energie, deren er fähig war, für die weltanschaulich-politischen Grundlagen der deutschen Agrarpolitik, die dann in den veränderten politischen Verhältnissen des Nationalsozialismus ihren Niederschlag fanden. Die radikale weltanschauliche Neuorientierung war für Kenstler die wesentliche Voraussetzung einer Veränderung der deutschen Strukturen. Ja, es war für ihn sogar das entscheidende Kriterium einer Revolution, dass sie den Sieg einer Weltanschauung, einer neuen großen Idee bringen müsse, die die Richtschnur zur Umwandlung sämtlicher Lebensbereiche abgeben sollte.
Kenstlers Aufsätze und Zeitungsartikel waren gegen die „Hochfinanz“ gerichtet, „in deren Netzen das gefesselte Deutschland im Tode zuckte“, und gegen das „kapitalistisch-bürgerliche, plutokratische System unter der Maske der menschheitsfreundlichen westlichen Demokratie“.[84] Kenstler selbst versuchte in seiner Zeitschrift „Blut und Boden“, den Begriff „Revolution“ zum „Zielwort“ der nationalsozialistischen Revolution zu machen. Darum stellte er sich von Anfang an in den Dienst aller Bestrebungen, die der Erhaltung und Stärkung deutschen Volks- und Bauerntums dienen sollten. So wurde er zum Vorkämpfer der Bauernhochschulbewegung, übernahm als Führer die erste Artamanenschaft, rief den Bund „Kinderland“ ins Leben, schuf die „Bildungsstätte deutscher Volkheit“ und setzte sich mit seiner Zeitschrift „Blut und Boden“ für ein „wurzelstarkes Bauerntum“ im Rahmen der nationalsozialistischen Ideologie ein.
Kenstler strebte zwar eine Veränderung der Gesellschaft an, wollte jedoch letztlich wieder eine Art „Urzustand“ herstellen, der sich durch die Abkehr von der Industriegesellschaft und, damit verbunden, durch eine Idealisierung des Bauerntums auszeichnete – eine Auffassung, die dann von der Naziideologie übernommen wurde. Ihn beunruhigte die sich infolge der ökonomischen Entwicklung abzeichnende Ruinierung des Bauernstandes in der Weimarer Republik. Kenstler maß dem Bauernstand nicht nur unter dem Aspekt der Sicherung der ökonomischen Unabhängigkeit große Bedeutung bei, sondern schätzte auch dessen aus seiner Produktions- und Lebensweise resultierenden Eigenschaften. Nach ihm war es kein Zufall, dass der größte Staat der antiken Welt im tiefsten Grunde ein Bauernstaat gewesen sei. Da auch die Nationalsozialisten und Hitler selbst den Bauern als „Lebensquell unseres Volkes“[85] und als „Grundpfeiler jedes völkischen Lebens“[86] bezeichneten, sah Kenstler seinen Einsatz für die Befreiung des Bauernstandes aus der wirtschaftlichen Notlage nur an der Seite der NSDAP realisierbar. Der Bauer war für Kenstler der erste und wichtigste Repräsentant des Volkes, er war für ihn jener Teil, der aus der Fruchtbarkeit der Erde die Menschen nährt und aus der Fruchtbarkeit der Familie den Fortbestand der Nation erhält. Da die nationalsozialistische Revolution sich bewusst zum Bauern als dem wichtigsten Träger des Volkes, dem einzigen Garanten der Zukunft bekannte, setzte sich Kenstler mit aller Kraft für die Verwirklichung dieser Revolution ein, was zur Folge hatte, dass er aus Preußen ausgewiesen wurde.[87]
Ludendorffs „Volkswarte“ protestierte am 12. November 1929 gegen die Ausweisung Kenstlers.[88] Auch in der „Berliner Börsen Zeitung“ wurde unter der Überschrift „Schutz dem Volkstum – nur nicht dem eigenen!“[89] an Kenstlers Ausweisung scharfe Kritik geübt. Der Artikelschreiber ist empört, dass man Kenstler als einen lästigen Ausländer bezeichnet und ihn deshalb aus Preußen ausweist.
„Wir Deutschen geben nicht zu, dass, um dieses Beispiel zu wählen, ein Siebenbürger Sachs kein Deutscher sei, weil er rumänischer Staatsbürger geworden ist [...]. Und nun kommt die preußische Regierung, die gleiche preußische Regierung, die ihren Bürgern polnischer Nationalität das freiheitlichste Schulrecht der Welt gab, des ‚guten Beispiels’ wegen sogar in einem Umfange, der die Sicherheit unserer Grenzgebiete gefährden kann, diese preußische Regierung also erklärt einen der besten Deutschen zum ‚lästigen Ausländer’, weil dieser Deutsche in einer Weise sein Deutschtum bekundet, die dem sozialdemokratischen Parteidogma nicht passt. Nun, Intoleranz jeder Art sind wir von Seiten unserer Regierungsmarxisten reichlich gewöhnt. Hier aber handelt es sich um eine unerhörte Verletzung von Prinzipien, die geheiligt sein sollten, weil an ihnen letzten Endes das Schicksal von 20 Millionen Auslandsdeutschen hängt.“
Auch die Wochenschrift „Kämpfendes Landvolk“ brachte am 29. November 1929 den Artikel „Lästiger Ausländer?“ von Fritz Ebert, in dem dieser heftig Protest gegen die Ausweisung Kenstlers erhebt:
„Man wird an die Behandlung erinnert, die Adolf Hitler jahrelang von den deutschen Behörden erfahren hat. Oder sollte Kenstlers ‚staatsfeindliche politische Betätigung’ in seinem Eintreten für die Belange des niedersächsischen ‚Landvolks’ zu suchen sein? Ohne Zweifel! Lest seinen Aufsatz in Heft 7 von ‚Blut und Boden’ oder im ‚Landvolk’ vom 14. Herbstmonds 1929, was Kenstler sagt: ‚Den Notschrei der Bauern hat man in Berlin nie sonderlich vernommen. Außer Beruhigungspillen in Form wohlwollender Ratschläge ist nichts getan worden, um durchgreifend die Not der Bauern zu ändern’.“
Dass sich Kenstler nach seiner Ausweisung aus Preußen fester an die Parteiführung der NSDAP band, ist darin begründet, dass er tatsächlich glaubte, dass nur mit ihrer Hilfe die Bauernfrage gelöst werden könne, was seine politische Gesinnung bis zu seinem Tod 1941 prägte.
Gemeinsam mit Darré und einflussreichen Thüringer Nationalsozialisten erarbeite Kenstler Ende 1929 den Plan, in Weimar eine agrarpolitische Zentrale aufzubauen, um von dort aus eine über die ganze Republik sich ausdehnende Landvolkbewegung zu organisieren. In einem Schreiben vom 2. Februar 1930 bat Darré Kenstler, sich bei der NSDAP-Führung für Weimar einzusetzen, weil man von hier aus sowohl den Norden als auch den Süden Deutschlands besser erreichen könne. Außerdem sei er hier weniger „polizeilicher Störungen“ und „Beschlagnahmungen von Material“ ausgesetzt.[90]
                Mit diesem Plan verfolgten Kenstler und Darré das Ziel, das Bauerntum zum „Eckstein“ des Staates zu machen, weil es neben der Funktion der Ernährungssicherung vor allem die Aufgabe erfülle, „Bluterneuerungsquell“ der „nordischen Rasse“ zu sein. Bäuerliche Eheschließungen galten für sie als„völkische Tat“ und als Beitrag zur „Aufnordung“, der Heranbildung eines „Neuadels aus Blut und Boden“. Diesen Gedankengang formuliert Kenstler wie folgt:
„Der Hass der freien Bauern gegen das Wesen der Stadt ist ein Urtrieb, der aus dem Instinkt der nordischen Rasse uns angeboren ist. Darum wird in der Folge unserer politischen, völkischen Erneuerung die Frage von schicksalhafter Bedeutung sein, wie weit es uns gelinget, die unertragbar weitausgedehnten Städte unter den Pflug zu nehmen. Dann ist der Boden vorbereitet für eine neue Kultur. Dann hat die Bewegung des kämpferischen Landvolks das geistige Fundament geliefert, auf dem ein neues Reich sich erheben kann.“[91]
Am 25. April 1930 teilt Darré Kenstler in einem Schreiben mit:
„Jetzt ist es unbedingt notwendig, dass die Gelegenheit wohl vorbereitet am Schopfe ergriffen wird und die Zusammenarbeit mit A. H. (gemeint ist Adolf Hitler) ein positives Ergebnis zeitigt. Es muss erstrebt werden, dass von uns ein kurzer Plan niedergelegt wird, der möglichst auf einer oder zwei Seiten Raum findet, und so gehalten ist, dass A. H. weiß, um was es sich eigentlich dreht und worauf wir hinaus wollen. Es hat sich nämlich auch wieder bei der Unterredung zwischen Sch.- N. und A. H. gezeigt, dass A. H. sehr bald in das Fahrwasser einer Programmrede hineingerät, worauf dann praktische Ergebnisse nicht mehr so einfach möglich sind. A. H. hatte vor, erst Pfingsten zu unserer Tagung nach Weimar zu kommen, doch machte mich Sch.- N. darauf aufmerksam, dass dies für mich doch zu spät sei. Nun will er früher kommen, offenbar kann er aber nicht vor Montag, den 5. Mai. Wenn sich dies bewahrheitet, könnten wir beide, da ich sowieso die Nacht vom 3. auf 4. Mai in Bad Berka wäre, alles Nähere noch gemeinsam besprechen. Sollte die Zusammenkunft mit A. H. aber früher stattfinden, dann müssten wir beide, d. h. Sie und ich, irgendwie vorher noch zusammenkommen.“[92]
Ob das Treffen mit Hitler in Weimar stattgefunden hat, konnte aus dem Quellenmaterial nicht ermittelt werden.
Die Münchner Parteizentrale der NSDAP reagierte auf den Plan Kenstler-Darré zunächst skeptisch, so dass sich die Verhandlungen hinzogen. Erst ein persönliches Gespräch mit Hitler im April 1930 führte schließlich zum Eintritt Darrés in die NSDAP und zu seiner Anstellung als Agrarexperte der Partei zum 1. August 1930.[93]  Dass Darré diesen Posten erhielt, ist einer sorgfältigen Beschäftigung Kenstlers mit dem Weimarer Plan und einer Intervention beim nationalsozialistischen Innen- und Volksbildungsminister von Thüringen, Dr. Frick, und bei der Fraktion der NSDAP zu verdanken. Kenstler teilt Darré mit:
„Lieber Darré! Ich werde heut mit Dr. Ziegler sprechen, dass er ermöglicht, dass noch im Laufe dieser Woche eine Besprechung mit der Fraktion der NSDAP und Herrn Minister Frick stattfindet, in der wir die Herren in den Plan und die Notwendigkeit unserer Arbeit einweihen. Für die Aufbringung der Mittel setze ich nun alles in Bewegung und hoffe, Ihnen noch im Laufe der Woche die Umsiedlung nach Weimar ermöglichen und unsere Arbeit nach und nach auf eine großzügige Basis stellen zu können. Ich hoffe, die NSDAP zu bewegen, eine Zeit lang einige Aushilfeleistungen diesbezüglich zu übernehmen.“[94]
Bereits drei Tage später (24. Mai 1930) berichtet Darré Kenstler, dass die NSDAP ihm für seine Arbeit 600 RM monatlich zur Verfügung stelle, so dass er nun seine Arbeit beginnen könne.
Obwohl Darré in einem Gespräch nach 1945 meint, Hitler habe sich nach jenem Gespräch vom April 1930 bereit erklärt, „das Bauerntum zur Grundlage der Erneuerung des Volkes und die Landwirtschaft zur Vorraussetzung und Grundlage der Volkswirtschaft zu machen“[95], geht diese Entscheidung nicht auf das Konto von Darré, so wie in mehreren deutschen Veröffentlichungen behauptet wird[96], sondern auf das von Kenstler, weil er derjenige war, der mit seinen Aufsätzen in „Blut und Boden“ und in anderen nationalsozialistisch angehauchten Zeitungen und Zeitschriften der „nationalsozialistischen Revolution und allen in ihr maßgebenden Männern das Zielwort“ gab. Hitler selbst sagt 1933:
„Die Verwirklichung des fundamentalen, volkspolitischen Gedankens, der in der These von Blut und Boden seinen Ausdruck findet, wird die tiefgehendste Umgestaltung bedeuten, die jemals stattgefunden hat“[97]; oder: „Wenn wir innen- und außenpolitisch den fundamentalen Grundsatz von Blut und Boden zur Verwirklichung bringen, dann werden wir in Zukunft nicht mehr von den Ereignissen geworfen werden, sondern wir selbst werden dann die Verhältnisse meistern“.[98]
Somit passte die Blut-und-Boden-Ideologie nicht nur im Rahmen der Machtergreifung in das taktische Konzept der Führung der NSDAP, sondern entsprach durchaus auch der übrigen Philosophie des Nationalsozialismus. Darum decken sich die Worte Hitlers durchaus mit Kenstlers ideologischer Auffassung, die er in seiner Zeitschrift „Blut und Boden“ vertrat. In „Mein Kampf“ erklärt Hitler:
„Schon die Möglichkeit der Erhaltung eines gesunden Bauernstandes als Fundament der gesamten Nation kann niemals hoch genug eingeschätzt werden. Viele unserer heutigen Leiden sind nur die Folge des ungesunden Verhältnisses zwischen Land- und Stadtvolk. Ein fester Stock kleiner und mittlerer Bauern war noch zu allen Zeiten der beste Schutz gegen soziale Erkrankungen, wie wir sie heute besitzen. Dies ist aber auch die einzige Lösung, die eine Nation das tägliche Brot im inneren Kreislauf einer Wirtschaft finden lässt. Industrie und Handel treten von ihrer ungesunden führenden Stellung zurück und gliedern sich in den allgemeinen Rahmen einer nationalen Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft ein. Beide sind damit nicht mehr die Grundlage der Ernährung der Nation, sondern ein Hilfsmittel derselben. Indem sie nur den Ausgleich zwischen eigener Produktion und Bedarf auf allen Gebieten haben, machen sie die gesamte Volksernährung mehr oder weniger unabhängig vom Ausland, helfen also mit, die Freiheit des Staates und die Unabhängigkeit der Nation, besonders in schweren Tagen, sicherzustellen“.[99]
Hitler und Kenstler betrachteten das Wirtschaftsleben mit agrarischen Maßstäben, vertraten eine biologische Auffassung vom Bauerntum und hegten eine eindeutige Abneigung gegen die fortschreitende Industrialisierung und Urbanisierung Deutschlands. Kenstler schreibt: „Bauerntum fördert das Bewusstsein, Erbträger volklicher Lebenskraft zu sein“.[100]
Taktisch passte die geschlossene Blut-und-Boden-Ideologie, die Kenstler in seiner Monatsschrift vertrat, sehr gut in das Konzept der NSDAP-Reichsleitung und erleichterte ihr die propagandistische Hinwendung zu den ländlichen Wählern. Das griffige Schlagwort „Blut und Boden“ fand in zahlreichen Reden, Aufsätzen und Propagandaschriften Eingang[101]; es suggerierte den krisengeschüttelten Bauern, dass der Nationalsozialismus seine Versprechungen wahrmachen und eine grundlegende Lösung ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten und eine Hebung ihres sozialen Ansehens herbeiführen würde.
Unter der Formel „Blut und Boden“ vertrat Kenstler die Verbindung des sesshaften Bauerntums mit der angestammten Scholle. So wurde dies auch allgemein unter den Bauern verstanden. Ihre Zustimmung jedoch zur nationalsozialistischen Agrarpolitik vor 1933 war weniger eine positive Entscheidung für die gesamte rassistische Konzeption von „Blut und Boden“ als vielmehr eine negative Entscheidung gegen die bisherige Agrarpolitik des „Systems“, gegen das für den volkswirtschaftlich unerfahrenen Bauern recht undurchsichtige Feilschen um höhere Preise und günstigere Kredite.
Es mag durchaus zutreffen, dass Kenstler davon überzeugt war, eine bäuerlich-idealistische Weltanschauung zu vertreten, doch objektiv wirkte seine biologische Ideologie nicht weniger antisemitisch als die Hetztiraden eines Streicher und nicht weniger imperialistisch als die Anschauungen eines Himmlers, mit denen Kenstler persönlichen Kontakt hatte. Kenstler argumentiert:
„Wir stehen vor neuen Frontbildungen in dem deutschen Volke. Der Ruf, der in meinen rücksichtslosen Worten liegt, gilt der Besinnung der Führer, der Frontkämpfer und der Jugend und ist ein Appell an die ‚5 Prozent’, die auch die schlechte Kompanie schlag- und angriffsfähig machte. Die Zielsetzung heißt: Die rücksichtslose Lösung der sozialen und, zwangsläufig in ihrer Folge, der nationalen Frage. Das heißt: Die Entfesselung einer Bewegung mit dem Ziele einer Diktatur (Vollmacht) der sozialen und nationalen Befreiung, einer Bewegung von Bauern, Arbeitern und Nationalisten. Wir haben in all dem Hasten und Treiben der politischen Krämerei die Konjunkturhascherei gründlich satt, wir wollen die leuchtende, reine Idee des kommenden Deutschland ins Sonnenlicht einer deutschen Zukunft heben.“[102]

Im Zusammenhang mit der Hinwendung zu den ländlichen Wählern sah sich Hitler im April 1928 genötigt, den umstrittenen Punkt 17 des „unveränderlichen“ Parteiprogramms[103] zu entschärfen, weil er der Meinung war, der Passus „unentgeltliche Enteignung“ richte sich „in erster Linie gegen die jüdische Grundspekulationsgesellschaften“.[104] Damit sollten jegliche Beunruhigung der bäuerlichen und ländlichen Wähler, jegliche Frontstellung gegen Großgrundbesitz[105] vermieden werden. Die Erklärung Hitlers bewies, dass in dieser Phase der nationalsozialistischen Agrarpolitik „mehr die rein agitatorische Schlagwortpolemik als die Konkretisierung des Verhältnisses der NSDAP zur Landwirtschaft die Hauptrolle“[106] spielte. Man wollte von der Unzufriedenheit auf dem Lande profitieren – auf die Kenstler immer wieder hinwies und den hohen Bodenzins und die Bodenspekulation anprangerte –, die seit Beginn der Weltwirtschaftskrise sprunghaft angestiegen war und in Schleswig-Holstein bereits zu Aufruhr und Terror geführt hatte.[107]
Mit Beginn des Jahres 1930 entfaltete die Reichsleitung der NSDAP in München, zu der Kenstler gute Beziehungen unterhielt, eine rege agrarpolitische Tätigkeit[108] und bemühte sich, trotz unausgegorenen agrarpolitischen Vorstellungen, dem bäuerlichen Wähler ein attraktives Programm anzubieten, das grundsätzlich die „Bedeutung des Landvolkes und der Landwirtschaft für das deutsche Volk“ herausstellte, indem es ernährungspolitisch die „Steigerung der Leistung der heimischen Landwirtschaft“ als „Lebensfrage für das deutsche Volk“ und bevölkerungspolitisch das Landvolk als „den Hauptträger volklicher Erbgesundheit, den Jungbrunnen des Volkes und den Rückgrat der Wehrkraft“ bezeichnete.[109] Es schloss damit inhaltlich und sprachlich an die ältere Bauerntumsideologie an, wie sie von August Georg Kenstler in den zwanziger Jahren vertreten worden war.
Eine zentrale Forderung des NSDAP-Programms lautete: „In dem von uns erstrebten zukünftigen Reich soll deutsches Bodenrecht gelten und deutsche Bodenpolitik getrieben werden“,[110] die bestehende parlamentarische Demokratie aber wolle die Vernichtung der bodenständischen deutschen Kräfte. Der latent und zum Teil offen vorhandene Hass der Bauern auf das „System“[111] sollte so weiter geschürt und für den nationalsozialistischen Bauernfang genutzt werden. Dabei hatten die Nationalsozialisten nicht viel Neues zu bieten. Einige ihrer Forderungen deckten sich inhaltlich durchaus mit Kenstlers ideologischer Auffassung in „Blut und Boden“, wo es in einem Werbeblatt heißt:
„Blut und Boden hat der nationalsozialistischen Revolution und all in ihr maßgebenden Männern das Zielwort gegeben. Sie kämpft für ein freies großdeutsches Reich auf bäuerlichem Grund.“[112]
Die Bedeutung der Blut-und-Boden-Ideologie und ihr Anklang, den sie fand, erklärten sich als Revolte gegen die lebensfeindlichen Tendenzen des modernen Industrialismus, als Sehnsucht nach einem nicht entfremdeten Naturverständnis. Dabei wurden aber die rassistischen Elemente, die untrennbar mit ihr verbunden waren, übersehen. Mit der Blut-und-Boden-Ideologie konnten Zukunftsängste durch Erneuerungshoffnungen nicht nur bei der Landbevölkerung ersetzt werden. Der Rückgriff auf Biologismus und ein mystisches Naturverständnis waren auch Protest gegen den Intellekt, gegen das mechanische Denken eines puren Rationalismus, der den Menschen zum Ausbeuter der natürlichen Ressourcen der Erde machte. Dass es sich im Hinblick auf die realpolitische Dimension der Blut-und-Boden-Ideologie auf Seiten der Bauern um ein Missverständnis handelte, zeigt die Geschichte des „Dritten Reiches“ in aller Deutlichkeit. Die Bauern wurden zwar propagandistisch hofiert, aber während des Krieges gnadenlos ausgebeutet.
Zwischen 1930 und 1933 betrieb die NSDAP eine Agitation, die mit dem Hinweis auf die bevölkerungspolitische Bedeutung des Landvolkes bei der Artamanenbewegung im Dezember 1929 eine Spaltung auslöste, weil die Nationalsozialisten einen maßgeblichen Einfluss auf das Landvolk und dadurch auf die Führung der Bewegung ausübten.
Der eingetretene Stimmungsumschlag beim „Bund Artam“ erklärt sich durch die starke politische Radikalisierung in den Jahren 1929-1930 und durch die Abhängigkeit ihrer Führer vom Nationalsozialismus. Das kommt in ihren Veröffentlichungen in der nationalsozialistischen Wochenschrift „Die Kommenden“ sowie in der von Kenstler herausgegebenen Monatsschrift „Blut und Boden“ zum Ausdruck. Die Abhängigkeit der Artamanführung von den Nationalsozialisten ist darauf zurückzuführen, dass sie in freiwilliger Weise einen Teil jener Ziele verwir-klichten bzw. erstrebten, welche die Nazis zu Leitlinien ihrer Politik erklärt hatten:
- Aufwertung der Landarbeit und des Bauernberufs,
- Pflege überlieferten Volksguts,
- Überbrückung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land,
- aktiver Einsatz für das „Wohl des Volkes“,
- Siedlung gezielt in ostdeutschen Grenzgebieten.
Die Ziele der Artamanenbewegung waren also in weiterem Sinne durchaus politisch, wenn auch nicht parteipolitisch. Darum wurde der „Bund Artam“ von Außenstehenden mit der NSDAP in Verbindung gebracht[113], wobei sicherlich Äußerlichkeiten eine Rolle gespielt hatten. Ein Beispiel dafür ist das Begriffspaar „Blut und Boden“, das von Kenstler politisch, soziologisch und biologisch gekonnt auf die Agrarpolitik übertragen und später von den Nationalsozialisten ideologisch stark überspitzt wurde. Erwähnenswert ist hier noch, dass Bruno Tanzmann, zu dem Kenstler ab 1923 enge Beziehungen hatte, bereits 1919 in Dresden den „Hakenkreuz-Verlag“ gegründet hatte und dies Symbol in die von ihm mitgegründete Artamanenbewegung kam.
Kenstler gelang es, so wie auch anderen Artamanenführern, die Arbeit der Artamanen durch den Landdienst einfach auf eine breitere Basis zu stellen. Landdienst bedeutete land- bzw. hauswirtschaftliche Berufsausbildung, die im Unterschied zur sonst üblichen Lehre mit dem Gemeinschaftsleben der Landdienstgruppen verbunden war. In den Landdienstgruppen war zudem die Rolle des Gruppenführers herausgehobener, mit mehr Kompetenzen ausgestattet.
                Unter Revolution verstand Kenstler den Versuch, sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens im Sinne der von ihm propagierten Weltanschauung radikal umzugestalten. Besonders deutlich und nachdrücklich erhebt Kenstler diesen Anspruch:
„Der Begriff Revolution hatte in bäuerlichen Kreisen lange keinen tiefen Klang. Doch eine deutsche Revolution trägt den Willen der Ordnung, ist immer ein Aufbegehren gegen die Verfälschung des Rechtes. [...] Die Größe dieser Notwendigkeit geht uns Deutsche heute bewusst auf. Wir haben die deutsche Revolution 1914 erst seit kurzer Zeit in ihrer Tiefe begriffen. Dabei ist das Wesen der Revolution in unserem Volke die Neuschöpfung, die Neuordnung, wie sie ein in fremde Umgebung hineinversetztes Leben zu seinem Gedeihen heischt.“[114]
Für Kenstler bedeutete das Wort „Revolution“ nicht nur eine Revolution, die das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben reformieren oder umstürzen müsse, sondern einen Durchbruch neuer Weltanschauungen, der das ganze öffentliche Leben erfüllen sollte. Die radikale weltanschauliche Neuorientierung war für Kenstler die wesentliche Voraussetzung einer Veränderung der Strukturen. Ja, es war für ihn sogar das entscheidende Kriterium einer Revolution, dass sie den Sieg einer Weltanschauung, einer neuen großen Idee bringen musste, die die Richtschnur bei der Umwandlung sämtlicher Lebensbereiche sein sollte. Und die Bedeutung des Nazikrieges formulierte Kenstler so:
„Dieser Krieg ist die entscheidende Phase der deutschen Revolution geworden, die mit 1914 begann. Darüber hinaus bereite ich in Verbindung mit zwei Generälen und einigen hervorragenden Geistesgrößen eine Broschüre vor, die der Entscheidung des Schwertes, also diesem so vielfach missverstandenen Kriege, seinen Sinn erschließen soll.“[115]
Kenstler kritisierte auch die Parteien, die keine Weltanschauung hätten:
„Jeder auch noch so kleine Bundespapst glaubt, dass er dann Deutschland zu Kraft und Würde steigern wird, wenn an seiner dünnen Parteisuppe das ganze Deutschland sich geistig schwanger gefressen hat. [...] Die erste Vorbedingung, diesen jämmerlichen Zustand zu überwinden, ist, dass der bodenständige Deutsche sich aus der Gefolgschaft aller Bünde und Parteien löst. [...] Das Land muss aus den Erfahrungen der letzten Jahre endlich zur Besinnung erwachen. Alle Vorstellungen politischer Zukunftshoffnungen sind Lug und Trug, wenn nicht ein eiserner Wille eingeschaltet wird in unser politisches Leben, der unbeirrt den Weg weiterweist zu unserer Freiheit.“[116]
Zweifellos konnte Kenstler in seiner Monatsschrift „Blut und Boden“ sowie in anderen rechtsgerichteten und nationalistischen Tageszeitungen und Zeitschriften in vielen Punkten eine durchaus zutreffende und gar nicht nur ganz oberflächliche Kritik an zahlreichen wirklichen Übeln der Zeit und des deutschen Volkes üben, weil er manches durchschaut hatte, was abwegige, bedenkliche Entwicklungen des 19. Jahrhunderts waren, die sich ins 20. Jahrhundert fortsetzten. Nur erkannten weitaus die meisten von denen, die sein Wirken positiv beurteilen – und wahrscheinlich auch Proksch – nicht, dass die „reformatio“ oder Besserung, die Kenstler in nationalsozia-listischer Denkungsart propagierte, im tieferen Sinne und aufs Ganze gesehen durchaus eine „reformatio in pejus“, eine Verschlimmerungsbesserung, wie man sagt, war, mit anderen Worten, dass er an die Stelle der vielfach charakterisierten Übel etwas setzen wollte, das in Wirklichkeit noch weit größere Übel herbeiführen sollte.
Indem Kenstler der „Schollengebundenheit“ nicht nur eine eigentumsrechtliche, sondern auch eine bevölkerungs- und machtpolitische Bedeutung gab, befand er sich ganz auf der Linie, die auch von der NSDAP programmatisch vertreten wurde. Neu war lediglich, dass er den „Boden“ als einen Teil des „Blutsgedankens“ mit der Verpflichtung zur „Geschlechterfolge“ im Sinne rassischer „Aufnordung“ verstand. Der Anklang, den die Blut-und-Boden-Ideologie Kenstlers fand, erklärt sich aus der Revolte gegen die lebensfeindlichen Tendenzen des modernen Industrialismus, als Sehnsucht nach einem nicht entfremdeten Naturverständnis. Darüber dürfen aber die rassischen Elemente, die untrennbar mit ihr verbunden waren, nicht übersehen werden.
Bis 1930 hatte Darré mit Kenstler eine Agitation betrieben, die mit dem Hinweis auf die bevölkerungspolitische Bedeutung des Landvolkes die NSDAP einerseits bei den Bauern als Interessenvertreterin attraktiv erscheinen ließ, andererseits die Wichtigkeit der ländlichen Wählerschichten für die Parteigenossen verständlich machte, die bisher „sozialistische“ Zielvorstellungen vertraten. Die Erfolge dieser Bestrebungen zeigten sich in den Wahlergebnissen und in der „führerunmittelbaren“ Position, die Darré dann mit seinem „agrarpolitischen Apparat“ nach dem Ausscheiden Gregor Strassers, des Reichsorganisationsleiters der NSDAP, Ende 1932 erreichte.
Ein halbes Jahr später, nach der Ablösung Hugenbergs als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, war der Weg für Darré frei, die „Weltanschauung von Blut und Boden“ in „neues deutsches Bauernrecht“ umzusetzen.[117] „Bauernschutz“ lautete nun die Parole, die Darré ebenfalls von Kenstler übernahm und die sich nun hinter der rassenideologischen Utopie der „Aufnordung“ des deutschen Volkes verbarg. Obwohl er dies Ziel in Gesetzesform noch nicht herausstellen konnte, war es in Begründungen und manchen Reden und Publikationen gegenwärtig.[118]
Darré, der nun innerhalb der NSDAP sein Ziel erreicht hatte, ließ Kenstler fallen, obwohl er seine Karriere zu einem wesentlichen Teil ihm zu verdanken hatte. Darré vergaß auch, dass er auf Grund der Anregungen von „Blut und Boden“ und mit der Hilfe Kenstlers sein Buch „Neuadel aus Blut und Boden“[119] geschrieben und danach auch benannt hatte. Darré war sich jedoch dessen bewusst, dass von „Blut und Boden“, dem leidenschaftlichen Vorkämpfer der bäuerlich-bündischen Freiheitsbewegung, eine starke Strahlkraft ausging, trotzdem verbot er Kenstlers Monatsschrift „Blut und Boden“ zweimal: 1931 und 1933. „Blut und Boden“ aber überdauerte, bis Darré 1934 die Monatsschrift endgültig verbot. Er warf der Monatsschrift vor, mit jüdischen Kampfmethoden die gerade Linie der NSDAP zu verleumden. Diese aus der Luft gegriffene Anschuldigung veranlasste Kenstler, Darré folgende Zeilen zu schreiben:
„Durch Ihr Verhalten mir gegenüber, das mir in letzter Zeit bekannt geworden ist, sehe ich mich veranlasst, jede Verbindung, die durch ein früheres freundschaftliches Verhältnis bestanden hat, zu widerrufen“[120]
Im Rausch seiner neuen Position ignorierte Darré auch, dass sich die nationalsozialistische Monatsschrift „Volk und Raum“ auf den bündischen Gedanken von „Blut und Boden“ gründete, und wiederholte vielfach nur, was dort längst von Kenstler ausgesprochen und in ihr abgedruckt worden war. Auch für die agrarpolitische Beilage des „Völkischen Beobachters“ stand Kenstlers Monatsschrift „Blut und Boden“ Pate. Auch Hugenberg sprach öfters  von „Blut und Boden“, und Schacht griff eine alte „Blut und Boden“ – Forderung auf: Industrie aufs Land zu verlagern.
Auch Hitler enttäuschte Kenstler, trotzdem blieb er als Parteimitglied der NSDAP und der Ideologie des Nationalsozialismus treu. 1940 schrieb Kenstler, dass er immer „dem Guten in der Partei wie dem Notwendigen in der Wehrmacht selbstlos zu dienen versucht“ habe.
„Ich habe mich nicht gescheut, mich während dieses Krieges zweimal mit Hitler zu demütigen, um als Warner Zugang zu ihm zu finden. Aber hätte er heute noch auf mich gehört? Und doch fühle ich mich immer für das verantwortlich, was er früher durch mich an großen Anregungen empfing. [...] Die Größe der Stunde heißt uns alle: Überlegen zu handeln – damit wir nicht den Tücken kleinlicher Rache erliegen. Allen Feinden des Deutschtums, auch in ihren Niederungen vor seinen Waffen, zum Hohn und Spott. Diesem Handeln entgehen wir nicht, dürfen wir nicht zu entgehen versuchen, wenn wir zu uns selbst ein so großes Vertrauen finden sollen, dass sich in ihm vertrauensvoll die Welt verbergen und bergen kann.“[121]
Deshalb müsse sich jeder Deutsche treu bleiben, „Selbstzucht bis ins Letzte um der Sache willen. Selbstlos werden – hier liegt die überzeugende Macht des guten Beispiels, das in jedem Deutschen allmächtig werden muss. Und jeder Deutsche muss vor dieser Forderung bald bestehen können: So hoch wird ihn die Zeit vor aller Welt emporheben.“[122]
                Auf der Fahrt nach Wien vom 17. zum 18. April 1940 kam Kenstler mit einer Frau ins Gespräch, die ihm erzählte, dass sie in Berlin mit einem Bündel Beschwerdebriefe gewesen sei, um sie dem Führer zu überreichen und mit ihm zu sprechen. Da sie den Führer nicht angetroffen habe, hätte sie die Briefe einem Adjutanten Hitlers übergeben. Dann sagte sie Kenstler:
„Wenn bei uns in Graz keine Säuberung in der Parteileitung geschieht, dann geht das Vertrauen zum neuen Reiche in der Arbeiterschaft restlos verloren. Für mich habe ich nie einen Vorteil durch meine Parteizugehörigkeit, seit 1933 schon, gewollt, auch jetzt habe ich nichts für mich erbeten. Wenn ich das nur im Geringsten täte, dann würden die Behörden über mich herfallen und das Vertrauen bei denen zerstören, die auf meine Hilfe rechnen. Ich will nicht mehr, und zwar gemeinsam mit meinem Manne, als dass das, woran wir geglaubt haben und glauben, nicht zerstört wird durch einen Zopf von kleinen Rechtsbrechern und Betrügern und dazu im Namen des Führers.“[123]
Am 21. April 1940 begegnete Kenstler auf dem Heimweg in Grinzing sechs bekannten SS-Männern, die beim Ausschank des Heurigen an einem Tisch saßen. Auf die Frage Kenstlers: „Was macht ihr hier in Wien?“ antworteten sie: „Wir halten den Anschluss aufrecht.“ Darauf Kenstler: „Die Begeisterung für diese [damit meint er die SS-Männer] ist doch hoffentlich nicht in sich soweit schon zusammengesackt, dass das notwendig ist.“[124]
Die Summe dieser Erlebnisse sowie andere veranlassten Kenstler zu folgender Äußerung:
„Immer nur in ganzer gläubiger Hingabe den großen Entscheidungen der Zeit auch dann zu dienen suchen, wenn kleine Widerwärtigkeiten des Alltags oder sogar Konstruktionsfehler im Reichsneubau zu Kleingläubigkeit oder Wankelmütigkeit zu verleiten versuchen! Das hätte ich der Frau im Zuge noch eindringlicher sagen müssen. Dann wäre ein neuer Anfang des Glaubens da, der alle diese müde und matt gewordenen Herzen im Hinblick auf Führer und Reich aufs neue vergolden würde.“[125]

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass der „Blut-und-Boden-Ideologe“ August Georg Kenstler und Darré, der Chefideologe der nationalsozialistischen Agrarpolitik, die bis 1931/32 zum größten Teil von Kenstler geprägt wurde, auf eine extrem antidemokratische Konzeption setzten. Sie waren der Meinung, mit ihrer Agrarpolitik – die am 15. Mai 1933 in das preußische Erbhofrecht und am 29. September 1933 in das Reichserbhof-Gesetz mündete –, zugleich eine kurzfristige Lösung der Agrarkrise, eine dauerhafte Konsolidierung der Agrarstruktur und eine „rassische Erneuerung“ des deutschen Volkes einleiten zu können. Diese Selbsttäuschung ist durchaus zu erklären. Erstens hatten sie ein eigenständiges, immanent betrachtet sogar „kohärentes“ Programm entwickelt, das auf starke deutsche Traditionslinien zurückgriff, d.h. auf den traditionellen Anerbenrechtsbestrebungen und die ältere deutsche Bauerntumsideologie, ohne dabei jedoch die industrielle Entwicklung in Deutschland zu berücksichtigen oder ihr Rechnung zu tragen. Zweitens hatten sie durch geschickte Agitation der Landbevölkerung und durch geschickte Unterwanderung der landwirtschaftlichen Verbände die Machtergreifung Hitlers erfolgreich mitgetragen und verfügten infolgedessen sowohl über den nötigen Rückhalt in der NSDAP als auch über einen schlagkräftigen eigenen Apparat zur raschen Verwirklichung ihrer agrarpolitischen Vorhaben. Die Durchsetzung des preußischen Erbhofgesetzes gegen den Willen Hugenbergs und dessen Rücktritt Ende Juni 1933 beendeten die Phase einer bloß konservativ-protektionistischen Agrarpolitik und verschafften Darré und seinen Mitarbeitern vollends den erwünschten Handlungsspielraum, um in hektischer Eile die von der „Blut und Boden“-Zeitschrift Kenstlers bestimmte Grundkonzeption in praktische Politik umzusetzen: Neuordnung der Agrarsiedlung, syndikatsähnliche Organisation des Reichsnährstandes, Anfänge der Agrarmarktordnung und schließlich das Reichshofgesetz.
                Die mit der Industrialisierung ermöglichte Technisierung der Landwirtschaft, die auch eine Verbesserung der Produktivität bedeutete, ignorierte Kenstler. Deshalb gelang es auch der nationalsozialistischen Agrarpolitik nach 1933 nicht, den Selbstversorgungsgrad der deutschen Ernährungswirtschaft in dem ursprünglich erhofften Umfang zu erhöhen. Das heißt, Kenstlers Agrarpolitik bzw. seine Blut-und-Boden-Ideologie war rückständig, passte aber zu Hitlers irriger Auffassung, dass Deutschland mit Erfolg wirtschaftliche Autarkie erreichen könne. Gewichtigere Auswirkungen hatten jedoch der allgemeine Arbeitskräftemangel, die katastrophale Devisenknappheit, der von Hitler schon 1934 verhängte Preisstopp für Lebensmittel und der Mangel an industriellen Rohstoffen; gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen also, die durch die forcierte Aufrüstungspolitik des NS-Regimes teils wirtschaftlich, teils politisch vorgegeben waren und den Bewegungsraum der Agrarpolitik ganz entscheidend einengten.
Mit der Spaltung der Artamanenbewegung 1929 und dem Ausschluss von mehr als der Hälfte der Artamanenführer aus dem „Bund Artam“ hatte sich auch ein ähnlich großer Teil der Artamanen und Gaue abgespalten. Als sich dann 1933 der Reichstag durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ („Ermächtigungsgesetz“) selbst auflöste, wurde die NSDAP alleinige Staats- und Regierungspartei. Zu der von ihr fortan betriebenen Gleichschaltung in Deutschland gehörte auch die Auflösung der autonomen Jugendbünde und die Ausweitung der Hitlerjugend zum einzigen und umfassenden Träger der Jugenderziehung neben Schule und Elternhaus.[126] So ging die Artamanenbewegung 1934 „im Landdienst der Hitlerjugend“ auf, „die es von da ab verstand, in ihren Reihen bahnbrechend für den Gedanken zu wirken, dass die Arbeit in der Landwirtschaft als lebenswichtigste für unser Volk und damit als sinnvollste für den Einzelnen zu begreifen ist. Die Jugend wurde aufgerufen, sich eine befristete Zeit (vorwiegend ein Jahr) freiwillig für den Dienst an der Scholle zu verpflichten. Sie möglichst für die Arbeit auf dem Land zu gewinnen, war das eigentliche Ziel. Dass dies aber immer nur bei einem Bruchteil der Gesamtzahl zu erreichen war, darüber konnte von Anfang an kein Zweifel bestehen“[127], eine Erfahrung, die auch schon die Artamanen machten. Für die meisten Jugendlichen war ihre Landarbeitszeit nur vorübergehend und eine Episode vor ihrer Rückkehr in die Stadt.
                „Blut und Boden“: Blutsgemeinschaft war die programmatische Forderung, die Wirklichkeit, die Sprengung schon der kleinsten Blutsgemeinschaften, nämlich der Familien. Zunächst wurde ein Familienleben schon rein äußerlich dadurch vielfach geradezu illusorisch gemacht, dass besonders die Kinder durch uferlose erzwungene Inanspruchnahme durch die Jugendorganisation dem häuslichen Familienleben weitgehend entzogen wurden. Dazu trat, noch viel schwerer wiegend, jene innere Entfremdung zwischen den Kindern, die man die älteren Menschen verachten und die falschen Götter des Nationalsozialismus anbeten lehrte, und den Eltern, die zumeist diesen Kult nicht mitmachen konnten und dafür oft umso mehr Gegenstand jener Verachtung wurden, wenn sie nicht gar ihre eigenen Kinder als politische Spitzel des herrschenden Systems zu fürchten hatten. Im Kriege wurden dann die Familien auch äußerlich in einem Maße wie nie zuvor auseinander gerissen, sowohl die deutschen wie die der Völker in den besetzten Ländern. Das Resultat war, dass gegen Kriegsende Millionen von Menschen in Europa, insbesondere aber auch wieder in Deutschland, von ihren nächsten Angehörigen nicht mehr wussten, ob sie noch lebten, ob sie noch in der Heimat waren oder wo sie etwa herumirrten. „Blutsgemeinschaft“ war also Lüge und mündete in die ungeheuerlichste Zersplitterung der Familien.
                „Boden“: An den Boden sollten die Deutschen gebunden werden, an den engeren Heimatboden und den  weiteren deutschen Boden überhaupt, das verdächtige Ausland möglichst nicht kennen lernen, es höchstens im nationalsozialistischen Kollektiv von „Kraft-durch-Freude“-Reisetrupps äußerlich zu Gesicht bekommen. Das war die Illusion. Die Wahrheit, dass in riesenhaftem Ausmaß die Deutschen Haus und Hof zuerst als Soldaten verlassen mussten, um an den Fronten in ungezählten Ländern zu kämpfen und zu verbluten, oder als Arbeiter, um in der Fremde für die Rüstung zu schaffen, dann aber nach der Niederlage zu vielen Millionen aus weiten Gebieten des vaterländischen Bodens vertrieben wurden, nachdem sie selbst zuvor im Ausland anderen Millionen von Bewohnern der Kampfgebiete oder der besetzten Länder das gleiche Schicksal bereitet hatten, und mit all dem eine Völkerwanderung von solchen Ausmaßen vollzog, wie es sie nie zuvor in der Geschichte gegeben hatte.
                Nationale Absonderung, volksmäßiges „Unter-sich-sein-Wollen“ (nach alttestamentlichem Vorbild, dem aber zu seiner Zeit entwicklungsgeschichtliche Berechtigung durchaus innewohnte), nationales In-sich-Brüten: das war das Programm, darauf zielte, gerade auch geistig, alles ab.
                Statt nüchtern die zur Debatte stehenden Fragen, die Kenstlers Leben nach 1923 bestimmten, im Lichte der Quellen zu erörtern, versucht Proksch Kenstler als einen dem „Nationalsozialismus“ auf „Distanz gegenüberstehenden völkischen Literaten, Prediger und Kämpfer“ darzustellen[128] und glaubt an seine „Wiederkehr“. „Die Deutschen sind seiner bedürftig“[129], so Proksch im Jahre 1980. Außerdem sei seine Zeitschrift „Blut und Boden“ eine „außergewöhnliche Monatsschrift“ gewesen, in der der „Wille zur Entscheidung darin angemeldet war, und die Autoren entsprachen dieser Vorstellung. Es schrieben nur Leute, die ihren Weg kannten und klare Fronten liebten“[130]. Welcher Art dieser „Weg“ war und welche „klaren Fronten“ sie darin vertraten, verrät jedoch Proksch nicht.
                Diese einseitige und geschichtsfälschende Betrachtungsweise, wie sie Proksch übt und wie sie bei den Südostdeutschen Vierteljahresblättern mit solchem Selbstbewusstsein gepflegt wird, vermag nur noch einen beschränkten, einseitigen und letztlich verlogenen (rückwärts gewandten) Nationalismus zu wecken. Und das sollte am allerwenigsten über die Redaktion dieser Blätter, die von einem demokratischen Staat finanziell gefördert werden, gesagt werden müssen.
Kenstler als einen „tief religiösen Menschen“[131] darzustellen, ignoriert die Definition des nationalsozialistischen Revolutionsbegriffes, die Kenstler bis zu seinem Tod verfochten hat. Kenstler selbst schreibt zwar, dass „das Christentum heute eine tiefe Verinnerlichung“ erfahre. „Die starren, leblosen und damit trennenden Formen des Konfessionalismus müssen somit zerbrechen.“[132] An einer anderen Stelle heißt es: „Es weht jetzt bald ein anderer Wind, als dass wir mit Oberkirchenräten und Kirchenpräsidenten zu einem freien Aussegeln kommen könnten. Mit ihnen sich einzuschiffen, das wäre verhängnisvoll“.[133]
           Auch wenn die Artamanenbewegung 1934 in den „Landdienst der Hitlerjugend“ überführt wurde, bedeutete das noch lange nicht, dass die politische Tätigkeit Kenstlers aufhörte, so wie das Proksch behauptet, nur weil er „eine Tätigkeit im Wirkungskreis der Deutschen Christen fand“, die von „Landesbischof Walter Schultz, Schwerin, geführt wurde“.[134] Außerdem soll nach Proksch Kenstlers Tätigkeit im Rahmen der Deutschen Christen ihn zu einem „tief religiösen Menschen“[135] gemacht haben. Wenn Kenstler tatsächlich tief religiös gewesen wäre, hätte er nicht nur die antikirchlichen, sondern auch die unchristlichen Grundzüge der NS-Ideologie erkennen müssen.
                Proksch und die Redaktion der Südostdeutschen Vierteljahresblätter hätten 1980 wissen müssen, dass diese naive Behauptung bei dem aufmerksamen Leser einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Beim kritischen Lesen gewinnt man den Eindruck, dass Proksch die Richtlinien der Glaubensbewegung Deutscher Christen nicht kennt, sie nicht durchschaut oder sie nicht wahrnehmen will. Dort heißt es unter anderem:
Punkt 2: „Wir kämpfen für einen Zusammenschluss der im ‚Deutschen Evangelischen Kirchenbund’ zusammengefassten 29 Kirchen zu einer Evangelischen Reichskirche...“
Punkt 4: „Wir stehen auf dem Boden des positiven Christentums...“
Punkt 7: „Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen uns Gottes Gesetz ist. Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. Die deutsche Äußere Mission ruft auf Grund ihrer Erfahrung dem deutschen Volke seit langem zu: ‚Halte deine Rasse rein!’“
Punkt 9: „In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. Sie hat neben der Äußeren Mission keine Daseinsberechtigung. Wir lehnen die Judenmission in Deutschland ab, solange die Juden das Staatsbürgerrecht besitzen und damit die Gefahr der Rassenverschleierung und -bastardierung besteht usw.“[136]
Dieser Glaubensbewegung, so wie das in einem Nachruf auf Kenstler in „Der Sämann“ heißt, ist Kenstler treu geblieben:
„Das zarteste Pflänzchen, das in unserer Zeit aufgesprossen ist, ist gekennzeichnet durch das Programmwort vom positiven Christentum. Trotz vielen Unbilden der Witterung, die sein Leben bedrohten, ist es lebendig geblieben. Es muss hinfort sorgsamer und behutsamer gepflegt werden. Denn ein großes Vermächtnis hat mit ihm die Nation überantwortet bekommen. Das ist nicht mehr leichter Hand hinwegzuweisen. Dieser Krieg wird das bestätigen.“[137]
Und auf der Trauerfeier vom 10. Januar 1941 zum Gedächtnis von August Georg Kenstler sagte Landesbischof Walther Schultz in seiner Gedenkrede:
„Die Gründung der ersten Heimkehrerbewegung aus den großen Städten auf das Land, des Bundes der Artamanen, war sein Werk. Er hat die erste große bäuerliche Zeitschrift „Blut und Boden“ gegründet. Er hat sich später des Grenzlandkampfes angenommen. Es kam dann die Zeit des deutschen Umbruchs, in der seine Sendung sich zu erfüllen begann: die Stunde des Führers. Je mehr sein Wollen in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht von dem verantwortlichen Träger der Reichsgewalt in die Tat umgesetzt wurde, desto hingegebener rang er um die letzten Fragen, kämpfte er um die Neugestaltung der deutschen Seele. Er hielt Mitte der 30er Jahre die Verbindung zu den nationalsozialistischen und völkischen Kämpfern in der deutschen Ostmark. ... Das Geheimnis, das er uns offenbarte, ist von uns aufgenommen, und wir werden alle so weiter arbeiten und wirken und schaffen, wie er es tat für unser Volk, für den Führer und unser geliebtes Deutsches Reich.“ [138]

Wenn nun nach meinen Ausführungen der Einwurf käme: hier werde also angeklagt, so wiederspräche ich nicht. Das täte ich erst, wenn behauptet würde, ich erhöbe Anklage. Denn die wohnt dem Thema selbst ganz natürlich inne, geht es doch nicht etwa um moralische Kategorien allein, sondern vielmehr um reale Hintergründe von nie da gewesenen Dimensionen, was den Namen Kenstler anbelangt. Der Einzelne kann dem Urteil der Geschichte nichts mehr hinzufügen, es ist bereits gefällt. Bei der Führung der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben und deren Organen hat sich nach 1945 eingebürgert, jede objektive Thematisierung von Schuld in Zusammenhang mit der Nazizeit als Selbstanmaßung, als politisches Pharisäertum zu verdächtigen.[139] Hinter dieser bezeichnenden Allergie gegen Anklage steckt die Absicht, publizistische Bearbeitungen der Schuldfrage überhaupt zu verunglimpfen, um sie dann geschichtsfälschend darstellen zu können.[140]  Darum ist es wichtig, derartigen Praktiken Widerstand zu leisten. Es muss uns gelingen, zu erforschen, was zwischen der Naziführung der Deutschen in Rumänien und der damaligen deutschen Bevölkerung so trefflich funktionierte. Wir müssen ergründen, warum für einen Teil dieser Deutschen diese Ära „so schön“, „so begeisternd“ war, während gleichzeitig doch alle bürgerlichen Freiheiten aufgehoben und Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und als „Ungeziefer“ bezeichnet wurden. Kurz, wir müssen in Erfahrung bringen, wie es zu diesem Verlust der humanen Orientierung kommen konnte und warum sie sich bis in unsere Tage fortsetzen kann.

Zum Verständnis der Artamanen


Die Artamanen-Bewegung, seit 1926 ein förmlicher Bund, ist aus den nach dem politischen Umbruch von 1918/19 entstandenen Gruppierungen der Jugendbewegung, die ihre Wurzeln bereits in den geistigen Strömungen vor dem 1. Weltkrieg hatten, aber letztlich erst durch den Krieg und die Kriegsfolgen den entscheidenden Gründungsschub erhielten, hervorgegangen, und zwar durch den Aufruf von Willibald Henschel „Was soll nun aus uns werden?“[141] Der Aufruf war an die gesamte „völkische Jugendbewegung“ gerichtet mit dem Hinweis, Gutsarbeitsgruppen zu bilden und so die polnischen Saisonarbeiter abzulösen. Die Entwicklung der Artamanenbewegung wurde durch eine Reihe von Ursachen und Umständen geprägt, die in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen vor und in der Weimarer Republik zu suchen sind. Die vorangegangene rasche Industrialisierung und die parallel dazu vollzogene starke Verstädterung führten besonders auf den Gütern in Ostdeutschland zu einer Abwanderung vom Lande in die Stadt und dadurch zu Landarbeitermangel, der zunehmend durch polnische Saisonarbeiter ausgeglichen wurde. Da Polen nach 1918 weitere Gebiete von Deutschland forderte, sah man in Deutschland die Zulassung polnischer Saisonarbeiter als problematisch an.
Weil die bürgerkriegsähnlichen Zustände von 1918/19 in den ersten Nachkriegsjahren noch nicht überwunden waren, blieb auch die tiefe Depression, die der Friedensschluss von Versailles hinterlassen hatte, noch jahrelang ein beherrschendes Lebensgefühl. Die Inflation des Geldes verursachte eine weit verbreitete Armut, und die Wirtschaftskrise steigerte die sozialen Nöte, die dann zu einer echten Hungersnot führten. Dazu gesellte sich die schwere politische Krise der Weimarer Republik, welche die Bevölkerung in mehr als drei Dutzend Parteien aufspaltete.[142]
Da viele Jugendliche nach ihrem Lehrabschluss arbeitslos wurden und angesichts der großen innen- und außenpolitischen Krise in Deutschland kaum gute Zukunftsaussichten hatten, fand der Gedanke der Jugendbewegung, die sich nicht länger von der Erwachsenenwelt zurückziehen wollte, einen „freiwilligen Dienst an der Gesamtheit des Volkes“[143] zu leisten, viel Anklang in Stadt und Land.
Um der Arbeitslosigkeit vorzubeugen, riefen Bruno Tanzmann und August Georg Kenstler[144] 1924 die Jugend zum freiwilligen Landarbeitsdienst auf, der dann in der Artamanenbewegung in die Tat umgesetzt wurde. Dem Beispiel der ersten freiwilligen Arbeitsgruppen folgten im Laufe der Jahre zunehmend junge Deutsche, Burschen und Mädchen zwischen 17 und 25 Jahren aus Stadt und Land. Die meisten kamen jedoch aus der Stadt und mussten sich daher zuerst einarbeiten. Aber der gute Wille, Volk und Land zu helfen, bestärkte sie. Angefacht wurde ihr Wille durch die Idee, aus solchem „Tatbeispiel“ die allgemeine Wiederverbäuerlichung des deutschen Volkes erwachsen zu lassen. Dies Streben fand im Namen „Artam“ seinen Ausdruck. Dieser Begriff aus der altgermanischen Sprache sagte dem Kundigen, dass der zeitweilige Dienst auf dem Ar (Acker) der „tatwilligen“ Jugend neue Kraft geben würde und damit letzten Endes auch die geraubte und wieder zu erwerbende „Tatkraft“ des deutschen Volkes zu erreichen wäre, während das Stadtleben zermürbt und abgestumpft sei. Die Landjugend, welche mitmachte – etwa 10 Prozent –, half den städtischen Arbeitskameraden bei der Eingewöhnung auf dem Lande, lernte dafür oft im Gruppenleben altdeutsche Volksbräuche, Lied und Tanz, dazu auch Sport neu zu beleben.
Die Artamanengruppen waren in der Regel klein, daher überschaubar und von persönlichen Beziehungen geprägt. Sie waren weitgehend eigenständig und gaben ihren Mitgliedern ein „Wir-Gefühl“. Die Jugendbünde und die Artamanen erstrebten die freie Persönlichkeitsentfaltung des Menschen. Die Artamanengruppen hatten zu ihren Führern ein freiwilliges Gefolgschaftsverhältnis; die Gruppenführer gründeten als „Erste unter Gleichen“ ihre Autorität allein auf Vorbildlichkeit und die Fähigkeit, ihre Gruppe zu führen. Der Mädchenanteil lag bei etwa 10 Prozent, so dass im Durchschnitt in jede Gruppe ein Mädchen kam, das vor allem in der Hauswirtschaft arbeitete.
Wie bereits erwähnt, gründeten die Artamanen 1926 den „Bund Artam e.V.“, um den bündischen Charakter und die Zugehörigkeit zur Jugendbewegung zu unterstreichen. Für die fachliche Ausbildung – neben Lehrgängen und Umschulungslagern – riefen die Artamanen zwei eigene Ausbildungsstätten ins Leben: 1928 ein „Mädelheim“ für die hauswirtschaftliche und 1931 ein 150 Hektar großes „Bundesgut“ für die landwirtschaftliche Ausbildung ihrer Mitglieder.
Wegen Abhängigkeit vieler Gruppen von der NSDAP und der dadurch verursachten Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung des Siedlungszieles spaltete sich die Artamanenbewegung Ende 1929. Der Bund Artam ging 1931 in Konkurs, seine „Gaue“ schlossen sich bis 1933 wieder mit den 1929 abgespaltenen „Artamanen – Bündische Gemeinden für Landarbeit und Siedlung“ zusammen, seit Oktober 1933 hieß die Bewegung wieder „Bund Artam e.V.“ Einen eigenen Weg ging der 1931 in Mecklenburg gegründete „Bund der Artamanen“, er nahm bis 1933 nur Nationalsozialisten auf und wurde 1934 in den „Landdienst der Hitlerjugend“ überführt.
Obwohl sich die „Bündischen Gemeinden“ zunehmend auf die Siedlung konzentrierten und aus Pflichtbeiträgen ihrer Mitglieder bis 1935 sechs Güter bzw. Vorwerke in Ostpreußen und Mecklenburg erwerben und auf ihnen in kostensparender Gemeinschaftsarbeit Bauernhöfe für 46 Artamanenehepaare schaffen konnten, löste sich auf Anraten des Reichsnährstandes, um einem staatlichen Verbot zuvorzukommen, auch der zweite „Bund Artam“ im Dezember 1935 auf. Seine Mitglieder gingen in den Landdienst der HJ, in den Reichsnährstand, oder wechselten in andere Beruf.
Die Artamanenbewegung verfolgte folgende Ziele und Inhalte:
- städtischen Arbeitslosen landwirtschaftliche Beschäftigung vermitteln;
- zu intensiver Begegnung von „Stadt“ und „Land“ führen,
- jungen Menschen Gemeinschaftsaufgaben aufzeigen,
- „Erziehung zur Gemeinschaft durch Gemeinschaft“ praktizieren,
- das Ansehen der Landarbeit aufwerten,
- aktive ländliche Kulturarbeit betreiben,
- durch eigenes Beispiel der Abwanderung deutscher Gutsarbeiter und deren Ersatz durch polnische Saisonarbeiter begegnen, und
- vermehrte Siedlung von Deutschen in Ostdeutschland und, wenn möglich, auch in den östlich angrenzenden Gebieten.


Zum Verständnis der politischen Gruppen (Parteien) der deutschen Volksgruppe in Rumänien von 1922 bis zum 23. August 1944


- „Einheitsbewegung“ der Deutschen in Rumänien.

Die Einheitsbewegung bestand hauptsächlich aus den gemäßigten Konservativen um Dr. Hans Otto Roth in Siebenbürgen und im Banat um Dr. Kaspar Muth. Sie setzte sich für eine liberal-demokratische Politik ein und arbeitete mit der Kirchenleitung Hand in Hand. Bis 1935 besaß sie die Mehrheit in dem 24-gliederigen Führungsausschuss der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien.

„Selbsthilfebewegung“ des Fritz Fabritius – eine Art Baufinanzierungsgesellschaft.

Soziale und wirtschaftliche Probleme sowie organisatorische Fragen zu Beginn der zwanziger Jahre, mit denen die Volksführung der Siebenbürger Sachsen nicht fertig wurde, führte zur Gründung der „Selbsthilfebewegung“ 1922 durch Rittmeister a.D. Fritz Fabritius. Nach einer Deutschlandreise 1922 machte Fabritius die Bekanntschaft mit Hitler und war von diesem so beeindruckt, dass er nach seiner Rückkehr den „Völkischen Beobachter“ unter Gleichgesinnten verbreitete. Ab 1922 betrieb Fabritius innerhalb und außerhalb der „Selbsthilfe“ eine intensive Erziehungsarbeit in nationalsozialistischem Sinne.

- „Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien“ (NSDR)

Am 22. Mai 1932 gründete Fabritius als ein nationalsozialistisches Sammelbecken die NSDR, um damit die organisatorische Integration der gesamten deutschen Minderheit in Rumänien unter einer einigenden Ideologie voranzutreiben. Das kurz davor erlassene 25-Punkte-Programm lehnte sich stark an das der NSDAP an. Wegen nationalsozialistischer Propaganda wurde die NSDR am 29. November 1933 durch die rumänische Regierung verboten.

- „Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien“ (NEDR)

Um der Auflösung der NSDR zu entgehen, beschloss die Führung auf die Bezeichnung „nationalsozialistisch“ zu verzichten und änderte ihren Namen in „Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien“ um. Der Charakter der Partei änderte sich jedoch nicht, was die rumänische Regierung bewog, die NEDR am 4. Juli 1934 zu verbieten.

„Verband (Volksgemeinschaft) der Deutschen in Rumänien“ (VDR) und „Deutsche Volkspartei der Deutschen in Rumänien“ (DVR)

In der NEDR gab es einen gemäßigten und einen radikalen Flügel. Der gemäßigte Flügel unter Fabritius suchte einen Ausgleich mit dem gemäßigten Flügel der Konservativen um Dr. Hans Otto Roth und der alten Volksführung. Fabritius wollte die Unabhängigkeit seiner Bewegung (NSDR und NEDR) gegen Eingriffe aus dem Reich verteidigen, was zum Einschwenken der alten Führungskräfte beitrug, weil diese den Zwist innerhalb der Volksgruppe und mit Bischof Glondys beilegen wollten und gründeten am 29. Juni 1935 die „VDR“. Der radikale Flügel gründete am 14. Juli die „DVR“ in Siebenbürgen, die bereits am 10. Februar 1935 für das rumänische Banat gegründet wurde.

„NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien“ (NSDAP der DViR)

Am 9. November 1940 gründete Andreas Schmidt, der von der SS-Zentrale Berlin zum neuen Volksgruppenführer eingesetzt wurde, die NSDAP der DViR und schaltete die deutsche Volksgruppe gleich.

- „Nationale Arbeitsfront“ (NAF)

Nach dem Verbot der VDR und DVR 1938 entfalteten die Nazis ihre politische Aktivität bis November 1940 in der NAF, die von der rumänischen Regierung jedoch nicht anerkannt wurde.

Organisationsplan der NSDAP der DViR Ende 1940


Sitz der NS-Volksgruppenführung : Kronstadt

Ämter:


  1. Stabsamt
  2. Landesschatzamt
  3. Amt für Organisation
  4. Amt für Erfassung und Personal
  5. Amt für Rechtswesen
  6.Amt für Statistik und Bevölkerungspolitik
  7.Amt für Volkswirtschaft
a)      Amt für gewerbliche Wirtschaft
b)      Landesbauernamt, dazu gehörig „Landesverband der deutschen Genossenschaften in Rumänien
  8. Amt für Presse und Propaganda
a)      Unterabteilung für Film
b)      Deutscher Schriftstellerverband
  9. Amt für Kunst und Wissenschaft
10. Amt für Volksgesundheit
a)      Unterabteilung für Gesundheitswesen
b)      Unterabteilung für Leibeserziehung
12. Hauptdienststelle der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (gesamte soziale Arbeit)

Gliederungen


1. Deutsche Jugend
2. Deutsche Mannschaft und Einsatz-Staffel
3.Frauenwerk (allgemeine Frauenorganisation)
4.Frauenschaft als parteimäßige Ausleseorganisation
5. Arbeitsdienst
6. Deutsche Arbeiterschaft
7. Landesbauernamt
8. Lehrerverband
9. Studentenschaft
10. Kulturkammer:       Kulturkammer für bildende Künste
                                                                                                          Musikkammer
                                                                                                          Schrifttumskammer
                                                                                                          Theaterkammer
11. Forschungsinstitut
            a)Verband der Museen
            b) Deutsche Forschungsgemeinschaft


Tabelle mit den Unterorganisationen der NSDAP der DViR


Name der Unterorganisation
Mitgliederzahl
Stand 1943
Hauptamtliche Führungskräfte
Ehrenamtliche Führungskräfte

Einsatz-Staffel und
Deutsche Mannschaft

36.282

40

1.540

Deutsche Jugend (DJ)
Jungen und Mädchen

73.719

12


NS-Frauenwerk

110.000

24

12.000

Deutsche Bauernschaft

400.000

80

1.050

Deutsche Arbeiterschaft



71

2.000

Gebietseinteilung


Name des Gebietes
Anzahl der Kreise
Anzahl der Ortsgrup-pen und Stützpunkte
Anzahl der Deutschen Einwohner

Banat

4

155

237.366

Bergland

4

126

101.056

Siebenbürgen

5

196

188.643

Alt – Rumänien

1

  25

    19.891

Zahl der Deutschen in den einzelnen Gebieten und Kreisen


Name des Gebietes und
der Kreise
Einwohnerzahl
der Kreise
Gesamt Einwohnerzahl

Gebiet I. Banat

Kreis Müller-Guttenbrunn
Kreis Lenau
Kreis Prinz Eugen
Kreis Temeswar



66.855
66.695
65.480
38.336





237.366

Gebiet II. Bergland

Kreis Grenzland
Kreis Südoststraße
Kreis Diemrich
Kreis Unterwald



33.058
40.715
9.615
17.668





101.056

Gebiet III. Siebenbürgen

Kreis Hermannstadt
Kreis Weinland
Kreis Schäßburg
Kreis Alttal
Kreis Burzenland





52.554
47.876
31.141
19.546
37.536








188.643

Gebiet IV Altreich



19.891

Zusammen


546.956







[1]BB, Ost ? Dok. 16 Rum. / 107, fol. 1. Gegenvorschlag der Beschwerde führenden Pfarrer vom 7. Juni 1944, S. 11.
[1]BB, Ost – Dok. 16. Rum. / 107, fol. 1. Unterschriften auf den Beschwerden an das Landeskonsistoriums: Bezirk Kronstadt 12, Bezirk Bukarest 1, Bezirk Schenk 6, Bezirk Hermannstadt 7, Bezirk Schelk 17, Bezirk Mediasch 9, Bezirk Mühlbach 10, Bezirk Schässburg 12, Bezirk Reps 6, sowie Hans Roth als Einzelperson.
[2]BB, Ost – Dok. 16 Rum. / 107, fol. 1. Vorschlag zur Beilegung der durch den bekannten Vorfall im Zeidner Waldbad eingetretenen Folgen, 10.02.1944.
[3]Vgl. Anhang Nr. 22.
[4]BB, Ost – Dok. 16 Rum. / 107, fol. 1. Stellungnahme zum neuen Religionsplan Z. 2756/1942, Kronstadt im Februar 1943; vgl. auch „Bemerkungen zum Religionsplan“ von Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel, ohne Datum.
[5]Vgl. Anhang Nr. 23.
[5]BB, Ost – Dok. 16 Rum. / 107, fol. 1. Bescheid des Landeskonsistoriums auf den Vorschlag der Beschwerde führenden Pfarrer „zur Beilegung der durch den bekannten Vorfall im Zeidner Waldbad eingetretenen Folgen.“ Hermannstadt, am 31.05.1944.
[5]So wie das in dem Buch von Ulrich Andreas Wien: „Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus“. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 1998, und von Bischof Friedrich Müller in seinen „Erinnerungen. Zum Weg der siebenbürgisch-sächsischen Kirche 1944-1964“. Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Band 17. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 1995, dargestellt wird.
[5]So wie dasUlrich Andreas Wien in seinem Buch: Kirchenleitung über dem Abgrund, a. a. O., S. 177, behauptet.
[6]Ebenda.
[7]Bischof Friedrich Müller: Erinnerungen, a. a. O., S. XIX-XLIX.
[7]Inland IIg 505 (R 101203) und Inland IIg 506 (R101204).
[7]Vgl. Johann Böhm, Die Deutschen in Rumänien und das Dritte Reich 1933-1940. Frankfurt am Main; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang, 1999, S. 56ff.
[8]Da die Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien am 29. 11. 1933 verboten wurde, änderte die Führung unter Fritz Fabritius deren Namen in Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien um.
[8]Darüber ausführlich bei Böhm, S. 72ff.
[9]Nachlass Hans Otto Roth, Archiv der Schwarzen Kirche in Kronstadt, Briefkopie im Archiv von Klaus Popa und Johann Böhm. Der Roth’sche Nachlass überliefert auch die Texte der drei erwähnten Zeitungsartikel.
[9]Ebenda.
[10]Der Schlichtungsstreit in Zürich (29.-31. 10. 1934) fand unter der Regie von Dr. Hans Steinacher, Geschäftsführer des Volksdeutschen Rates, und von Referenten des Auswärtigen Amtes statt. Ausführlich darüber bei Böhm, a. a. O., S. 68 ff.
[11]Im „völkischen Beobachter“ vom 13. Juli 1934 wurde Glondys vorgeworfen, er habe durch seinen Artikel „Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle Sachsen“, veröffentlicht im „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“ vom 24. Februar 1934, dazu beigetragen, dass die NEDR am 4. Juli 1934 von dem rumänischen Ministerrat verboten wurde (vgl. dazu Monitorul Oficial Nr. 157 vom 11. Juli 1934, S. 4516). Der Artikel im „Völkischen Beobachter“ wurde von Führern der ehemaligen NEDR geschrieben und daher als „Schmähschrift“ bezeichnet.
[12]Roth informiert Bischof Glondys, der damals im Ausland weilte, über Müllers Vorstoß am 4. Mai 1934: „Aus den Müller’schen Plänen wird in allernächster Zeit wohl nichts werden. Der Kampf ist zu hart und zu ernst, als dass man sich mit den Leuten heute an den Tisch setzen könnte“. (Kopie im Archiv Klaus Popa und J. Böhm).
[13]Ebenda.
[13]Gemeint ist „der Schmähbrief“ gegen Bischof Glondys. Aus dem „Tagebuch“ von Bischof Glondys erfährt man, dass Müller mit Dr. Dörr (ehemaliger Gauleiter der NEDR) auf der Hohen Rinne zusammengesessen sei (Tagebuchaufzeichnungen von 1933 bis 1933 bis 1949, hg. von Johann Böhm und Dieter Braeg, Dinklage: AGK-Verlag, 1997, S. 155). Dörr war in der Volksgruppenzeit (1940-1945) Bürgermeister von Hermannstadt.
[14]Nachlass Roth, Kopie im Archiv Klaus Popa.
[14]D. Dr. Viktor Glondys, Tagebuch, a. a. O., S. 131.
[15]Ebenda, S. 148 (Eintragung vom 27. November 1934). Die Verhandlungen in Zürich sollten zwischen den rivalisierenden Parteien vermitteln und Frieden stiften. Es wurde die Bildung eines „Fünferausschusses“ beschlossen, den Müller als sogenannter „neutraler“ Vorsitzender leiten sollte (ausführlich darüber bei Johann Böhm, Die Deutschen in Rumänien und das Dritte Reich 1933-1940, a. a. O., S. 72-76). Glondys war verständlicherweise gegen die Ernennung von Müller, weil das seinem eisern befolgten Prinzip, die Kirche aus parteipolitischen Querelen herauszuhalten, zuwiderlief. Glondys schreibt in diesem Zusammenhang am 27. November 1934: „Ich habe übrigens den Eindruck, dass Müller sich ganz unnötigerweise in einen großen Gegensatz zur Strömung der eigenständigen Sachsen bringt [,] und ich will meine ganz neutrale Haltung in diesen Fragen beibehalten. Er handelt auf seine Verantwortung, da ich ihn, mit Rücksicht auf die bestehende Freiheit jedes Geistlichen, politisch zu handeln, nur warnen, ihm aber nichts befehlen kann.“ (Tagebuchaufzeichnungen, S. 149); vgl. auch das von Müller am 19. Juli 1935 an Ministerialrat von Stutterheim im Auswärtigen Amt gerichtete Schreiben.
[15]PAdAAB, R 60189 (VI A 2215 – VI A 4395/1935). Abschrift zu Rk. 6304/35. D. Friedrich Müller, Bischofsvikar und Stadtpfarrer an Ministerialrat von Stutterheim, Hermannstadt, 19. Juli 1935; vgl. Anhang Nr. 26.
[16]Vgl. dazu Johann Böhm, Die Deutschen in Rumänien und das Dritte Reich 1933-1940, a. a. O., S. 93.
[16]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 321-322.
[17]Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis 1941, in: Kirchliche Blätter 1941, S. 446-448.
[18]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 457-458.
[18]D. Dr. Viktor Glondys. Erinnerungen, a. a. O., S. 328-329.
[19]Ebenda, S. 328.
[20]PAdAAB, Inland IIg 506 (R 101204). Denkschrift des Bischofs der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien, Wilhelm Staedel, in Angelegenheit des Hermannstädter Stadtpfarrers D. Friedrich Müller. Hermannstadt, am 6. 08. 1942, gez. W. Staedel.
[21]PAdAAB, Inland IIg 505 (R 101203). Niederschrift des Volksgruppenführers Andreas Schmidt in Berlin am 7. Januar 1943.
[22]PAdAAB, Inland IIg 505 (R 101203). D VIII 12g/43. Vortragsnotiz zur Vorlage beim Herrn Reichsaußenminister vom 7. 01. 1943.
[22]PAdAAB, Inland IIg 506 (R 101204). Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Landeskonsistoriums vom 20. 11. 1941, Punkt 102. Das Dekretgesetz 977 wurde im Monitorul Oficial Nr. 266 vom 8. 11. 1941 veröffentlicht.
[23]PAdAAB, Inland IIg 505 (R 101203). Unsere Kirche und Schule in Gefahr! Ohne Datum.
[24] Z. K. 868/1942, Schreiben von Bischof Staedel und Albert v. Hochmeister an Dr. Hans Otto Roth vom 19. März 1941, in: Privatbestand Dr. Hans Otto Roth.
[25]Protokoll der 4. Landeskonsistoriums-Sitzung vom 20. März 1942.
[25]Vgl. Anhang Nr. 24.
[25]Das ist eine betonte Form des deutschen Nationalismus, die bei den Siebenbürger Sachsen weit verbreitet war und als Grundlage für den problemlosen Umschwung breiter Kreise, vor allem der Lehrer-, Ärzte und Erzieher sowie eines beträchtlichen Teils der Pfarrer zum extremen Nationalismus nationalsozialistischer Prägung zu gelten hat.
[25]Vgl. die zahlreichen Tagebucheintragungen von Bischof Glondys.
[25]Die Versammlung fand Mitte des Jahres 1941 statt. 
[26]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 326.
[27]Ebenda.
[27]PAdAAB, Inland IIg 505 (R 101203). Gegenstand: Disziplinar-Selbstanzeige Bischofsvikars D. Friedrich Müller. Schreiben Müllers an das Landeskonsistorium der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Hermanstadt, den 6. Juni 1942, S. 6.
[28]Ebenda.
[28]Seine früheren Gegenspieler waren entweder tot oder nach Westdeutschland entwichen, und die Volksgruppe hatte sich Ende August 1944 selbst aufgelöst.
[29]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a., O. S. 346.
[30]PAdAAB, R 101203. Schreiben Roddes an das AA vom 17. Juli 1942. Rodde macht in seinem Brief lediglich den Vorschlag, Müller die Gelegenheit zu geben, seine Angelegenheit in Deutschland vorzutragen. Außerdem sei es erforderlich, auch den Volksgruppenführer nach Berlin zu bestellen.
[31]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 346.
[32]Ebenda, S. 344. Vgl. dazu Killingers Schreiben an das AA vom 2. Juli 1942, in: PAdAAB, R 101203. Killinger weist in seinem Schreiben lediglich auf die Auseinandersetzung zwischen Müller und Volksgruppenführer Andreas Schmidt hin und ist der Meinung, dass Müller bereit sei, die Angelegenheit vor ein rumänisches Gericht zu bringen, was „keinesfalls im deutschen Interesse“ sei. Er macht den Vorschlag, Müller vorübergehend im Reich unterzubringen. Von einer „Verhaftung“ ist keine Rede.
[33]PAdAAB, R 101203. Vgl. dazu die Schreiben von: Ref.: AR Fleißner an U.St. S. Luther vom 17. August 1942; Ref. L.: LR Triska an U. St. S. Luther vom 20. August 1942; Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD an das AA vom 20. August 1942; Abteilung Deutschland. Betrifft: Regelung der Angelegenheit Bischofsvikar Müller an Herrn Staatssekretär v. Weizsäcker vom 17. September 1942; Ref. L.: LR Triska über Herrn Unterstaatssekretär Luther Herrn Staatssekretär v. Weizsäcker vom 12. September 1942; Referat D VIII. Notiz für Referat D V, Herrn LR Krieger vom 23. September 1942, gez. Goeken; Schreiben Luthers an die Legationskasse vom 1. Oktober 1942 u. a.
[33]PAdAAB, R 101203. Schreiben des Andreas Schmidt, Volksgruppenführer, an die Volksdeutsche Mittelstelle Berlin vom 12. August 1942.
[34]PAdAAB, R 101203. Ref. L.: LR Triska an Herrn U. St. S. Luther vom 20. 08 1942.
[35]PAdAAB, R 101203. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD an das AA vom 20. 08. 1942.
[35]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 344.
[36]Ebenda, S. 346.
[37]Abteilung Deutschland. Betrifft: Regelung der Angelegenheit Bischofsvikar Müller an Staatssekretär v. Weizsäcker vom 17. 09.1942, gez. Luther.
[37]PAdAAB, R 101203. Berlin, am 2. 10. 1942. Der Text des Abkommens lautet: „In Gegenwart des Herrn Andreas Schmidt, Rodde, Triska, Gunesch, D. Müller und Dr. Arz wurde bei Herrn Legationsrat Büttner, Rauchstr. 11, folgendes vereinbart: Zur außergerichtlichen Beilegung sämtlicher zwischen D. Müller und dem Landeskonsistorium bzw. dem Bischof Staedel schwebenden Streitsachen begibt sich Herr Stadtpfarrer D. Müller nach seiner Rückkehr nach Hermannstadt zu Bischof Staedel und teilt ihm seine Bereitschaft, alle schwebenden Angelegenheiten gütlich und im Einvernehmen in aller Ruhe und ohne Erregung der Öffentlichkeit zu ordnen mit, sodass ein gedeihliches Arbeiten für ihn in seiner Gemeinde und in seinen Ämtern gewährleistet sei, wozu beide den Weg gemeinsam zu suchen haben.
[37]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 387.
[37]PAdAAB, R 101203. Schreiben Friedrich Müllers an Bischof Wilhelm Staedel vom 26. 10. 1942.
[38]PAdAAB, R 101203. Schreiben Friedrich Müllers an Bischof Wilhelm Staedel vom 29. 10. 1942.
[39]Ebenda.
[40]Vgl. Anhang 27.
[41]Vgl. Anhang 28.
[42]PAdAAB, R 101203. Schreiben Friedrich Müllers an Bischof Wilhelm Staedel vom 10. 12. 1942.
[43]PAdAAB, R 101203. Schreiben Bischof Staedels an Friedrich Müller vom 12.12.1942.
[43]PAdAAB, R 101203. Schreiben Friedrich Müllers an Legationsrat Büttner vom12.12.1942. Dem fünfseitigen Schreiben wurden neun Beilagen beigefügt.
[44]PAdAAB, R 101203. Schreiben des Bischof Staedels an den Gesandten Manfred Freiherr von Killinger vom 17. 12. 1942.
[45]Vgl. Anhang Nr. 24.
[45]PAdAAB, R 101203. Schreiben Friedrich Müllers an Staatssekretär Freiherr von Weizsäcker vom 24. 08. 1942.
[46]von Killinger war es, der durch seine Versicherung, Müller würde bis zum 15. August 1942 wieder in Rumänien sein (vgl. Erinnerungen, S. 343), diesen überzeugte, die Reise nach Berlin anzutreten
[46]PAdAAB, R 101203. Schreiben Müllers an das Auswärtige Amt vom 15, September 1942 (D VIII 399g).
[46]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 344-347.
[47]Ebenda, S. 246.
[47]Ulrich Andreas Wien, Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor der Herausforderung durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus. Köln; Weimar; Wien: Böhlau, 1998, S. 207.
[48]Hellmut Klima, Aus den Tagebüchern eines siebenbürgischen Studenten aus den Jahren 1930-1945, hg. von Samuel Liebhart, Saarbrücken-Dudweiler 1999, S. 276.
[48]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 340.
[48]Ebenda, S. 355.
[48]Hellmut Klima, a. a. O., S. 313.
[49]Vergleiche S. 340 in Müllers Erinnerungen. In diesem Zusammenhang wird klar, dass nicht die oppositionelle Pfarrerschaft es ablehnte, sich organisatorisch zu gliedern, sondern einzig und allein Müller, weil eine organisatorische Bindung sein einzelgängerisches Protestlertum zu sehr eingeschränkt hätte.
[49]PAdAAB, R 101203. Telegramm Killingers an das AA vom 31. Mai 1943.
[49]PAdAAB, R. 101203. Schreiben Müllers an Legationsrat Büttner vom 31. Juli 1943.
[49]PAdAAB, R 101203. Geh. Nr. 99. Betrifft: Konflikt Bischof Staedel – Bischofsvikar Müller. Kronstadt, den 6. 10. 1943, gez. Rodde.
[50]Vgl. Anhang Nr. 24.
[50]D. Dr. Viktor Glondys. Tagebuch, a. a. O., S. 373, Eintragung vom 8. Oktober 1943.
[50]Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen, a. a. O., S. 358.
[51]PAdAAB, R 101203. Schreiben Müllers an Legationsrat Büttner vom 31. 07. 1943.
[51]PAdAAB, R 101203. Deutsche Gesandtschaft Bukarest an Bischofsvikar D. Friedrich Müller vom 5. 08. 1943, gez. Dittler, e.h.
[51]PAdAAB, R 101203. Gr. Inland II. GK Dr. Lierau. Bericht zur Vereinbarung vom 18. November 1943; zu Inl. II 3219g.
[52]PAdAAB, R 101203. Aufzeichnung über die Verhandlungen der Kommission zur Befriedung der kirchlichen Auseinandersetzungen in Siebenbürgen vom 1. 12. 1943, gez. Heckel.
[52]PAdAAB, R 101203. Schreiben Friedrich Müllers an Generalkonsul Oberst Dr. Lierau vom 9. 01. 1944.
[53]PAdAAB, R 101203. Schreiben von Oberst Dr. Lierau (Generalkonsul Gruppe, Inland II) an das AA, zu Händen von Legationsrat Dr. Reichel vom 3. 03. 1944.
[53]Vgl. D. Dr. Viktor Glondys, Tagebuch, a. a. O., S. 114-115, 131-132, 139, 146, 148-149 usw.
[54]Vgl. Anhang Nr. 24.

Anmerkungen zu Kenstler

[54] August Georg Kenstler wurde am 24. Dezember 1899 in Schäßburg/Siebenbürgen geboren und starb am 5. Januar 1941 in Gotha. Sein Großvater war Schmied in Meschendorf/Siebenbürgen, wo dessen Vater – Kenstlers Urgroßvater – das Amt des Kantors und Schulmeisters inne hatte. Der Großvater übersiedelte dann nach Schäßburg, wo er sich eine Schlosserei einrichtete und Gesellen und Lehrlinge beschäftigte. Kenstlers Vater ging von Waldhütten, wo seine Eltern wohnten, in die Lehre als Tischler nach Elisabethstadt, von wo er dann als Tischlergeselle nach Schäßburg zog. Hier kam er gut voran, aber sein Unternehmungsdrang suchte ein größeres Tätigkeitsfeld. Wie viele Siebenbürger Sachsen in seiner Lage zog es ihn nach Nordamerika, wo er es, zusammen mit seiner Frau, zu einem ansehnlichen Vermögen brachte. In Philadelphia ging Kenstler in eine deutsch-englische Schule, wo er wegen seinen Kenntnissen und seiner Auffassungsgabe die zweite Klasse überspringen durfte. In kurzer Zeit beherrschte er die englische Sprache besser als die hochdeutsche, so dass seine Eltern ihn zu den Großeltern nach Schäßburg schickten. So wuchs Kenstler bei den Großeltern auf, die bestrebt waren, ihn zu einem evangelischen Pfarrer auszubilden. Da er dazu keine Neigung zeigte, besuchte er die Bürgerschule. Nach Beendigung der Schule erhielt er mit dem Aufsatzthema „Der Mord in Sarajevo“ den Abgangspreis der Bürgerschule, der acht Kronen betrug. Nach Schulabschluss im Juli 1915 arbeitete Kenstler bis 1. September 1916 als Lehrling in der Stadtgärtnerei, wo ihm die ganzen Außenkulturen anvertraut wurden. Nachdem die rumänischen Truppen im September 1916 Siebenbürgen besetzt hatten, musste Kenstler als 17jähriger den grauen Feldrock anziehen. Drei Neigungen, zum Bauern, zum Soldaten und zum Dichter, bestimmten von nun an sein Leben. Kenstler schreibt: „Der Hang zum Abenteuerlichen hat meine Jugend stark beherrscht; ich bin ihm trotzdem nicht verfallen, so sehr auch meine späteren Lebensnotwendigkeiten leicht dazu hätten führen können. An allen Abgründen, die sich vor mir öffneten, fand ich durch eigene Kraft und durch ein gütiges Geschick bis heute immer noch bei ihnen vorbei. Bei aller Losgerissenheit vom Ursprunge, blieb ich doch dem Ursprünglichen allezeit treu“ (Tagebuchfragment vom 17. April 1940). Nach dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien (1919) verließ Kenstler seine Heimat (wahrscheinlich 1920 oder 1921) und tauchte 1922/23 als landwirtschaftlicher Schüler in Bayern auf. In einer Formation, wahrscheinlich unter Rossbach, marschierte er 1923 beim Putsch in München mit. Dann führte ihn sein Weg zu Bruno Tanzmann und zur Deutschen Bauernhochschulbewegung, denen er sowie dem Dritten Reich seine Arbeitskraft bis zu seinem Tod widmete.
[55] Rudolf Prokscb: „August Georg Kenstler, der Artamanenführer aus Siebenbürger“, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 29. Jg., München 1980, S. 275-279,
[56] Vgl. Anhang Nr. 1.
[57] Stadtarchiv Goslar, Nachlass August Georg Kenstler, Dokument Nr. 11, Ludendorffs Volkswarte.
[58] Vgl. „Unser Weg“, in: Kämpfendes Landvolk, Maiausgabe 1930; vgl. auch „Deutschland in Ketten“, in: Kämpfendes Landvolk“, Nr. 27, Erste Juli-Ausgabe 1930 u.a.
[59] A. G. Kenstler: „Unter der schwarzen Fahne“, in: Kämpfendes Landvolk, Dritte Dezember-Ausgabe 1929; vgl. auch „Unser Weg“ (wie Fußnote 4).
[60] A. G. Kenstler: „Unter der schwarzen Fahne!“, in: Blut und Boden, Werbeblatt für die Jugend im Schloss Gauernitz zum Hohen-Maien 1929 (Staatsarchiv Goslar, Dokument 3).
[61] A. G. Kenstler: „Unter der schwarzen Fahne“, in: Kämpfendes Landvolk, Dritte Dezember-Ausgabe 1929.
[62] Bruno Tanzmann, einer der geistigen Führer der Artamanen, fasste den Entschluss, den freiwilligen Arbeitsdienst in Artamanenschaften aufzubauen, um die Wanderarbeiter von den deutschen Äckern zu vertreiben.
[63] In: Das Landvolk, überparteiliche, unabhängige Tageszeitung für das deutsche Volk in Land und Stadt, 2. Jg., 4. März 1930.
[64] Ebenda.
[65] A. G. Kenstler: „Unter der schwarzen Fahne“, in: Blut und Boden, Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, deutsche Wesensart und nationale Freiheit, Mai 1929.
[66] August Georg Kenstler: „Es lebe der Bundschuh“, in: Die Kommenden, Großdeutsche Wochenschrift aus dem Geiste volksbewusster Jugend, 11. Januar 1929.
[67] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Mappe 8. „Einiges über Wesen und Bedeutung der Artamanenbewegung. (Bund Artam e. V.)“. Hier heißt es: „Schon im Jahre 1924 erkannten vorausschauende deutsche Bauernführer (Tanzmann, Kenstler) wie auch Führer der städtischen landsehnsüchtig gewordenen Jugendbewegung, dass sich Arbeitslosigkeit und weitere Übel im Volke mehren würden von Jahr zu Jahr. Sie wollten vorbeugen und riefen deshalb die Jugend zum freiwilligen Landarbeiterdienst auf, der dann in der Artamanenbewegung Tat wurde.“
[68] A. G. Kenstler: „Es lebe der Bundschuh“, in: Die Kommenden, Wochenschrift, 11. Januar 1929.
[69] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Mappe 1. Schreiben Bruno Tanzmann an August Kenstler vom 14. Juli 1924.
[70] Ebenda, Schreiben Bruno Tanzmann an Dr. Karl Wolff vom 14. Juli 1924.
[71] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Mappe 1. Verband Raiffeisenscher Genossenschaften als Genossenschaft an Herrn Kenstler, Hermannstadt, den 23. Juli 1924, gez. Dr. Karl Wolff.
[72] Moorgebiet an der österreichisch-ungarischen Grenze, –Waasen = Sumpfgebiet am Südost-Ende des Neusiedler-Sees.
[73] Schreiben Wolff an Kenstler vom 23. Juli 1924 (siehe Fußnote 17).
[74] Gemeint ist der 1. Weltkrieg 1914-1918.
[75] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Tagebuch eines Freimütigen, Wien, den 17. April 1940, S. 18-19.
[76] Alwiß Rosenberg: Die Artamanen und der Arbeitsdienst – Kritischer Diskussionsbeitrag zu Karl Bühlers ‚Arbeitsdienst als Erziehungsaufgabe’, in: Stiftung Jugendburg Ludwigstein und Archiv der deutschen Jugendbewegung (Hg.): Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 9/1977, Witzenhausen 1977, S. 234.
[77] K. Gerber: Artam – Siedlung Wolfsee, Kr. Lötzen, in: Freundeskreis der Artamanen (Hg.): Artam – Siedler, Siedlungen, Bauernhöfe ..., Witzenhausen 1982, S. 93.
[78] Stadtarchiv Goslar, Dokument 2, Schreiben Kenstlers an Heinrich Himmler, Schellingstraße 50, München, 14. August o. J.
[79] Stadtarchiv Goslar, Schreiben Himmlers an Kenstler, 6. März 1929 (siehe Anhang 1).
[80] Gustavo Corni / Horst Gies: Blut und Boden. Rassenideologie und Agrarpolitik im Staat Hitlers, Idstein: Wissenschaftlicher Verlag Dr. Ullrich Schulz-Kirchner, 1994, S. 19.
[81] Einige Aussagen von vielen über „Blut und Boden“, in: Blut und Boden, Werbeblatt, das der Jugend in Schloss Gauernitz zum Hohen-Maien 1929 gewidmet wurde. In der gleichen Nummer unter der Überschrift „Vorwärts, mit Gott für Deutschlands Bauernschaft!“ schreibt Kenstler: „Das geistige Ringen um den Ausdruck unseres Wollens zwang uns zum Hervortreten mit der Zeitschrift: ‚Blut und Boden’. In harter Artamanenarbeit schufen wir den Maßstab der nationalen Hingabe für Blut und Boden, fanden wir den Geist, der die verachtete Landarbeit adelte, und prägten aus unserer Einsicht in das soziale und nationale Elendunseres Volkes die Forderung des Bundschuh! Unser Ruf ist das Signal zum Sammeln einer Kampfesfront, die Blut und Boden schicksalhaft erkannte als die tiefste Frage um die deutsche Zukunft. Im Bewusstsein dieser Verantwortung sehen wir die Forderung der Siedlung, stehen wir im Kampfe für die Selbstbehauptung auf der Scholle und bekennen wir uns mit der ganzen Kraft unseres Lebens für unsere nationale und soziale Freiheit!“
[82] A. G. Kenstler: „Es lebe die schwarze Fahne“, in: Das Landvolk, 4. März 1930.
[83] Ebenda.
[84] A. G. Kenstler: „Unter der schwarzen Fahne“, in: Blut und Boden, Hohe-Maien 1929.
[85] M. Domarus: „Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen“, Wiesbaden 1973, S. 174.
[86] Ebenda, S. 206.
[87] Vgl. Anhang Nr. 2 – Strafbefehl
[88] „Der Bannstrahl des Systems!“, in: Volkswarte, 12.11.19129.
[89] „Schutz dem Volkstum – nur nicht dem eigenen!“, in: Berliner Börsen Zeitung, 9.11.1929.
[90] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Darré, Mappe 94. Schreiben Darré an Kenstler vom 2.2.1930.
[91] A. G. Kenstler: „Deutsche Revolution“, in: Das Landvolk, 2.03.1930.
[92] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Darré, Mappe 94. Schreiben Darrés an Kenstler vom 25.04..1930.
[93] Bundesarchiv Koblenz: Nl. Darré 28, 295 f.; vgl. auch R. Peuckert: Die NSDAP als Trägerin des Bauerntumsgedanken, Odal II, 1942, 163-170.
[94] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Schreiben Kenstler an Darré, Berka, den 21. Mai 1930.
[95] Bundesarchiv Koblenz: NL. Darré 28, S. 296.
[96] Vgl. J. Petzold: „Großgrundbesitzer – Bauern – NSDAP: Zu ideologischen Auseinandersetzungen um die Agrarpolitik der faschistischen Partei 1932“. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 29 (1981), S. 1128-1139; vgl. auch R. Melzer: „Studien zur Agrarpolitik der faschistischen deutschen Imperialisten in Deutschland im System der Kriegsführung 1933-1941“. Diss. Rostock 1966.
[97] Vgl. „Blut und Boden“ in Anhang Nr. 3.
[98] Völkischer Beobachter vom 4.1.1933.
[99] Adolf Hitler: „Mein Kampf“. München 2, Verlag Franz Eher Nachfolger, GmbH, 1933, S. 151-152.
[100] A. G. Kenstler: „Es lebe der Bundschuh!“ In: Die Kommenden, 11. Januar 1929.
[101] Die wichtigsten Publikationsorgane der Agrarnazis waren das Wochenblatt „Nationalsozialistische Landpost“ (ab September 1931) und die Monatsschrift „Deutsche Agrarpolitik“ (ab Juli 1932), die zwei Jahre später in „Odal“ umbenannt wurde.
[102] A. G. Kenstler: „Gesundung nur durch Kampf!“ In: Kämpfendes Landvolk, Nr. 22, Erste Dezember-Ausgabe 1929.
[103] In ihrem 25-Punkte-Programm vom 25.2.1920, dessen wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Teil aus unverbundenen, mittelständisch- antikapitalistischen und scheinrevolutionären Parolen bestand, forderte die NSDAP in Punkt 17 eine den „nationalen Bedürfnissen angepasste Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke, Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation; vgl. dazu Gottfried Feder: „Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen“, 146.–155. Auflage, München 1934, S. 16 f.
[104] Gottfried Feder: „Das Programm der NSDAP“, a. a. O., S. 17.
[105] Vgl. Artur Schürmann: „Deutsche Agrarpolitik“, Neudamm 1941, S. 30 f.
[106] Horst Gies: „Richard Walter Darré und die nationalsozialistische Bauernpolitik in den Jahren 1930 bis 1933“, Dissertation, Frankfurt am Main 1965, S. 26.
[107] Rudolf Heberle: „Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918-1932“. Stuttgart 1963.
[108] Horst Gies: „Richard Walther Darré und die nationalsozialistische Bauernpolitik in den Jahren 1930 bis 1933“, a. a. O., S. 29.
[109] Gottfried Feder: „Das Programm der NSDAP“, a. a. O., S. 9.
[110] Ebenda.
[111] Vgl. Artur Rosenberg: „Geschichte der Weimarer Republik“, Frankfurt 1961, S. 198.
[112] Siehe Anhang Nr. 3.
[113] Jochen Frost: „Stimmen und Urteile über Artam“, in: Freundeskreis der Artamanen (Hg.): Fünfzig Jahre Artam, 1924-1974, Witzenhausen 1974, S. 63 f.
[114] A. G. Kenstler: „Deutsche Revolution“, in: Das Landvolk, 2. Jg., Nummer 32, 2. März 1930.
[115] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, „Tagebuch eines Freimütigen“, a. a. O., S. 8.
[116] A. G. Kenstler: „Heraus aus den Parteien!“ In: Kämpfendes Landvolk, 2. Jg., Nr. 8, Vierte Februar-Ausgabe 1930.
[117] R. Walter Darré: „Die rassischen Grundlagen des nationalsozialistischen Bauernrechts“. Aufsatz in: Rasse und Recht, 1. Jg. 1937/38, Nr. 8/9. In: Ders.: „Um Blut und Boden, Reden und Aufsätze“. München 1940, S. 314 f.
[118] Karl Hopp: „Deutsches Bauernrecht (Textsammlung)“. Berlin 1938, IV, 9, S. 32 f.
[119] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Darré, Mappe 94. Schreiben Darrés an Kenstler vom 25.4.1930. Darré schreibt unter anderem: „Heute geht Ihnen ein Durchschlag aus meinem Typoskript über mein Adelsbuch zu. Ich würde es gerne mit Ihnen besprechen, bevor es seine endgültige Fassung für den Druck erhält.“
[120] „Ein neuer Gegner der Hitlerbewegung“, in: Nationalsozialistische Landpost vom 22.11.1931.
[121] Tagebuch eines Freimütigen, a. a. O., S. 25.
[122] Ebenda, S. 26.
[123] Ebenda, S. 1 und 2.
[124] Ebenda, S. 3.
[125] Ebenda, S. 4.
[126] Arno Klöne: „Gegen den Strom“, Hannover: Norddeutsche Verlagsanstalt O. Goedel, 1958, S. 46.
[127] Konrad Mayer: „Gefüge und Ordnung der deutschen Landwirtschaft“, Berlin: Reichsnährstand-Verlag-GmbH 1939, S. 363.
[128] Rudolf Proksch: „August Georg Kenstler, der Artamanenführer aus Siebenbürgen“, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 29. Jahrgang, Folge 4, München 1980, S. 275-279.
[129] Ebenda, S. 279.
[130] Ebenda, S. 277.
[131] Ebenda, S. 278.
[132] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Mappe 7. „Tagebuch eines Freimütigen“. Wien, am 17. April 1940 begonnen, S. 6.
[133] Ebenda, S. 6 und 10.
[134] Rudolf Proksch: „August Georg Kenstler, der Artamanenführer aus Siebenbürgen“, a. a. O., S. 278.
[135] Ebenda.
[136] Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder: „Evangelische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz“, Stuttgart: Calwer Verlag, 1981, S. 25.
[137] Friedrich Ulrich: „Ein Deutscher“, in: Der Sämann vom 1. Mai 1941.
[138] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler, Trauerfeier zum Gedächtnis von August Georg Kenstler am Freitag, den 10. Januar 1941.
[139] Vgl. „Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1940-1944“, in: Siebenbürgische Zeitung, Organ der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, 15. Juli 1985, S. 7, sowie die Leserbriefe von Rudolf Binder, Freiburg i. Br., und Harald Roth, München; vgl. auch K. M. Reinerth: „Bemerkungen zu Johann Böhm: „Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936-1944“, in: „Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde“, Heft Nr. 1/1987, und andere Verunglimpfungen in den erwähnten Publikationen.
[140] Vgl. dazu: Klaus Popa und Johann Böhm: „Entzerrung der Verzerrung. Der Wunschmärtyrer Friedrich Müller-Langenthal“, in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik (künftig zit. HJS), Heft Nr. 1/Mai 2000, S. 55-69; dieselben: „Ein Interview der Arroganz und Selbstinszenesetzung“, in: HJS, Heft Nr.1/2000, S. 85-90; Johann Böhm: „Schmerzliche Wahrheit. Die Notwendigkeit einer objektiven Aufarbeitung der Geschichte der Deutschen in Rumänien von 1918 bis 1945“ (Teil I), in: HJS, Heft Nr. 2/2000, S. 41-64;  ders. Teil II, Heft Nr. 1/2001, S. 27-40; Klaus Popa: „Gott will es! Drei Stationen im Leben von Wilhelm Staedel“, in: HJS, Heft Nr. 1/2001, S. 91-105; Klaus Popa: „Ein halbes Jahrhundert ressentimentgeladener Kulturpflege. Die Südostdeutschen Vierteljahresblätter als Fallbeispiel“ (Teil I), in: HJS, Heft Nr. 2/2001, S. 81-100; ders.: Teil II, in: HJS, Heft Nr. 1/2002, S. 99-109; Johann Böhm: „Wie ‚braun’ war das Schulwesen der deutschen Minderheit in Rumänien von 1940 bis zum 23. August 1944?“ (Teil I), in: HJS, Heft Nr. 1/2002, S. 39-55; ders.: Teil II, in: HJS, Nr. 2/2002, S. 43-53, u.a.
[141] Willibald Henschel: „Was soll nun aus uns werden?“ In: Deutsche Bauernhochschule, Heft 3, 1923, S. 44 f.
[142] Heinrich Riedel: „Kampf um die Jugend – Evangelische Jugendarbeit 1933-45“, München: Claudius Verlag 1976, S. 36.
[143] Willibald Henschel: „Was soll nun aus uns werden?“ a. a. O., S.44 f. Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler: „Einiges über Wesen und Bedeutung der Artamanenbewegung“, Mappe 8.
[144] Stadtarchiv Goslar, Nachlass Kenstler: „Einiges über Wesen und Bedeutung der Artamanenbewegung“, Mappe 8.


© hjs-online Nr. 2/2002 – 5-6/2006
Erstellt: 22.01. 2002 - Aktualisiert: 01.09. 2006 


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Donnerstag, März 26, 2009

Viktor Glondys: Tagebuch



    VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG




Polemik
Glondys


Zur Geschichte der Rumäniendeutschen




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Rezension einer Rezension von Ulrich Andreas Wien zum Glondys-Tagebuch veröffentlicht in der "Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde" Falsch angelegte Demontage führt zur Selbstdemontage
Meine Publikation des Tagebuches von Bischof Glondys hat den Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde dazu veranlaßt, mit einem von Ulrich Andreas Wien gezeichneten Text im Rezensionsteil der "Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde" [20. (91) Jg., 1997, Heft 2, S. 202-210] prompt zu reagieren. Es ist zeitlich die erste, obendrein auch die einzige Stellungnahme, die durch die Vehemenz ihrer Wortwahl und polemische Ausbrüche auffällt. Indem die Redaktion der "Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde" den Titel meiner Veröffentlichung mit einer Anmerkung versieht (S. 202), in der sie die vollinhaltliche Drucklegung der Rezension damit begründet, daß ich, nachdem ich genannten Wien schriftlich um eine Rezension gebeten hatte, den Kontakt mit dem Rezensenten nach der Zusendung der Besprechung abgebrochen habe und nicht bereit war, der Zeitschrift ein Rezensionsexemplar zur Verfügung zu stellen, blligt sie doch gänzlich die Ausführungen des Rezensenten. Es entfällt also der auf dem Umschlagblatt der Zeitschrift vermerkte Vorbehalt: Die "mit Namen gekennzeichneten Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich". Heißt das also, daß die herabwürdigende Tonlage, in der Bischof Glondys als Verfasser und ich als Herausgeber angegriffen werden, von der Redaktion der Zeitschrift geteilt wird? Ich möchte klarstellen, daß ich zwar Wien veranlaßt habe, eine Rezension zu verfassen, und das im Glauben an Fairneß und Wissenschaftlichkeit. Als ich jedoch die unsachliche und polemisch angelegte Rezension las, in der Wien den Schwerpunkt lediglich auf die Übernahme des Bischofsamtes durch D. Dr. Viktor Glondys kurz nach dem 23. August 1944 und den Querelen zwischen ihm und Müller setzt, womit er bewiesen hat, daß ihm die elementarsten Kenntnisse der historischen Entwicklung im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien und deren Parteigeschichte in der angesprochenen Zeit fehlen, mußte ich von einer Veröffentlichung absehen. In einem mit ihm geführten Telefongespräch stellte ich fest, daß er die Predigt "Wovon und wozu befreit Christus?" von Müller nicht gelesen hatte, fotokopierte ich sie ihm freundlicherweise und schickte sie ihm zu. Neben antisemitischen Äußerungen sagt Müller darin wörtlich: "Und das 'Heil Hitler' wird gerade uns Christen in diesen Tagen zum Gebet. Hier handelt der Führer ganz gewiß als Gottes Werkzeug." Der Glaube an das Charisma Hitlers ist demnach nicht von einem damit korrespondierenden Glauben an die Existenz und Macht Gottes zu trennen. In seinem Glauben an das Charisma Hitlers kreuzt er göttlich-arischen Blutes mit der Sendung durch einen allmächtigen Gott.
Von dem Briefwechsel zwischen Müller und den deutschen Reichsstellen, in denen Müller eindeutig seine politische Einstellung zu erkennen gibt, hat Wien ebenfalls keine Kenntnis. An dieser Stelle sei nur eine Äußerung Müllers aus einem seiner Schreiben an die Reichsstellen wiedergegeben: "In der hiesigen nationalsozialistischen Bewegung ist eine Spaltung entstanden. Eine Gruppe vom Typus der permanenten Revolutionäre unter Führung von Dr. Waldemar Gust hat genau ein Jahr nach dem Röhm-Putsch am 30. Juni d. Js. eine technisch zunächst gelungene Verschwörung gegen den Führer der hiesigen nationalsozialistischen Bewegung, Rittmeister a.D. Fritz Fabritius, durchgeführt. Fabritius hat daraufhin alle aufbauenden Elemente der nationalsozialistischen Bewegung um sich geschart, und die beiden Gruppen stehen nun in heftigstem Kampf gegeneinander. Wenn dieser Zustand lange dauert, wird die Reaktion, die schon Morgenluft wittert, wieder aufkommen und letzten Endes doch das Feld behalten. Über die Folgen einer solchen Wendung brauche ich Ihnen nichts mehr weiter zu sagen, da wir darüber eingehend gesprochen hatten. [...] um zu verhindern, daß durch gut gemeinte, aber falsch angewendete deutsche Unterstützung eine Lage im hiesigen Deutschtum heraufgeführt werde, die letzten Endes die Früchte der Reaktion zum Reifen brächte und unsere Aufgeschlossenheit für die Einwirkungen aus dem Reich lahm legte [...]"(im: Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn, R - 189. Staatssekretär Lammers von der Reichskanzlei übersendet dem Auswärtigen Amt mit Rk. 6304/35 vom 5. August ein Schreiben Müllers vom 19. Juli 1935 zur Kenntnisnahme. Das Schreiben ist im Buch von Johann Böhm: "Die Deutschen in Rumänien und das Dritte Reich 1933-1940", Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Peter Lang, abgedruckt).
Dieser von Müller verwendete Jargon spiegelt denjenigen der nationalsozialistischen Bewegung im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien wider. Es ist erstaunlich, daß Müller die altbewährte Führung der Siebenbürger Sachsen mit Dr. Hans Otto Roth an der Spitze wie die Nazis als "Reaktion" bezeichnet und befürchtet, daß sie, falls Deutschland nicht eingreift, wieder "das Feld behalten".
Nicht nur diese Feststellungen veranlaßten mich dazu, diese eigenwillige Rezension, die die historischen Fakten und die menschlichen Qualitäten Glondys ignoriert, in unserer Zeitschrift nicht aufzunehmen, sondern auch sein Begleitschreiben vom 9.9.1997 in welchem er sich im Ton vergriff: "Änderungen werde ich allerdings nicht vornehmen. Mit Ihnen zu zanken oder mich mit Ihnen zu balgen, habe ich nicht die Absicht."
Wer die Aufgabe der Religion in dieser Zeit (1933-1949) verkennt, so wie das Wien bewiesen hat, erkennt Politik nicht. Auch die Möglichkeit, daß die politische Wirklichkeit von religiösem Bewußtsein abhängt, ist dadurch gegeben, daß Politik ein Zusammengesetztes ist, daß die Struktur der Gesellschaft stets konstituiert werden muß - ob in Form von Bewahrung oder Veränderung, so wie Glondys das in seinen Aufzeichnungen darstellt. Daß dabei das Bewußtsein von dem, was Realität ist oder sein könnte, das politische Sein bestimmt, hat Wien ebenfalls nicht wahrgenommen. Er hat nicht danach gefragt, wie die Auffassungen und Wahrnehmungen von der deutschen Volksgruppe in Rumänien in das Urteilen und Handeln eingeflossen sind, wie die nationalsozialistischen Ideologen der "völkischen Weltanschauung" Welt und Volk betrachteten, was ihnen das "Wesen" von Volk und Welt bedeutete. Auch den Zusammenhang von Politik und Religion in der Zeit von 1933 bis 1949 hat Wien nicht hinterfragt, sondern sich lediglich mit der Person Glondys - und das aus dem Blickwinkel seiner Gegner - beschäftigt, anstatt sich mit den politischen Phänomenen wie Macht, Institutionen, Ethik, Modelle gesellschaftlicher Existenz, Ideologien usw. unter besonderer Berücksichtigung religiöser Implikationen auseinanderzusetzen.
Daraus ist zu schließen, daß Wien nicht erkannt hat, daß die Siebenbürger Sachsen auf Schritt und Tritt die Tradition, die Gesichtspunkte und Gefühlsmomente vergangener Geschichtsbilder noch immer mit sich herumschleppen. Hinzu kommt aber das überwältigende Gefühl, daß alle bisherigen Maßstäbe auf das Erleben unserer Zeit nicht mehr recht passen wollen. Wir müssen spüren, daß wir uns in einem Umbruch befinden, einem Ende und einem Neubeginn zugleich. Dies erfordert eine völlig neue Sicht und eine geistige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in der Einseitigkeit fehl am Platze ist.
Wiens Rezension reiht sich nahtlos in die seit der Veröffentlichung meiner Dissertation "Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936-1944", Peter Lang Frankfurt am Main, Bern, New York 1985, gegen mich geführte Verleumdungskampagne. Dieser Text bedient sich derselben Diversionsmechanismen wie seinerzeit Karl M. Reinerth: Es wird keinerlei Stellung zu objektbezogenen Fragen oder Aspekten bezogen, hingegen eine unwissenschaftliche Textkritik betrieben. Wien ignoriert "traditionsgetreu" die faktische Brisanz der Tagebuchaufzeichnungen sowie meine dokumentarischen Enthüllungen. Hätte Wien die Abschlußworte von Bischof Glondys auf der Sitzung des Landeskonsistoriums und der Dechanten der fünfzehn Kirchenbezirke vom 30. Januar 1934 (Unsere Kirche als Bollwerk der sächsischen Volksgemeinschaft, in: SDT, Nr. 18241, 61. Jg., 2. Februar 1934) gelesen, in denen dieser auf die Bedeutung des bischöflichen Amtes hingewiesen hat und die nationalsozialistischen Kräfte aufforderte, sich vom einsetzenden Machthunger zu distanzieren, weil die "Kollektivrechte des sächsischen Volkes auf der Autonomie unserer Kirche ruhen", hätte er Glondys Einstellung und Arbeit mit anderen Augen gesehen. Seine Motivation ist daher leicht auszumachen: Der Wille zur Verdrängung der nationalsozialistischen Verstrickung der Siebenbürger Sachsen ist noch immer stärker als die Bereitschaft, sich mit der Vergangenheit ernsthaft auseinanderzusetzen.
Wien macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Friedrich Müller und dessen "Erinnerungen" (1995), ohne dabei eine solide Quellenanalyse gemacht zu haben. Diese Voreingenommenheit veranlaßt ihn im Vorwort und in den Anmerkungen zum "Tagebuch", bei mir eine vorgefaßte Meinung von Bischof Glondys anzuführen, wodurch ich "die vorliegende Textfassung zu beschönigen bzw. zu verwässern" suchte. Schmerzt es Wien und Auftraggeber, daß durch meine Edition weitere Fakten in Umlauf gelangen, die die nationalsozialistische Verstrickung der Siebenbürger Sachsen erneut belegen und ergänzen, und daß die Tagebuchaufzeichnungen von Glondys mit dem reichlich vorhandenen Quellenmaterial, welches Wien nicht hinterfragt hat, im Einklang stehen? Sämtliche Besprechungen meiner Edition sind sich einig über den hervorragenden Zeugniswert der Tagebuchaufzeichnungen sowie der Wissenschaftlichkeit der Edition, lediglich die "Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde" behauptet das Gegenteil. Z.B. Prof. Dr. Theol. Peter Maser erblickt im "Tagebuch" ein ganz wichtiges Zeugnis der siebenbürgischen kirchlichen Zeitgeschichte (Ostkirchliche Information, in: Siebenbürgische Zeitung, 25. Februar 1998, S. 10); Ralph Hennigs unterstreicht das Verdienst der Herausgeber und Bearbeiter und "Wert und Brisanz der Veröffentlichung" (in: Deutsches Pfarrerblatt 5/98, S. 314; Oldenburger Pfarrerblatt Februar 1998, S. 7-10); Michael Kroner meint, das "Tagebuch" biete, "da wir aus dieser Zeit keine andere Primärquelle von solchem Umfang besitzen [...], viele bisher nicht bekannte Details" und räumt ein, daß "der Forschung eine wichtige Quelle zugänglich gemacht" wurde (Globus 1/98 -hg. vom Verein für das Deutschtum im Ausland, S.28). Derselbe begrüßt in seiner Rezension in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. März 1998, S. 9 das "Tagebuch" als editorisches Ereignis und bescheinigt mir "eine beachtliche editorische Fleißarbeit". Klaus Popa hält den "außerordentlichen dokumentarischen Wert" des "Tagebuches" fest und meint, die Herausgabe war "überfällig" (Karpaten Rundschau, 31. (42.) Jg., Nr. 17 (2448), 1. Mai 1998, S. 3). William Totok findet, daß das "Tagebuch" wichtige Informationen zur rumänischen Geschichte enthält (Altera, Jg. IV, Folge 8, 1998, Tîrgu-Mureº, Rumänien). Die zehnminütige Radiosendung "Mosaik" des WDR vom 14.1.1998 kam zu der Schlußfolgerung, daß das "Tagebuch" von Bischof Glondys eines der wichtigsten Zeitdokumente ist, mir wurde eine fundierte wissenschaftliche Arbeit bescheinigt.
Die "Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde" steht mit ihrer konträren Einstellung alleine da. Das sollte die Redaktion zur Einsicht gelangen lassen, daß sie dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, dessen Presseorgan sie redigiert, durch ihr voreiliges und anmaßendes Vorsprechen unter der Federführung von Ulrich Andreas Wien einen Bärendienst erwiesen hat.
Wien wirft mir vor, "zur Legendenbildung" beizutragen. Ferner, daß die Edition ein "Versuch eines profanen Kanonisierungsverfahrens" (der Person von Glondys) sei (Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, S. 203). Solche Kommentare verdeutlichen, daß Wien und Auftraggeber befürchten, meine Edition könnte eine ihnen unannehmbare Rückbesinnung auf Bischof Glondys und die von ihm vertretene und verkörperte intellektuelle, demokratische, christliche und konservative Weltanschauung und politische Option bewirken.
Der Versuch Wiens, die Lauterkeit meiner Textedition auf textkritischer Grundlage infrage zu stellen, beansprucht insgesamt 3 Spalten (Zeitschrift für Sieb. Landeskunde, S. 204f.). Anhand des Umfanges der durch Bischof Friedrich Müller für den Zeitraum 24. April - 27. Juli 1945 erstellten Typoskriptfassung (die von uns noch zu übersetzen sein wird), die 282 Zeilen lang ist (bzw. sein soll), während in meiner Edition nur 129 Zeilen vorliegen, wird "für die zukünftige historische Forschung die Aufgabe" ausgemacht, "mit der Differenzierung von Lang- und Kurzfassung zu rechnen und diese zu berücksichtigen" (S. 203). Nun werden zukünftige Forschungsaufgaben abgesteckt, jedoch kein Wort über die zentrale Aufgabe historischer Forschung verloren, die personen- und gruppenbezogenen Fakten der Jahre 1933-1945 herauszuarbeiten und zu veröffentlichen. Niemand wird bestreiten, daß es Textunterschiede gibt (oder geben kann), aber die Kernfrage um das "Tagebuch" von Glondys dreht sich nicht um die Konfrontation zweier oder mehrerer Textvarianten, wenn es die überhaupt gibt, sondern um den faktischen Informationswert. Die Positionierung Wiens und seines Auftraggebers, Textfragen Priorität einzuräumen, dient wenigstens zwei erkennbaren Zielen:
a) der von mir veröffentlichten Textvariante die Glaubhaftigkeit zu nehmen;
b) von der kirchen-, personen- und parteigeschichtlichen Brisanz der Textaussagen abzulenken;
Federführer Wien entfesselt auf insgesamt dreieinhalb Spalten (S. 206-208) eine textkritische "Hexenjagd", indem er mir Text- und Anmerkungsversäumnisse nachträgt. Die meisten beanstandeten Schreibungsabweichungen sind näher betrachtet darauf zurückzuführen, daß die Vorlagen jeweils verschiedene Lesarten des in Gabelsberger Kurzschrift verfaßten Urtextes bringen. Die Anmerkungen mit biografischer Bezugnahme verdanke ich den Informationen von Mitarbeitern, die im Editorial, Seite XXVI angeführt sind.
In seiner Voreiligkeit zieht Wien den Schluß, daß das Buch ernsthaft "keine quellenkritische Basis wissenschaftlicher Kirchen- und Profangeschichtsschreibung darstellen" kann (S. 205). Die bereits angeführten Pressestimmen belegen die Fehlerhaftigkeit dieser Einschätzung. Außerdem liefert Prof. Dr. Peter Maser eine kirchengeschichtliche Würdigung. Er betont, "daß die deutsche kirchliche Zeitgeschichtsforschung allmählich auch um jene Aspekte erweitert werden muß, die die verschiedenen Gruppen des deutschsprachigen Protestantismus im östlichen Europa betreffen" (Siebenbürgische Zeitung, 25. Januar 1998, S. 10).
Wien wirft mir ferner vor, "fast sklavisch am Typoskript festgehalten" zu haben. Ich habe den Auftrag von Frau Irmgard Glondys respektiert, das Typoskript in seiner vorhandenen Form zu veröffentlichen. Als Höhepunkt seiner Behauptungen betrachte ich das vorgespielte Bedauern, "daß Böhm im Alleingang und ohne kompetente Konsultationspartner, die sicher der Sache wegen zur Mitarbeit bereit gewesen wären, vorgegangen ist" (S. 209).
Eine voraussichtlich in weiteren Verdrängungsmanövern ausartende Mitarbeit kann ich verständlicherweise entbehren. Die Formulierung "der Sache wegen" ist außerdem so schleierhaft, daß damit kaum das eigentliche Objekt der Mitarbeit, der Informationsreichtum des Tagebuches, gemeint sein kann. Auffallend ist, daß ausgerechnet die Stelle mir Alleingang und Inkompetenz vorwirft, die eine Publikationsofferte von Dieter Braeg ausgeschlagen hat. Daß nun ausgerechnet dort "kompetente Konsultationspartner" säßen, ist äußerst fragwürdig.
Ein weiterer Kritikpunkt Wiens ist mein Umgang mit dem Lebenswandel von Bischof Glondys. Da Wien einseitig für den lebenslangen Widersacher von Glondys, Friedrich Müller, Partei ergreift, ist es nicht verwunderlich, daß er bei Glondys die nationalsozialistische Verstrickung finden möchte, welche eigentlich auf Müller zutrifft. Glondys war es doch, der den rücksichtslosen und ehrabschneiderischen Kampagnen der radikalen Nationalsozialisten ausgesetzt war und unter deren Druck er schließlich sein Bischofsamt aufgeben mußte. Und Müller rettete durch geschicktes Taktieren sein Bischofsamt in die Volksguppenzeit von Andreas Schmidt hinüber. Auch war es nicht Glondys sondern Müller, der 1943 die mit der Volksgruppenführung ausgehandelte Vereinbarung der Kirchenführung unterzeichnete.
Makaber ist die Unterstellung, Glondys sei in den Kriegsjahren geistig eingeschränkt gewesen (S. 209). Diese Behauptung zeigt, wo die eigentlichen "Legendenbilder" stehen. Es handelt sich zweifelsohne um eine Wunschprojektion, die zur Bildung der Legende um die geistige Unzurechnungsfähigkeit von Glondys führte. So etwas kann nur aus dem verleumderischen Repertoire damaliger Glondys-Feinde stammen, das augenscheinlich auch heute noch Früchte trägt. Müller soll laut Wien der unbefleckte, "führende Kopf der innerkirchlichen Opposition gegen die gleichgeschaltete Kirchenleitung" gewesen sein (S. 210). Diese Art der Parteinahme hinterläßt einen bitteren Beigeschmack.
Wien vollbringt schließlich auch das Kunststück, mich in die "Tradition des Kronstädter 'Donnerstagabend', der Glondys als dessen Fanclub geradezu kultische Verehrung entgegenbrachte" (S. 210) zu stellen. Er tut so, als ob die Mitgliedschaft in oder Sympathie für den "Donnerstagabend" und für Glondys ein Vergehen sei und auch heute noch als solches gelte. Das ist eine Stigmatisierung, die Glondys, die liberal-konservativen Kräfte und alle, die Glondys verehrten und heute noch verehren, treffen soll.
Im Punkt des "Donnerstagabend" gibt Wien uns seine geistigen Väter unmißverständlich zu erkennen, woher sie ihr polemisches Instrumentarium beziehen: aus dem schmutzigen Arsenal der radikalsten Gegner und Verleumder von Glondys.
Bis heute nachwirkender Haß und Zorn sprechen aus dem Versuch, den "Donnerstagabend" karrikaturhaft als "Fanclub" von Bischof Glondys zu entwürdigen. Hier treten die Ressentiments, die Wiens Flickwerk speisen, klar zutage und belegen, daß sein Text den Zweck verfolgt, diese Ressentiments abzureagieren auf die Herausgeber des "Tagebuchs" und auf die Wertvorstellungen, die Glondys verkörpert.
Johann Böhm


    Vorwortzu Viktor Glondys' Tagebuch. 
Aufzeichnungen von 1933 bis 1949, AGK-Verlag, Dinklage 1997
Die meisten Tagebücher werden nicht mit dem Ziel einer Veröffentlichung geschrieben; dieses jedoch ist von Anfang an mit dem Gedanken angefertigt worden, es eines Tages zu veröffentlichen.
Dem scharfsinnigen Denker D. Dr. Viktor Glondys, ehemaliger Bischof der deutschen evangelischen Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses (A.B.) in Rumänien von 1932 bis 1941, ist es gelungen, nicht nur die religiös-kirchliche und politische Entwicklung von 1932 bis 1949 im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien kritisch unter die Lupe zu nehmen, sondern vor allem auch diejenige im "Dritten Reich" und in Europa. Sein Tagebuch ist ein fesselndes, authentisches Zeugnis zur deutschen Zeitgeschichte, das nicht nur über die Treffen dieses Bischofs mit den offiziellen Repräsentanten des "Dritten Reiches", seine Reisen in verschiedene Gegenden Deutschlands und Europas und seine Beobachtungen als Vorstandsmitglied im "Lutherischen Weltkonvent" , im Internationalen Verband für Innere Mission und Diakonie sowie als Vorsitzender der deutschen evangelischen Kirchen des südosteuropäischen Raumes Auskunft gibt. Es hält vielmehr auch seine Eindrücke vom alltäglichen Leben während der Nazidiktatur, von den Begegnungen mit den Persönlichkeiten der "Bekennenden Kirche", der "Deutschen Christen" und dem Reichsbischof Müller sowie mit den "gewöhnlichen Leuten" in Nazideutschland und in anderen Ländern Europas fest.
Gegenstand dieses Buches ist daher nicht nur der Autor Glondys, sondern Hitlerdeutschland und seine Ausstrahlung auf die deutschen Volksgruppen außerhalb der Reichsgrenze. Dabei werden mit verblüffender Genauigkeit die Reichskirche, die Bekenntniskirche, die Volkskirche im Umbruch und in der Kontinuität im deutschen Protestantismus von 1933 bis 1945 sowie der Kirchenkampf im "Dritten Reich" und im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien dargestellt. Nicht zu kurz kommt im Tagebuch die Etablierung des Nationalsozialismus in Deutschland, Österreich und im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien sowie die Gleichschaltung der Rumäniendeutschen nach 1940 und deren Auslieferung als "Kanonenfutter" an Hitlerdeutschland. Angesprochen wird auch die Kapitulation Rumäniens am 23. August 1944 sowie die darauffolgende Verschleppung der deutschen Bevölkerung nach Rußland.
All diese Beobachtungen werden nicht in einen engen nationalen Rahmen gesetzt, sondern in den Rahmen "Europa". Mit wachsender Faszination und mit Schrecken beo-bachtet Glondys, wie die Strömungen in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre in Bewegung gerieten, die zum Weltkrieg führen sollten. Primäre Ursachen für den Umbruch des Kontinents waren für Glondys ein Land, Deutschland und seine Deutschen außerhalb der Reichsgrenze, und ein Mann, Adolf Hitler, und seine Helfershelfer.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß die religiös-kirchliche und politische Lage in Deutschland von jeher einen maßgeblichen Einfluß auf die Verhältnisse bei den Siebenbürger Sachsen hatte. Als der Nationalsozialismus die Religion ersetzen, sie überflüssig machen wollte und seit 1935 aus herrschenden und maßgeblichen Kreisen christentumsfeindliche Äußerungen laut wurden, in denen als Gegensatz zum überlieferten Christentum eine "arteigene" germanische Religion propagiert wurde, widersetzte sich Glondys aufgrund seines reformatorischen Bekenntnisses dieser Tendenz.
Daß es dabei zwischen ihm und einem Teil der kirchlichen Angestellten (Pfarrern und Lehrern), die dem Nationalsozialismus nahestanden, zu erregten Diskussionen und kirchlichen Maßnahmen kam, war für Glondys in seiner Bischofseigenschaft eine Selbstverständlichkeit.
Auch wenn die taktisch-neutrale und konfessionsindifferente Gesamtlinie der Erneuerungsbewegung um Fritz Fabritius bis 1934 von der entschiedenen Abwehr völkisch-neuheidnischer Konzeptionen charakterisiert war, sollte sich das in der Folgezeit ändern. Die Annäherung an nationalsozialistische Strömungen verstärkte sich, obwohl sich die Bewegung in Abkommen und Vereinbarungen mit der Kirchenleitung - auf starken Druck von Glondys - zur Kirche und der Kirchenordnung bekannte. Die Bereitschaft Glondys', mit den völkisch-sittlichen Elementen der Erneuerungsbewegung zusammenzuarbeiten und sie der Kirchenordnung untertänig zu machen, beruht in dieser Phase auf der kirchenpolitischen Zusicherung Hitlers und auf dem Programmpunkt 24 des NSDAP-Pro-gramms ("positives Christentum"). Darum zeigten sich nach der Machtübernahme Hitlers auch bei solchen Geistlichen im deutschen Siedlungsgebiet von Siebenbürgen, die gravierende Vorbehalte gegenüber dem NS-Regime und der sich etablierenden Erneuerungsbewegung hatten, Neigungen, den Nationalsozialismus unter politischen Vorzeichen zu rezi-pieren. Die Gefahren pervertierender pseudoreligiöser Überfremdung politischer Ordnung werden von Glondys kritisch aufgezeigt und von ihm vorerst nur als bedrohliche Möglichkeit dargestellt.
Zum Verständnis des Lesers soll hier darauf hingewiesen werden, daß neben den Problemen der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien die der Volksorganisation standen und diese von der Kirchenführung berücksichtigt werden mußten. Die Vertretung der Belange der Siebenbürger Sachsen wurde durch den Volksrat und dessen Kreisausschüsse wahrgenommen. Die Volksorganisation war keine Partei im eigentlichen Sinne innerhalb des parlamentarischen Systems im rumänischen Staat; ihre Vertreter im Parlament und im Senat schlossen sich meistens der Regierungspartei an und konnten so die Interessen der deutschen Bevölkerung vertreten und bewahren. Die Parlamentarier schlossen sich nach 1918 in der "Deutschen Parlamentspartei", die sich nach 1929 "Deutsche Partei" nannte, zusammen. Die führenden Persönlichkeiten der Siebenbürger Sachsen ka-men vor und nach 1918 ausschließlich aus dem akademisch gebildeten Großbürgertum. Das Wahlsystem ermöglichte es ihnen, führende Positionen unter ihren Familien oder Angehörigen zu verteilen, ohne dabei auf Widerstand zu stoßen. Auch die Kandidaten für die "Deutsche Parlamentspartei" wurden offiziell von den Kreisausschüssen gewählt, in Wirklichkeit aber von der Oberschicht des Bürgertums bestimmt. Diese Gruppe der siebenbürgisch-sächsischen Politiker, die im rumänischen Abgeordnetenhaus und im Senat saßen, blieb bis 1940 nahezu konstant.
Die evangelische Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses, an deren Spitze der auf Lebenszeit gewählte Bischof stand, war die Trägerin des Schulwesens und besaß auch darum eine wichtige gesellschaftliche Stellung. Neben dem Obmann des Volksrates war der Bischof der oberste Repräsentant der Siebenbürger Sachsen. Diese hohe Stellung wurde auch von der rumänischen Regierung anerkannt, die ihn zum Senator "ex officio" ernannte. Die Amtsträger der evangelischen Kirche gehörten mit wenigen Ausnahmen auch der Oberschicht (Bürgertum) an und erhielten meistens eine Doppelausbildung als Theologen und Pädagogen. Ein Funktionswechsel war keine Seltenheit, da in kleineren Ortschaften der Lehrer auch den Pfarrer ersetzen mußte und umgekehrt der Pfarrer den Lehrer.
Wenn Anfang 1918 die Siebenbürger Sachsen in politischer und wirtschaftlicher Hin-sicht als eine geschlossene Gemeinschaft erschienen, so sollte sich das in der Folgezeit ändern.
Als Bischof der deutschen evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien vertrat Glondys den Standpunkt, daß Freiheit und Verantwortung untrennbar miteinander verbunden sind und daß Verantwortung jedes Individuum und nicht das Kollektiv zu tragen hat. Diese demokratische Auffassung wurde ihm von seinen Gegnern, die ihm einen diktatorischen Führungsstil vorwarfen, negativ angekreidet,.
Seine Bischofswahl (14. November 1932) fiel in eine Zeit voller politischer Gegensätze und einschneidender Ereignisse im wirtschaftlichen und sozialen Leben der Siebenbürger Sachsen. Glondys' Entschlossenheit, die evangelische Landeskirche aus der finanziellen Verschuldung herauszuführen, die Autonomie der Kirche zu sichern und sie ebenso wie die Schulen mit den notwendigen materiellen Mitteln zu versehen und den nazistischen Umtrieben entgegenzutreten, verlangte von ihm in seiner Eigenschaft als Bischof ein autoritäres Auftreten, das sich jedoch nicht destruktiv, sondern konstruktiv auswirkte. Glondys ist in kirchlichen und öffentlichen Fragen, die die Volksgruppe und ihr Wohl betrafen, nie eigenmächtig vorgegangen. Alle kirchlichen Anordnungen und Vorschriften wurden an die zuständigen Gremien verwiesen, wo sie besprochen und erst nach deren Zustimmung in die Tat umgesetzt wurden. Glondys' Richtung trägt von Anfang an klare Züge: das volkskirchliche Erbe der Siebenbürger Sachsen zu wahren, die Kulturaufgabe der Kirche zu festigen und von fremden ideologischen und religiösen Einflüssen zu bewahren. Dieser Gedankengang schlägt sich auch in seiner Festpredigt bei der Bischofseinführung am 29. Mai 1933 nieder, in der er sich "zum Erbe der lutherischen Lehre und zur sittlich-religiösen Kraft des christlichen Glaubens bekennt" und darauf verweist, daß "zwischen der Erneuerungsbewegung und dem christlichen Glauben kein Zwiespalt aufgerissen werden darf". Dieses bedeutet, daß Glondys schon damals erkannt hat, welche Gefahr die nazistische Erneuerungsbewegung für die Gläubigen in Siebenbürgen bedeutete. Darum war er auch von Anfang an bestrebt, zwischen Kirche und den politischen Gruppierungen eine klare Linie zu ziehen. Dennoch blieb auch Glondys nicht von den völkisch-nationalen Ideen unbeeindruckt. Durch häufige Reisen nach Deutschland, wo er mit den Nazigrößen und Kirchenhäuptern zusammentraf, lernte er die Ideologie unmittelbar kennen. Von diesem Beobachtungsposten aus sah er die europäischen Demokratien straucheln. Aber er beobachtete auch, wie Hitler - mit Zynismus agierend, voller Entschlossenheit und Klarheit in seinem Programm - von Sieg zu Sieg eilte, wie er Deutschland einte und bewaffnete, wie er seine Nachbarn vernichtete und annektierte. All dies beeindruckte Glondys nicht unwesentlich. Daraus ist auch seine anfängliche Bereitschaft zu erklären, mit der nazistischen Erneuerungsbewegung um Fritz Fabritius zusammenzuarbeiten. Jedoch erfolgte sie mit dem Zweck, sie der Kirchenordnung zu unterstellen und sie für die Kirche und für die Volksgruppe fruchtbar zu machen. Die protestantische Tradition bei den Siebenbürger Sachsen entsprach zudem der Vorstellung einer starken Obrigkeit mit enger Verbindung von Altar und Volksführung. Dieser wollte Glondys treu bleiben und sie nicht dem nazistischen Kadavergehorsam aussetzen. Für viele Pfarrer und Lehrer entstand eine paradoxe Situation. Die Mehrzahl stellte sich anfangs auf Glondys' Seite, als die Erneuerungsbewegung versuchte, die Kirchenführung (das Landeskonsistorium) der Bewegung untertänig zu machen.
Die kategorische Ansicht Glondys' war, daß eine friedliche Zusammenarbeit nur dann möglich sei, wenn die Führung der Erneuerungsbewegung sich verpflichte, keine Forderungen an die Mitglieder der evangelischen Landeskirche A. B. zu richten, die mit der kirchlichen Verkündigung, der Kirchenordnung und den sonstigen Vorschriften im Widerspruch stünden.
Da Deutschland zu dieser Zeit keine offenen Konflikte mit Rumänien heraufbeschwören wollte, wurde Fritz Fabritius, Führer dieser Bewegung, in einem Schreiben von Rudolf Heß 1933 aufgefordert, mit den anderen politischen Gruppen und vor allem mit der Kirchenleitung eine friedliche Zusammenarbeit anzustreben, was jedoch nicht respektiert wurde.
Als dann die "Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien" (NSDR) von Fritz Fabritius auf dem 5. Sachsentag (Oktober 1933) die absolute Mehrheit im Volksrat erringen konnte, versuchte der neue Volksrat von Siebenbürgen, die deutsche Presse im Siedlungsgebiet zu unterdrücken, was zu einem zeitweiligen Verbot (29. November 1933) der Bewegung durch die rumänische Regierung führte. Bereits 1934 änderte die NSDR ihren Namen in "Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien" (NEDR) um. Trotz ihrer exponierten Stellung begann sie einen offenen ideologischen Kampf gegen all diejenigen, die nicht in ihrem Lager standen, und gegen die Kirchenleitung. Als Glondys während seiner Ansprache auf der Volksratssitzung am 22. Januar 1934, in der er versuchte, die rivalisierenden Gruppen (NEDR und die Konservativen um Dr. Hans Otto Roth) zu versöhnen, vom Chefideologen der NEDR, Dr. Waldemar Gust, durch Zwischenrufe gestört wurde, verließen er und die Mehrheit des Volksrates den Saal. Dieser Zwischenfall war der Start zu einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden politischen Gruppen und der evangelischen Kirche. In der Flugschrift "Zur Klarstellung der Lage. Ein Wort an alle Siebenbürger Sachsen" (erschie-nen im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt vom 24. Februar 1934) erläuterte Glondys den Tatbestand und machte gegen die nazistischen Methoden der NEDR-Führung Front. In eindrucksvollen Kundgebungen stellten sich die Bezirkskonsistorien, die Presbyterien der Kirchengemeinden sowie viele Einzelpersonen hinter ihren Bischof.
Wenn Glondys bis zu diesem Ereignis ein gewisses Vertrauen in die neuen Verhältnisse signalisierte, so ermahnte er von nun an die Gläubigen zur Treue zur rechtmäßigen Obrigkeit (gemeint war damit die Kirchenleitung).
Die Mehrheit der Pfarrer, der Lehrer und der Siebenbürger Sachsen widersetzte sich den Versuchen der NEDR, die sich gegen traditionelle Selbstverwaltungsstrukturen der Landeskirche und kirchlicher Vereine richteten, und lehnte die autoritär-diktatorisch agierenden Führer der Bewegung ab. Darum forderte Glondys die Angestellten der Kirche (Pfarrer und Lehrer), die Mitglieder der Erneuerungsbewegung waren, auf, ihre Mitgliedschaft ab sofort zu kündigen. Er drohte gleichzeitig mit der Amtsenthebung, die er dann auch durchsetzte.
Die Landeskirche war von nun an in zwei Lager gespalten. Die Fronten waren durch die Anhänger der NEDR, die immer mehr in grundsätzliche Opposition zu Glondys und Kirchenleitung gerieten, bestimmt. Darum mußte Glondys, seinem Gewissen verpflichtet und oft ganz auf sich gestellt, mit allen Mitteln gegen geplante Übergriffe der NEDR-Führung ins kirchliche Leben und schließlich gegen die praktizierte nationalsozialistische Ideologie kämpfen. Dabei wendete er sich auch gegen einen christlichen Glauben, der sich mit "neuheidnischen Irrlehren" vermischte. Dazu gehörte die Forderung nach einem "hel-dischen Jesus" ebenso wie das Verlangen nach "artgemäßem" Glauben, gegründet auf "Rasse, Volkstum und Nation".
Glondys' selbstbewußtes Auftreten gegen derartige Auffassungen veranlaßte den "Völkischen Beobachter" vom 25. August 1934, ihn und den Landeskirchenkurator Dr. Hans Otto Roth als "Verräter an der deutschen Sache" darzustellen. Die alltäglich inszenierten Angriffe der NEDR-Führung gegen die Kirchenleitung schreckten die Mehrheit der Pfarrer und der Mitglieder der Kirchengemeinden auf.
Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachtete Glondys die Tendenz der Erneuerungsbewegung, die darauf zielte, die Kirchenleitung ihrer ideologischen Auffassung anzupassen. Diese Praktiken veranlaßten ihn, die Mitglieder des Landeskonsistoriums in der Sitzung vom 2. März 1934 auf die Mißstände aufmerksam zu machen. Er bewirkte, daß das Landeskonsistorium dem Rundschreiben Z. 1268/1934 zustimmte, in dem den Angestellten der Kirche und Schule sowie den Mitgliedern der kirchlichen Körperschaften empfohlen wurde, ihre "parteimäßigen Bindungen zur NEDR sowie zu anderen Parteien und Bewegungen zu lösen". Dieses energische Durchgreifen veranlaßte die NEDR-Führung zu einer Vereinbarung mit dem Landeskonsistorium, die im Rundschreiben Z. 1486 vom 16. März 1934 bekanntgegeben wurde. Die NEDR verpflichtete sich, "an die Mitglieder der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien keine Forderungen zu richten, die mit der kirchlichen Verkündigung oder mit den aus der Kirchenordnung und den Vorschriften der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien fließenden Verpflichtungen im Widerspruch stehen". Alle Angestellten der evangelischen Landeskirche mußten eine Erklärung abgeben, in der sie erklärten, "daß sie Anordnungen, die im Widerspruch mit der vorliegenden grundsätzlichen Vereinbarung stehen, für sich nicht anerkennen...". Die oben angeführten Rundschreiben wurden an alle Bezirkskonsistorien, Bezirksdekanate, Presbyterien (Kirchenräte), Pfarrämter, an das Diasporapfarramt sowie an die Leitungen der Schulen mit dem Ziel geschickt, sie den kirchlichen Angestellten bekanntzugeben.
Eine bestimmte Anzahl von Pfarrern und Lehrern war aber in der Folgezeit nicht bereit, auf Konfrontationskurs zur nazistischen Erneuerungsbewegung zu gehen. Sie blieb zu Kompromissen geneigt, auch als die Bewegung versteckte Eingriffe in die Rechte der Kirche erhob. Statt der energischen Auseinandersetzung mit importierten Methoden und Zielen nationalsozialistischer Politik aus Deutschland, die Bischof Glondys immer wieder forderte, beließen diese es bei einem gleichgültigen Verhalten. Man dürfe das kirchliche Leben nicht gefährden und noch mehr erschweren, lautete ihr Argument. Geistliche wie Konrad Möckel, Stadtpfarrer von Kronstadt, und Dr. G. W. Seraphin, Pfarrer in Rosenau, u.a., die immer wieder auf eine entschiedenere Politik drängten, waren die Ausnahme.
Die Erfolgsmeldungen Deutschlands, die in allen deutschen Tageszeitungen im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien abgedruckt wurden, trugen in einem wesentlichen Maße dazu bei, daß die NEDR immer mehr an politischem Gewicht gewann, was zur Fol-ge hatte, daß sich innerhalb dieser nazistischen Bewegung ein radikaler und ein gemäßigter Flügel bildete. Fabritius, Führer der NEDR, gehörte dem gemäßigten Flügel an. Ihm ging es in erster Linie darum, die Unabhängigkeit seiner Bewegung durch Eingriffe aus dem Reich zu verteidigen, was zum Einschwenken der alten Führungskräfte beitrug, weil diese den Zwist innerhalb der Volksgruppe und mit Bischof Glondys beilegen wollten. Der gemäßigte Flügel der NEDR schloß sich mit dem gemäßigten Flügel der Konservativen um Dr. Hans Otto Roth am 29. Juni 1935 in dem "Verband (Volksgemeinschaft) der Deutschen in Rumänien" (VDR) zusammen. Fritz Fabritius übernahm den Vorsitz des neuen Verbandes. Der radikale Flügel um Dr. Alfred Bonfert, Dr. Waldemar Gust, Herwart Scheiner und Fritz Cloos gründete am 14. Juli 1935 die radikal-nazistische "Deutsche Volkspartei in Rumänien" (DVR). In der Folgezeit entbrannte zwischen den beiden politischen Gruppierungen (VDR und DVR) ein heftiger Kampf um die Ausübung der Führung innerhalb der deutschen Volksgruppe in Rumänien und spaltete daher die deutsche Bevölkerung in zwei entgegengesetzte Lager, was sich negativ auf das geistige und kulturelle Leben der Deutschen auswirkte.
Am 14. Januar 1936 traf die evangelische Landeskirche A. B. mit dem Volksrat der Deutschen in Rumänien eine Vereinbarung bezüglich der Durchführung des "Volkspro-gramms der Deutschen in Rumänien" aus dem Jahr 1935. Der Volksrat verpflichtete sich, "die Eigenständigkeit (Autonomie) der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien" sowie die "Kirchenordnung" anzuerkennen und zu respektieren. Die radikal-nazistische DVR jedoch nahm gegen die Kirchenführung und ganz besonders gegen Bischof Glondys eine aufwieglerische Haltung ein, was diesen veranlaßte, aufrührerische Pfarrer und Lehrer sowie Kandidaten und Studierende der Theologie und des Lehramtes, die Mitglieder der DVR waren, laut Rundschreiben Z. 924 vom 14. Februar 1936 ihres Amtes zu entheben, falls diese ihre Zugehörigkeit zur DVR nicht lösten. Bevor Glondys sich zur Amtsenthebung entschloß, regte er ein seelsorgerisches Gespräch mit den Betroffenen an, um diese von ihrem Irrweg abzuhalten. Einige Betroffene widersetzten sich dem "Verbot der Zugehörigkeit zu politischen Gruppen und Parteien" und einem Gespräch und wurden somit aus ihrem Amt entfernt. Diese schlossen sich nun in der "Kampfgemeinschaft der enthobenen Angestellten" innerhalb der DVR zusammen und sagten der evangelischen Landeskirche einen offenen Kampf an. Die Kampfgemeinschaft berief eine "Ordenswo-che" in Großschenk ein, wo sich deren Mitglieder zur "neuen Kirche" im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung bekannten und daher in die Geschichte der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien als die sechzehn Apostel der "neuen Kirche" eingingen.
Die "Kampfgemeinschaft" nutzte das Disziplinarverfahren aus und führte, unterstützt von der DVR-Führung, eine intensive Verleumdungspropaganda gegen Glondys und die Kirchenleitung durch. In den Kirchengemeinden begann sie, werbende Vorträge zu halten, und gleichzeitig sammelte sie Unterschriften gegen das Rundschreiben Z. 924/1936. Die obere Kirchenleitung - und ganz besonders Glondys - rief alle verantwortungsbewußten Deutschen auf, für die Lokalisierung dieser Nazihetze entschlossen einzutreten.
Obwohl Bischof Glondys Pfarrer und Lehrer sowie Mitglieder des Landeskonsistoriums warnte, ließen sich diese vom scheinheiligen Verhalten der nazistischen Gruppierungen (DVR und VDR) täuschen, weil diese sich immer wieder zur Kirche bekannten.
Die Warnung, sich nicht in die tagespolitischen Probleme einzumischen, war innerhalb der evangelischen Landeskirche nichts Neues. Bereits vor der Jahrhundertwende forderte Bischof Friedrich Teutsch die Geistlichen auf, sich der angeregten Auseinandersetzung zwischen den "Schwarzen" und den "Grünen" fernzuhalten. Die Anwendung und Durchführung des Rundschreibens des Landeskonsistoriums Z. 924/1936 war daher nichts Ungewöhnliches, sondern ein Gebot der Stunde, um die Kirche vor den Übergriffen der nazistischen Erneuerungsbewegung zu schützen. Trotzdem gab es eine breite Schicht von Geistlichen und Lehrern, die eine klare Stellungnahme im Kampf zwischen Kirche und Erneuerungsbewegung zu vermeiden versuchten. In der Tat stand es in völligem Widerspruch zu den Traditionen des Luthertums, der staatlichen (öffentlichen) Obrigkeit widersprechen zu müssen. Es war aber ein weiter Weg vom herkömmlichen Untertangehorsam des frommen Luthertums bis zum Widerstand gegen die nationalsozialistischen Gruppierungen DVR und VDR. Darum versuchte die Mehrheit, einen völligen Bruch mit der VDR zu vermeiden; gegen die Hetzkampagne der DVR wurde jedoch Front gemacht. Doch mit den Jahren mußten immer mehr Gläubige, Theologen wie Laien, einsehen, daß eine scharfe Trennung von Kirche und Volksgemeinschaft, von der täglichen Politik und der Religion, angesichts des Totalitätsanspruchs der nationalsozialistischen Ideologie und somit auch der DVR und VDR, eine Illusion war.
Daß die rivalisierenden politischen Gruppen in ihrem oppositionellen Verhalten der Kirche gegenüber manchmal auch unsachliche Argumente vorbrachten und daher in manchen Situationen Unklarheit herrschte, war für die damalige Zeit charakteristisch.
Die innervölkischen Auseinandersetzungen beanspruchten Glondys nicht vollständig. Während eines Vortrages vor dem "Bürgerabend" in Hermannstadt am 7. Februar 1936 und einem Bürgerabend in Hammersdorf bei Hermannstadt im April nahm er zur Lage der Landeskirche Stellung. Er versuchte, den Anwesenden die für die Landeskirche in Frage kommenden Gesichtspunkte und die daraus resultierenden Aufgaben deutlich zu machen. Zuerst wies er auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Kirche und auch auf die Erfolge während seiner Amtszeit hin. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dem Schulwesen und der Autonomie der Kirche. Dabei stellte er sich ganz auf den Boden der volkskirchlichen Überlieferung und nahm eine entschlossene Haltung gegen den politischen Zwist, der sich negativ auf die Deutschen Siebenbürgens auswirken würde, sowie gegen Pfarrer und Lehrer, die in der Jugenderziehung das Bekenntnis zum Christentum ablehnten und es als eine "undeutsche" und "widerdeutsche Sache" darstellten, ein. Er erklärte, die Volkskirche könne solche Zustände nicht dulden, weil sie sich dadurch selbst aufgeben würde.
"Beziehungen zu gewissen Gruppen", die gegen die Kirche agierten, müßten abgebrochen werden. Glondys wies auch nachdrücklich darauf hin, daß eine Kirche nicht auf Dauer aufrechterhalten werden könne, wenn sie sich bloß als eine Einrichtung zum Schutz von volksorganisatorischen Problemen und Formen verstehen würde. Er versäumte auch nicht, die überspitzten Formulierungen des völkischen Gedankens anzusprechen, und sagte auf dem Gemeindeabend in Hammersdorf, daß innerhalb der evangelischen Landeskirche ungarische und slowakische Glaubensbrüder auch Heimatrecht hätten. Danach sprach er die Arbeit und die Aufgaben des internationalen Protestantismus und dessen Verbände an, die zur äußeren Festigung der evangelischen Kirchen beitrügen. Die evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien, die innerhalb dieser Verbände eine wichtige Aufgabe zu erfüllen habe, sei auf die "zusammengeschlossene Kraft des Christentums in der Welt" angewiesen und gleichzeitig aufgefordert, in den großen Weltverbänden des evangelischen Christentums mitzuarbeiten.
Ausgehend von dieser Einstellung sagte Glondys während eines Vortrages vor der Honterusgemeinde unter anderem folgendes: "Es ist eine Torheit, wenn gegenüber der zusammengeballten Kraft der organisierten Gottlosenbewegung von seiten der Kirche nichts geschieht, abgesehen davon, daß es eine Pflichterfüllung ist. Nun wird unsere Kirche verleumdet, sie arbeite mit an einer neuen Internationale. Nein, sondern sie arbeitet mit an der großen Front des Christentums gegenüber der organisierten Gottlosigkeit. Das ist die Wahrheit. Und ich kann hinzufügen, die kleine Sachsenkirche war berufen, diese Front entscheidend zu fördern. Die großen Solidaritätskundgebungen von 80 Millionen Lutheranern und von 180 Millionen Protestanten sind erfolgt über Anregung der kleinen Sachsenkirche. Und in diesen großen Verbänden muß das Wesen und die Aufgabe des volkskirchlichen Aufbaues erörtert und dem Verständnis nahegebracht werden. Die Arbeit in diesen Verbänden trägt nicht nur dazu bei, uns in den Blickpunkt einer nach Hunderten von Millionen zählenden Protestantenschar zu rücken, uns Schutz zu geben, sondern auch dazu, das Bündnis für die Pflicht einer evangelischen Kirche gegenüber dem Volk zu wecken und Assimilierungsbestrebungen gegenüber aufzutreten."
So hatte die Kirche gleichzeitig auf dem geistigen Gebiet gegen das nationalsozialistische Neuheidentum, das besonders von Geistlichen, die der radikal-nazistischen DVR nahestanden, vertreten wurde, und auf dem politischen Sektor gegen Amtsanmaßungen von Führungspersönlichkeiten der DVR und VDR zu kämpfen. Trotz dieser hemmenden Tendenzen innerhalb der Volksgruppe können die Jahre 1937/1938 als Höhepunkte in Glondys Bischofsaktivität, aber zugleich auch als seine schwersten bezeichnet werden.
Ein Höhepunkt seiner Bischofskarriere war die 36. Landeskirchenversammlung vom Juli 1938. In seiner Eröffnungsansprache konnte Glondys mit Genugtuung darauf hinweisen, daß unter seiner Regie die "Unbotmäßigkeit" im wirtschaftlichen Bereich "gegen-über den selbstgegebenen kirchlichen Ordnungen, die stellenweise geradezu schon in eine Anarchie im Taxenwesen übergegangen war", beseitigt werden konnte. Die Schulden der Landeskirche konnten "in diesen fünfeinhalb Jahren von über 37 Millionen Lei auf etwa 12,5 Millionen Lei" gesenkt werden. "Die früheren jährlichen Fehlbeträge von 5 bis 6 Millionen Lei sind seit einer Reihe von Jahren völlig verschwunden." In seiner Ansprache ging er auch auf die Schwierigkeiten bei der Sammlung der Kräfte innerhalb der Volkskirche ein und betonte: "Was das Ausschlaggebende ist, ist die innerliche Bejahung der Volkskirche als Kirche um der entscheidenden Bedeutung ihrer Botschaft willen, also die seelisch-geistig-glaubensmäßige Verbundenheit mit ihr, das Werden einer wirklichen Glaubensgemeinschaft auf dem Boden des Evangeliums. Denn ohne diese Glaubensgemeinschaft gibt es überhaupt keine Kirche, sondern höchstens eine ihres eigentlichen Geistes entkleidete völkische Organisation neben anderen."
Als großer Erfolg der Landeskirchenversammlung kann auch die Kundgebung des Gauobmanns Dr. Helmut Wolff gewertet werden, der das "kirchliche Arbeitsprogramm" des Freundeskreises um Fritz Fabritius (VDR) bekanntgab. Somit wurde ein wesentlicher Schritt auf dem Wege der Sammlung der Kräfte um die Kirche getan, der jedoch von nicht langer Dauer sein sollte.
Die Arbeiten an einem kirchlichen Schulungsheim in Heltau, das der volksmissionarischen Arbeit im südosteuropäischen Raum dienen sollte, standen ebenfalls vor der Fertigstellung. So konnte die Landeskirchenversammlung auf eine Anzahl von Erfolgen hinweisen und beschloß auch eine Reihe von Vorschriften für die innere Ordnung des kirchlichen Lebens, die längere Zeit ihre Rechtsmäßigkeit beibehalten sollten.
Ein prüfender Blick in die auswärtigen kirchlichen Ereignisse dieser Jahre läßt die evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien in einem helleren Licht erscheinen, vor allem im Vergleich zur evangelischen Kirche in Deutschland, wo im Jahr 1937 der Kirchenkampf seinen Höhepunkt fand: Kollektenverbot für die Bekennende Kirche, Schließung freier theologischer Hochschulen, weitere Verhaftungen von Pfarrern und Kirchenjuristen wegen angeblichen Ungehorsams gegen die Staatsgesetze. Am 1. Juli 1937 wurde Pastor Niemöller verhaftet. Er sollte bis Kriegsende trotz wiederholter kirchlicher Fürbitte nicht mehr auf die Kanzel zurückkehren. Dieses Einschreiten setzte der deutschen evangelischen Kirche gewisse Schranken, so daß ihre Vertreter an der Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937 nicht teilnehmen konnten. Die evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien wurde jedoch vom Kronstädter Stadtpfarrer, Dr. Konrad Möckel, vertreten. Da in der Entschließung der Konferenz gegen die Kirchenführung in Deutschland schwere Vorwürfe erhoben wurden, wurde die Teilnahme der Kirche durch Pfarrer Möckel von der radikal-nazistischen DVR heftig angegriffen. In einem Aufsatz in der "Deutschen Tageszeitung" vom 8. August 1937, Seite 3, warf Herwart Scheiner die Frage auf, "warum die evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien den seit Jahrhunderten bewährten geistigen Gleichschritt mit der Deutschen Evangelischen Kirche heute verrät". Glondys hielt dem entgegen und verwies auf die Zustimmung der Teilnahme der evangelischen Landeskirche durch das kirchliche Außenamt der evangelischen Kirchen Deutschlands in Berlin.
Die evangelische Landeskirche in Rumänien wurde nun vor die Frage gestellt, ob sie von nun an den Weg der Bekenntniskirche in Deutschland einschlagen solle. Da aber die Bekennende Kirche in Deutschland gegen staatliche Zwangsmaßnahmen kämpfen mußte, die den Zweck verfolgten, die evangelische Kirche in Deutschland unter Kontrolle zu bringen und gefügig zu machen, waren derartige Tendenzen von seiten des rumänischen Staates nicht zu spüren.
Ein weiterer Umstand, der nicht außer acht gelassen werden darf, war die verworrene Lage im deutschen Kirchenkampf. Glondys erkannte diese und entschloß sich, die evangelische Landeskirche A. B. in Rumänien und die anderen auslandsdeutschen evangelischen Kirchen von einer zielstrebigen Parteinahme fernzuhalten. Für diese Haltung sprach auch das Abkommen mit der VDR-Führung vor der 36. Landeskirchenversammlung, das nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Glondys ging daher von der Annahme aus, daß "Weltanschauung" und religiöser Glaube streng zu unterscheiden seien. Weil aber der Nationalsozialismus den Totalitätsanspruch der "Weltanschauung" beanspruchte, wurde die Unterscheidung in der darauffolgenden Zeit in Frage gestellt.
Da die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Gruppen und der evangelischen Landeskirche immer wieder neu entbrannten und der Streit immer heftiger wurde, sah Glondys sich in seiner Eigenschaft als Bischof gezwungen, schlichtend einzugreifen. Die Notwendigkeit dieses Eingreifens leitete er aus der christlichen Grundposition ab, daß die Kirche an die Stelle der Volksführung treten muß, wenn diese zu wenig an Ordnung und Recht verwirklicht. Seine diesbezüglichen Bestrebungen konnte er in seiner Amtszeit zum Teil in die Tat umsetzen.
Als aber in der zweiten Jahreshälfte 1940 eine gänzlich neue politische Konstellation entstand und Andreas Schmidt von der SS-Zentrale Berlin Ende September 1940 als neuer Volksgruppenführer der Deutschen in Rumänien eingesetzt wurde, änderte sich die Situation. Bereits bei der Gründung der NSDAP der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (NSDAP der DVR) am 9. November 1940 verkündete Schmidt, daß die neue Partei, die auf Druck Hitlerdeutschlands per Dekret von der faschistischen Antonescu-Regierung als juristische Person des öffentlichen Rechtes anerkannt wurde, der alleinige Willensträger der Deutschen Volksgruppe in Rumänien sei. Daß Glondys nicht mehr in dieses machtpolitische Konzept hineinpaßte, war verständlich. Seine Widersacher, mit Pfarrer Staedel und den sogenannten Aposteln der "neuen Kirche" an der Spitze, waren nun am Zuge und zögerten keinen Moment, Glondys von seinem einflußreichen Amt zu beseitigen und ihn wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie und deren Einfluß ins kirchliche Leben zu demütigen.
Mit Andreas Schmidt kamen die "extremen" Nationalsozialisten an die Macht, deren Ziel es war, alle früheren bewährten Politiker zu beseitigen und die deutsche Volksgruppe gleichzuschalten. Da die Nationalsozialisten nun auch im Landeskonsistorium die Entscheidungsgewalt erobert hatten und Glondys sie in ihren kirchenfeindlichen Entscheidungen gebremst hätte, wird deutlich, warum er als Bischof ausgeschaltet werden mußte.
Nach seiner Rückkehr aus dem Krankenurlaub (30. November 1940) lehnte er eine ultimative Aufforderung (9. Dezember 1940) des Gauleiters von Siebenbürgen, Dr. Helmut Wolff, sein Bischofsamt niederzulegen, ab. Daraufhin erschien am 11. Dezember, um 12:30 Uhr, Stabsführer Andreas Rührig bei Glondys und legte diesem im Namen Andreas Schmidts nahe, sein Amt freiwillig niederzulegen, andernfalls sehe sich der Volksgruppenführer zu einer zwanghaften Amtsenthebung genötigt. Da er sich dem Verlangen Schmidts, der die Funktion eines Nazi-Verwalters im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien zu erfüllen hatte, nicht widersetzten konnte, legte Glondys mit widerwilliger Zustimmung sein Amt nieder.
Dazu sagt Irmgard Glondys: "Die Intervention von Dr. Hans Otto Roth, mit der er meinem Schwiegervater zusetzte, vom Bischofsamt zurückzutreten, hat dabei eine wesentliche Rolle gespielt."
Mit der Einsetzung Staedels, des Kulturamtsleiters der radikal-nazistischen DVR, als Bischof der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien (16. Februar 1941) begann eine der dunkelsten Perioden in der Geschichte der evangelischen Landeskirche. Die Kirche wurde zum Handlanger einer nazistischen Volksgruppenführung und verlor somit ihre Eigenständigkeit. Mit Unterstützung der Kirche wurden die deutschen evangelischen Kirchengemeinden in Rumänien ebenso wie in Deutschland politisch entmündigt und entrechtet und damit zu Untertanen gemacht. Schmidt, der in Deutschland im Geiste des Nationalsozialismus geschult worden war, schaltete Individualismus, Liberalismus und Demokratie aus. Die großen Werte und Ideale der demokratischen Einstellung der Siebenbürger Sachsen sowie die Idee der Humanität, für die sich Glondys in seiner Amtszeit eingesetzt hatte und sich auch nach 1941 einsetzte, fanden bei Schmidt und seinem Nazi-Stab kein Verständnis. Dieses zeigt, daß sowohl für Schmidt wie für jene, die seine Nazipläne ausführten, der Wille bestand, sich der menschenfeindlichen Ideologie des Nationalsozialismus unterzuordnen. Wie diese Unterordnung mobilisiert wurde und welche verheerende Form sie dann annahm, wurde von einem ganzen Esemble von Faktoren be-stimmt: materielle, situationsbedingte, strategische und ideologische, die Glondys in seinem Tagebuch ausführlich darstellt und entwickelt.
Die Volksgruppenführung ergriff, was Glondys' Entfernung aus dem Bischofsamt anbelangte, widersprüchliche Maßnahmen. Das geschah vermutlich mit der Absicht, den wahren Grund der Amtsbeseitigung zu vertuschen. Glondys wurde sogar eine angemessene Pension und eine Ehrenzulage versprochen; nach eigenen Aufzeichnungen hat er sie jedoch nie erhalten.
Welche Richtung die neue Kirchenführung mit Bischof Staedel einschlug, geht aus einer Ansprache, die dieser bei einem Amtsbesuch beim Volksgruppenführer Andreas Schmidt machte (vgl. Fußnote 591 und Bild auf Seite 343), hervor. Nach der Anlegung des Bischofskreuzes am 23. März 1941 sagte Staedel unter anderem: "Wie wirklichkeitsnahe sind die Worte des Führers: 'Mein christliches Gefühl weist mich hin auf meinen Herrn und Heiland als Kämpfer [...] Als Christ [...] habe ich die Verpflichtung, ein Streiter zu sein für die Wahrheit und für das Recht'. Der Querbalken des Kreuzes bedeutet somit nicht das 'Nein' der Unfruchtbarkeit, sondern das 'Nein' des Kämpfers wider alle dunklen Mächte, geboren aus dem 'Ja' des Glaubens an ein besseres und höheres Leben. [...] Da stürmt der Kämpfer - wie gerade auch heute - oft mit der Waffe in der Hand todtrotzend voran und wehrt sich bis zum letzten Hauch. Die Frau wartet in tätiger Treue zu Hause, und wenn ihr Liebster im Sturme fällt, dann kommt für sie auch bei stolzer Trauer ein geduldiges Stillhalten unter der wuchtigen Hand des Schicksals. [...] Und wenn sie einem Kinde zum Dasein hilft, so ist das wieder leidendes Heldentum."
Staedel und die Nazi-Clique um Andreas Schmidt gingen so weit, daß sie Glondys öffentliche Auftritte untersagten, weil sie befürchteten, er könne ihnen gefährlich werden. Nur einige konservativ und liberal denkende Bürger aus Kronstadt und Hermannstadt, die auf Glondys Seite standen, waren von Anfang an gegenüber der Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt skeptisch eingestellt; aber auch sie zogen sich nach 1941 immer mehr in die innere Emigration zurück. Nur in Anwesenheit Glondys wurden politische und religiöse Ereignisse sowie Lebensumstände kritisch kommentiert. Angesichts des augenscheinlichen Erfolges Nazideutschlands hatte auch diese letzten Anhänger eine Art Lähmung befallen, und so mußte Glondys sein schweres und erniedrigendes Schicksal alleine durchstehen.
Als dann der rumänisch-alliierte Waffenstillstand und das offizielle Ausscheiden Rumäniens als deutscher Kriegspartner in der Königsproklamation vom 23. August 1944 bekanntgegeben wurden und die sowjetischen Truppen kurz darauf nach und nach Rumänien besetzten, sah Glondys als rechtmäßig gewähltes bischöfliches Oberhaupt der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien den günstigen Zeitpunkt für gekommen, das Bischofsamt wieder anzutreten. Dies teilte er in einem Schreiben dem Kultusministerium mit und richtete gleichzeitig einen "Hirtenbrief" (9. Oktober 1944) an alle Gemeinden der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien. Darin zog er eine kurze Bilanz der verhängnisvollen Politik der nazistischen Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt und der Kirchenleitung unter Bischof Staedel (1941-1944) und wies darauf hin, daß diese das "Heiligste" antasteten: "unseren evangelischen Glauben. Er wurde in Versammlungen und Schulungen verächtlich gemacht. Das Bekenntnis zum evangelischen Christentum wurde Gegenstand des Spottes. [...] Die Kirchenleitung hat aber die Umkehrung dieses christlichen Maßstabes nicht nur geduldet, sondern strengste Maßnahmen zur Sicherung dieser unchristlichen Haltung getroffen".
Im weiteren forderte Glondys alle Christen der evangelischen Landeskirche auf, am "Wiederaufbau" mitzuwirken, um das gestörte "Verhältnis zum Staat wieder in Ordnung" zu bringen.
Sein berechtigter Versuch, im Herbst 1944 das Bischofsamt in der neu entstandenen politischen Situation wieder anzutreten, scheiterte wieder an heimlichen Ränken gegen ihn, die untersucht werden müßten, um Klarheit in diese politische Verwirrung zu bringen. Trotzdem steckte Glondys nicht zurück und entfaltete auch als "Altbischof" eine rege geistige Tätigkeit. Er gründete 1945 die "Lutherakademie" in Hermannstadt und nahm somit seinen "Lieblingsgedanken" auf, "die biblisch-reformatorische Wahrheit dem Denken der Gegenwart nahezubringen. Ebenso sammelte er um sich einige Pfarrer, mit denen er die sonntägliche Verkündigung besprach und ihnen dafür wertvolle Gedanken vermittelte."
Für Glondys war die Kirche folglich mehr als nur gesittete Erbaulichkeit, die dafür zu sorgen habe, daß sich am guten Alten nichts ändere. Die Kirche mußte seines Erachtens ein Ort sein, an dem klare Entscheidungen getroffen werden. Darum haßte er Intrigen und Beratungen von Verschwörern und trat derartigen Tendenzen im kirchlichen Bereich, die in seiner Amtszeit immer wieder zu beobachten waren, entschieden entgegen. Klare Entscheidungen und nicht vermessene Pläne zum Volksaufbau und die Aufforderung zum Gehorsam zu Gott waren für Glondys charakteristisch.
Als es galt, das evangelische Bekenntnis den ideologischen Angriffen gegenüber reinzuhalten, zögerte Glondys keinen Moment, diesen bedeutenden Schritt zu tun. Er betonte immer wieder, daß "satanische Mächte" am Werk seien, die die Ordnung der evangelischen Landeskirche zu untergraben versuchten. Darum müsse die Kirche ihrer Pflicht und Berufung nachkommen, den Gläubigen die Augen zu öffnen, indem man ihnen verständlich mache, daß es innerhalb der Erneuerungsbewegung Menschen gebe, die der kirchlichen Verkündigung gegenüber nicht das geringste Verständnis aufbringen würden. Mit derartigen Worten signalisierte er die drohende Gefahr der Nazibewegung und lehrte, man müsse bereit sein, die wahre Kirche zu sehen. Als Bischof der Ev. Landeskirche A.B. in Rumänien hat sich Glondys - wie im Tagebuch naturgemäß aus sehr persönlicher Sicht dargestellt - durch entschiedene Abwehr der nationalsozialistischen "Erneuerungsbewe-gung" unter den Deutschen Rumäniens hervorgetan.
Die fehlende Erwähnung des Bischofs, der immerhin als einer der wenigen gegen den Nationalsozialismus agierte, im Begleitheft zur Ausstellung "850 Jahre Siebenbürger Sachsen" erscheint aus heutiger Sicht unverständlich. Ein nur unzulängliches Bild konnte ebenfalls Ludwig Binder von D. Dr. Viktor Glondys skizzieren. Er verschließt sich der Zeit vom Herbst 1932 bis zum Frühjahr 1942 und läßt damit eines der wichtigsten Kapitel unberücksichtigt. Mit der Äußerung: "Der nachdenkliche Betrachter ist versucht, das Geschehen dieser achteinhalb Jahre als ein Drama darzustellen, in dem die einzelnen Akteure unter bestimmten vorausgegebenen Notwendigkeiten handeln und in mehrere, einander sich widersprechenden Kraftfelder hineingeraten, in denen sie sich zu verlieren scheinen. V. Glondys macht dabei keine Ausnahme. Sein Verzicht aufs Bischofsamt trägt im tiefsten Sinne tragische Züge" gibt er den Weg für Angriffe und Spekulationen frei.
Das vorliegende Tagebuch beweist, daß eine einseitige Darstellung der Entwicklung sowie die der darin verstrickten Personen nicht ausreichen kann. Darum braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Schriftsteller und Ideologe der deutschen Mission in Südosteuropa, Heinrich Zillich, in einer Rezension Binder Oberflächlichkeit in der Darstellung der Bischöfe D. Dr. Viktor Glondys und Friedrich Müller vorwirft. Zwar geht Zillich in seiner Rezension weiter in die Tiefe, dennoch entstellt er auf unzulängliche Weise die geschichtlichen Tatsachen. Ohne Quellenangabe würdigt er Glondys herab und bescheinigt dem "Donnerstag-Abend" Stammtischfreunden von Glondys, [...] "keine geistige Idee, wie sie beim 'Freitagabend' und dem 'Klingsorkreis'" anzutreffen seien, entwickeln zu können (S. 225). Zudem verfälscht Zillich den bereits geschilderten Vorfall während der Volksratssitzung am 22. Januar 1934, bei dem Glondys die Sitzung wegen Anschuldigungen seiten der Nazis verließ. Zillich beschreibt diese Situation ausschließlich aus der Sicht der Nationalsozialisten und macht sich damit des gleichen Vergehens schuldig, das er Binder vorwirft: Oberflächlichkeit. Zillich, der sich als Kenner der Geschichte der Deutschen in Rumänien ausgibt, macht in deren Deutung grobe Fehler. Auf Seite 277 schreibt er: "Müller und Glondys [...] gehörten, wie Staedel der 'Nationalen Arbeitsfront' (NAF) der Volksgruppenführung Andreas Schmidt an." Glondys hat nie der NAF des Volksgruppenführers Andreas Schmidt angehört, wie Zillich behauptet. Solche und andere grobe Unterstellungen, die in seiner Rezension anzutreffen sind, müssen daher revidiert werden.
Eine politische Kultur verändert und entwickelt sich, so wie sich die deutsche politische Kultur seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland verändert hat. Bei der älteren Generation der Siebenbürger Sachsen jedoch, die fast alle in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westlichen Staaten leben, hat noch keine umfassende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stattgefunden. Auch aus wissenschaftlicher Sicht sind - nicht zuletzt wegen bislang fehlender Quellen - noch viele Forschungsfragen offen. In der Auseinandersetzung mit den Ereignissen der Zeit, die von totalitären Ideologien geprägt war, geht es nicht um das Aussprechen einer Kollektivschuld. Es ist allerdings meines Erachtens befremdend, daß die Siebenbürger Sachsen nach dem NS-Debakel, das sie immerhin um Hab und Gut brachte, nicht nach den Schuldigen gefragt haben.
Wenn die deutschen Geschichtsschreiber nach 1945 sich die Frage stellten, wie ein Kulturvolk wie das deutsche einem Mann wie Hitler verfallen konnte, und bemüht waren, darauf eine Antwort zu geben, so muß man auch die Siebenbürger Sachsen fragen, wie sie einer fanatisierten Clique um Andreas Schmidt ihr Vertrauen schenken konnten. Diese deutsche Volksgruppe, die allen Stürmen der Vergangenheit die Stirn geboten hatte, gab diesmal alles auf und wagte es auch nach 1945 nicht, diejenigen, die sie in die tiefste Katastrophe ihrer Geschichte gestürzt hatten, zur Verantwortung zu ziehen. Der Historiker stellt sich hier die Frage: "Warum?"
Dinklage, am 16. Januar 1997 Dr. Johann Böhm

Biographische Daten
Viktor Glondys wurde am 7. November 1882 in dem heute zu Polen gehörenden schlesischen Biala bei Bielitz geboren. Sein Vater Joseph Glondys (1834-1906) und seine Mutter Johanna waren wie seine vier Geschwister katholisch und deutscher Abstammung. Glondys besuchte von 1889 bis 1893 die deutsche Volksschule in Biala und von 1894 bis 1901 das staatliche Obergymnasium im gleichen Ort.
Am 27. Juni 1902 nahm er sein Studium an der Universität in Graz auf, wo er 1903 zum evangelischen Glauben konvertierte. Dies geschah in einer Zeit, in der in Österreich Übertritte vom Katholizismus zum Protestantismus üblich waren. Für seinen Übertritt gab Glondys zwei Gründe an: die Beschäftigung mit Luthers Kleinem Katechismus und der Besuch eines evangelischen Sonntagsgottesdienstes mit der Predigt des Seniors Eckart, die ihn tief beeindruckte. Dieser Übertritt sollte von nun an seinen weiteren Studiengang wesentlich bestimmen.
Nach drei Semestern in Graz studierte Glondys Theologie an der evangelischen theologischen Fakultät der Universität Wien, wobei sein Interesse für das Philosophiestudium nicht abnahm. Evangelische Theologie und philosophische Grundideen ergänzten sich zu einer Einheit, für die Glondys in beispielhafter Weise bis zu seinem Lebensende 1949 lebte.
Seine Amtsprüfung bestand er im Ausbildungsjahr 1906/1907. Von 1907 bis 1909 war er Personalvikar und Religionslehrer des Pfarrers von Eisenau und arbeitete und predigte in verschiedenen verstreuten Gemeinden des Buchenlandes. Am 1. Dezember 1909 trat er sein Amt als Personalvikar des Czernowitzer Stadtpfarrers Robert Fronius (Siebenbürger Sachse) und Religionsprofessor an. Die Landesuniversität bot ihm einen umfangreichen Wirkungskreis, so daß er hier zu rumänischen, polnischen, ukrainischen und jüdischen deutschsprachigen Akademikern Kontakt aufnahm. Am 1. Februar 1912 wurde Glondys zum Stadtpfarrer in Czernowitz berufen. Im Februar 1913 heiratete er die Hofratstochter Alice Mayer, die ihm am 3. November 1913 einen Sohn (Kurt) gebar. Die Heirat mit Alice ermöglichte es ihm, persönliche Kontakte zum Czernowitzer Bürgertum herzustellen.
In Graz promovierte er 1916 zum Dr. phil. und 1931 in Breslau zum Dr. theol.
Während des Ersten Weltkrieges war er Flüchtlingsseelsorger in den österreichischen Alpenländern, von wo er nach Kriegsende wieder nach Czernowitz zurückkehrte. Wie seinen Tagebuchaufzeichnungen zu entnehmen ist, hatte Glondys an der Anschlußerklärung der Deutschen des Buchenlandes an Großrumänien vom 27. Oktober 1918 großen Anteil. 1919 war Glondys als Privatdozent an der Czernowitzer Universität tätig, wo er Vorlesungen über Geschichte der Philosophie und Erkenntniskritik hielt. Durch den Anschluß des Czernowitzer Senoriats an die siebenbürgisch-evangelische Landeskirche und durch die in Hermannstadt eingerichteten Hochschulkurse machte er die Bekanntschaft mit führenden Siebenbürger Sachsen.
Am 23. April 1922 wurde er mit 87 von 157 Stimmen zum Stadtpfarrer von Kronstadt gewählt und am 8. Juni in sein Amt eingeführt. Wegen seiner rhetorischen Begabung und seiner geistreichen Auseinandersetzungen mit den Themen der Zeit erfreute er sich bald großer Beliebtheit in Kronstadt.
Von 1930 bis zu seiner Wahl zum Bischof der evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien am 14. November 1932 war er Bischofsvikar. Seine Tätigkeit als Bischof von 1932 bis 1941 war von Höhen und Tiefen gekennzeichnet, die er mit erstaunlicher Sachlichkeit und Akribie in seinen Tagebuchaufzeichnungen festgehalten hat.
Der erzwungene Rücktritt am 9.2.1941 durch die nationalsozialistische Volksgruppenführung unter Andreas Schmidt und die Behandlung dieses Bischofs bis Kriegsende brachen Glondys Willen nicht, sich für das volkskirchliche Erbe und die Kulturaufgabe der Kirche einzusetzen. Sein Anliegen war und blieb, das lutherische Bekenntnis gegen Verfälschungen und unsachliche Angriffe zu verteidigen.
Nach dem 23. August 1944 versuchte Glondys unter den neuen und harten Bedingungen in Rumänien, sein Bischofsamt wieder anzutreten, wobei er nach kurzer Zeit jedoch scheiterte. Auch als "Altbischof" entfaltete er eine unermüdlich geistige Tätigkeit, indem er die "Lutherakademie" in Hermannstadt gründete. Am 28. Oktober 1949 starb Glondys an einem Herzschlag und schied als "Wahrheitszeuge" aus einer Welt, die durch Wirren und Erniedrigungen der Deutschen in Rumänien gekennzeichnet war. (AdLEKR, Index 1939, S.15, Grundzahl 1159, Personaldaten des Bischof Glondys für den Kultusminister; vgl auch: Lexikon der Siebenbürger Sachsen, Wort und Welt Verlag, Thaur bei Innsbruck, 1993, S. 151)
Auswahl seiner Werke: Einführung in die Erkenntnistheorie I. Wien/Leipzig 1923; Zur Problematik des christlichen Gottesglaubens, 1929; Das Gewissen als Erkenntnisquelle, in: Zeitschrift für systematische Theologie 13 (1936), S. 652-681; Predigtbuch: Auf ewigem Grunde, Verlag von Krafft & Drotleff AG, Hermannstadt 1933 u.a.
E d i t o r i a l
Die Aufzeichnungen von Bischof D. Dr. Viktor Glondys, die in einem 392 Seiten umfassenden stenographischen Tagebuch in Gabelsbergerscher Kurzschrift festgehalten sind, wurde von seiner Ehefrau Alice Glondys nach 1954 in Normalschrift in acht Hefte übertragen. Nach ihrem Tod nahm der Sohn, Kurt Glondys, das Original und (nur) sieben Hefte mit den handschriftlichen Übertragungen in Besitz. Als Kurt Glondys 1987 starb, übergab seine Ehefrau Irmgard Glondys das Original samt den sieben Heften Fritz Breckner, der dann das Material an Karl M. Reinerth weiterleitete. Dieser fotokopierte das Tagebuch und die Übertragungen in Normalschrift und leitete das Originaltagebuch samt den Fotokopien der sieben Hefte an die Siebenbürgische Bibliothek in Gundelsheim weiter. So wie besprochen, schickte Reinerth Irmgard Glondys am 28.11.1988 die sieben Hefte wieder zurück. Da die Siebenbürgische Bibliothek in Gundelsheim für die fehlenden 29 Seiten des Originals keinen Kenner der Gabelsbergerschen Kurzschrift fand und Dieter Braeg, Stiefenkel von Glondys und Mitherausgeber, an einer Veröffentlichung dieses sehr wichtigen Tagebuches interessiert war, besorgte er sich eine Kopie der 29 Originalseiten in Gabelsbergersche Kurzschrift und entdeckte schließlich jemanden, der ihm die Seiten in Normalschrift übertrug. Von 1992 bis zum 12.04.1993 schrieb er alles mit der Maschine ab. Daraus entstand ein 792 Seiten langes (1,5zeilig) Typoskript, das er dann zu veröffentlichen versuchte. Nach vergeblichen Versuchen beim "Südostdeutschen Kulturwerk" und bei der "Siebenbürgischen Bibliothek" in Gundelsheim, das Tagebuch zu veröffentlichen, übergab er mir das Typoskript, das ich bearbeitete und im AGK-Verlag herausbrachte.
Um dem Leser Geschichtsereignisse, die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Gruppen im deutschen Siedlungsgebiet von Rumänien (NSDR, NEDR, DVR, VDR und Konservativen) und der Kirche, Namen von Personen und Ortschaften, Äußerungen von Personen, Tagungen, Sitzungen und Versammlungen sowie kirchliche und politische Maßnahmen, die im Tagebuch angesprochen werden, verständlich zu machen, werden diese in den Fußnoten anhand von Quellenmaterial und zeitgenössischer Literatur erläutert.
Als das wichtigste deutsche Quellenmaterial erwiesen sich die Akten des Archivs des Landeskonsistoriums der evangelischen Landeskirche A. B. in Hermannstadt/Rumänien, die des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes Bonn, die Restbestände der Akten der Volksdeutschen Mittelstelle und des Reichsnährstandes im Bundesarchiv Potsdam sowie die des rumänischen Staatsarchivs Bukarest und Hermannstadt. Wertvolle Informationen zu Glondys Aufzeichnungen konnten aus den "Kirchlichen Blättern", dem "Siebenbür-gisch-Deutschen Tageblatt", der "Südostdeutschen Tageszeitung", der "Kronstädter Zeitung", der "Deutschen Tageszeitung" und dem "Völkischen Beobachter" entnommen wer-den. Hilfreich waren mir auch Veröffentlichungen des "Arbeitskreises für siebenbürgische Landeskunde" wie: Bischof Friedrich Müller, Erinnerungen 1944-1964, bearbeitet von Hannelore Baier, Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 1995; Ludwig Binder und Josef Scheerer, Die Bischöfe der evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen, II. Teil: Die Bischöfe der Jahre 1867-1969, Böhlau Verlag, Köln, Wien, 1980, S. 111-149, aus denen Schlüsse auf Glondys' Handeln und die gegen ihn geschmiedeten Ränke gezogen werden konnten.
Da meine Ehefrau und ich bei den Recherchen im Archiv des Landeskonsistoriums der evangelischen Landeskirche A. B. in Hermannstadt gezielt nach einschlägigem Quellenmaterial für die Ausführungen Glondys' suchten, stießen wir auf Mappen, die im Index mit den betreffenden Dokumenten eingetragen, jedoch leer waren. So ist z. B. Index 1938, in dem wertvolle Dokumente notiert waren, die die radikal-nazistische DVR-Führung im Kampf gegen die Kirche belasten könnten, spurlos verschwunden. Im folgenden werden einige Angaben über die anderen fehlenden, jedoch eingetragenen Dokumente aufgeführt:




IndexSeite

Kapitelüberschrift
Grundzahl desDokumentes
1937307

Landeskonsistorium 
Landesjugendtag - Kirche und Jugend
178Bündel 3160 u. 3202
667VDR - Bündel 1488, 538516
237

Jahresberichte
Jahresberichte der Sekundarschulen 1936/37

2645, 2870, 3870
1939435

VDR
Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Landeskirche und völkischer Jugendorganisation
Mappen: 2922, 3097, 3018

 1274
194017

Bischof der Landeskirche
Pensionsgesuch des Bischofs Glondys, Mappe: 2844

1148
283

Landeskirchenversammlung
38. Landeskirchenversammlung (Einberufung)
Ergänzung der Disziplinarvorschrift Z. 2503 - Entwurf

28742876
194117

Bischof der Landeskirche
Bischof D. Dr. Glondys' halbamtliche Korrespondenz.
Porträt des Bischofs D. Dr. Glondys.
Bischof D. Dr. Glondys' Anfrage an die deutsch-
evangelische Kirche, betr.: Rücktritt; (die ganze Mappe ist leer - Anm. J.B.)
Bericht über Glondys' Vorsprache bei Vizeministerpräsident M. Antonescu.
Angriffe gegen Pfarrer Dr. G. W. Seraphin.

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Kirchenordnung
Entwurf einer Kirchenordnung für die ev. Landeskirche A. B. in Rumänien
1790
403

VDR
Einstellung des Jugendbund-Blattes

189 u.a.
Auch die öffentlichen Schreiben Z.K. 1662/43 und Z.K. 3574/43, die das Landeskonsistorium an Glondys aufgrund seiner Beschwerdeschreiben wegen der Nichtrespektierung der Pensionsbezüge richtete, sind aus dem Archiv verschwunden.
Die zeitgeschichtlichen Dokumentationen und Einzeldarstellungen erbrachten zahlreiche Aufschlüsse über die politischen Gruppen innerhalb der deutschen Minderheit in Rumänien und ergänzten somit die Aufzeichnungen Glondys' und das Quellenmaterial.
Die Dissertationen von Wolfgang Miege: "Das Dritte Reich und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1933-38", Herbert Lang Verlag, Bern, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, 1972 und Johann Böhm: "Das Nationalsozialistische Deutschland und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936-1944", Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, Bern, New York, 1985; die Beiträge von Hans Wolfram Hockl: "Offene Karten, Donauschwäbische Beiträge", Eigenverlag 1980; "Deutscher als die Deutschen", Eigenverlag 1987; "Offenheit hat überzeugt", Pro Vobis Verlag, Metzingen, 1990, das Buch von Karl M. Reinerth und Fritz Cloos: "Zur Geschichte der Deutschen in Rumänien 1935-1945. Beiträge und Berichte", Verlag der Arbeitsgemeinschaft für südostdeutsche Volks- und Heimatforschung, Bad Tölz, 1988 sowie Karl M. Reinerth: "Zur politischen Entwicklung der Deutschen in Rumänien 1918-1928. Aus einer siebenbürgisch-sächsischen Sicht", Wort und Welt Verlag, Thaur/Tirol, 1993 sowie die Beiträge von Vasile Ciobanu und Constantin Draghici, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde, 16. Band, Heft Nr. 1/1973, S. 79-83, geben einen Einblick in die Verhaltensweisen einiger nationalsozialistischer Politiker und in den Widerstand der deutschen Minderheit gegen die nationalsozialistische Politik im Siedlungsgebiet.
Wichtige politische Einzelfragen auf erweiterter Quellengrundlage behandeln die Monographie von Harald Roth: "Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919-1933", Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien, 1994, die Beiträge von Cornelius Zach: "Der Status der Siebenbürger Sachsen in Rumänien - Gesetzliche Verankerung und Wirklichkeit 1919-1933", in: Aspekte ethnischer Identität. Ergebnisse des Forschungsprojekts: "Deutsche und Magyaren als nationale Minderheiten im Donauraum", Hrsg. Edgar Hösch/Gerhard Seewann, München, Oldenbourg, 1991, S. 233-255 und Anton Sterbling: "Die Entwicklung der ethnischen Konflikte und Beziehungen in Rumänien im 20. Jahrhundert", in: Die Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa, Bd. 1. Hrsg. Gerhard Grimm/Krista Zach, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München, 1995, S. 297-311.
Anhand des angegebenen Quellenmaterials lassen sich eine Vielzahl der persönlichen Ereignisschilderungen anschaulich nachvollziehen. Die vorliegenden Tagebuchaufzeichnungen bieten daher einen hervorragenden Einblick in die kirchliche und politische Entwicklung der Deutschen in Rumänien. Das vorliegende Tagebuch bereichert die Informationen über das Zeitgeschehen ganz besonders und kann daher für Historiker von besonderer Bedeutung sein.
Problematisch bei der Bearbeitung des Typoskriptes waren einige Namen, die nicht korrekt übertragen wurden und daher eine eingehende Recherchearbeit in Anspruch nahmen. Mit Hilfe der von Gustav Arz zusammengestellten "Series Pastorum" (Manuskript), des "Lexikons der Siebenbürger Sachsen", Wort und Welt Verlag, Thaur bei Innsbruck, 1993 sowie dem Werk von Mads Ole Balling: "Von Reval bis Bukarest", Dokumentation Verlag, Kopenhagen, 1991, Bd. 2, ist es uns gelungen, Namen und Lebensdaten der im Tagebuch erwähnten Pfarrer und Lehrer und anderer Persönlichkeiten der deutschen Minderheit Rumäniens zu identifizieren.
Namen und Lebensdaten der Kirchenhäupter aus Österreich konnten wir zum Teil aus dem "Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon", Herzberg, 1993, entnehmen. Zur Identifizierung der Namen und Lebensdaten der deutschen Kirchenhäupter dienten uns die "Stenographischen Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933-1955", Bd. 1, bearbeitet von Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen, Göttingen, 1985; das "Evangelische Lexikon für Theologie und Gemeinde", Bd. 2, Hrsg. Helmut Burkhardt u. a., Wuppertal, 1993; das Buch von Erich Stockhorst: "5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich". Arndt Verlag, Kiel, 1985; das "Wörterbuch des Christentums", Hrsg. Volker Drehsen, Gütersloher Verlag, 1988 und das "Ökumene-Lexikon", Hrsg. Hanfried Krüger u. a., Frankfurt am Main, 1987. Auch aus "Der Große Brockhaus", Jubiläumsausgabe, F.A. Brockhaus Verlag, Wiesbaden, 1979 sowie "Meyers Enzyklopädischen Lexikon", 9. Auflage, Bibliographisches Institut, 1971, konnten wir Namen und Lebensdaten der im Tagebuch erwähnten Personen entnehmen.
Die Funktionen der wichtigsten Personen im Tagebuch werden in den Fußnoten und nicht im Personenregister angeführt. Wenn im Tagebuch Informationen über Personen und deren Funktionen gegeben werden, finden sie in den Fußnoten keine Erwähnung mehr.
Der Text des Typoskriptes wurde nicht verändert. Lediglich unvollständige, bruchstückhafte Passagen wurden sinngemäß ergänzt sowie einzelne Sätze an das heutige standardschriftliche Niveau angepaßt. Inhaltliche Änderungen wurden dadurch nicht vorgenommen.
Die jeweiligen Aufzeichnungsdaten, die nur selten mit dem Namen des Ortes, an dem sie niedergeschrieben wurden, versehen waren, sind unverändert wiedergegeben worden. Auch beim Quellenmaterial, das im Anhang abgedruckt ist, wurden keine Korrekturen vorgenommen.
Statt "Lutherischer Weltkonvent" verwendet Glondys auf den Seiten 116, 130, 162, 222, 227, 334, 335, 337 und 468 den Ausdruck "Protestantischer Weltverband". Diese Bezeichnung wurde auch von der damaligen deutschen Presse im Siedlungsgebiet übernommen. Im vorliegenden Tagebuch haben wir diese Benennung nicht geändert.
Bei der schwierigen Materialbeschaffung standen mir folgende Institutionen mit Rat und Tat zur Seite, denen ich auf diesem Wege noch einmal meinen aufrichtigen Dank aussprechen möchte: Das Archiv des Landeskonsistoriums der evangelischen Landeskirche A. B. in Hermannstadt/Rumänien (Frau Savescu); das Staatsarchiv Hermannstadt (Frau Vlaicu); das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (Frau Dr. Keipert); das Bundesarchiv Potsdam und das Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart. Mein besonderer Dank gilt auch Dr. Rudolf Keller vom Martin-Luther-Bund Nürnberg und Waltraud Stangl, Archivarin der evangelischen Kirche in Österreich, für ihre Hilfe in Einzelfragen über evangelische Kirchenhäupter in Deutschland und Österreich.
Besonders habe ich meiner Frau (Hildegard Böhm) für die mit mir durchgeführten Recherchearbeiten und das entgegengebrachte Verständnis zu danken.
Dinklage, am 16. Januar 1997
Dr. Johann B ö h m
(Die Fußnoten und Anmerkungen wurden weggelassen.)
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