Operativer Vorgang "Interpretul"[Aktualisiert: 17. 4. 2012, 12:50 h]
Mein Gedicht "k und k epochenbilder", das zuerst in der "Neuen Literatur", Nr. 4/1974, und später dann auch in meinem Gedichtband "die vergesellschaftung der gefühle" (Kriterion Verlag, Bukarest 1980, S. 20) veröffentlicht wurde, hat "Gruia" in seinem Bericht vom 12. Oktober 1974 als "irredentistisch" bezeichnet (vgl. ACNSAS, I 210845, vol. 2, ff. 21-22. Hier das Originaldokument.).
Damit lieferte er der Securitate das gewünschte Stichwort, auf das sich der Geheimdienst berief, um gegen mich den zweiten operativen Vorgang [Dosar de urmărire informativă - D.U.I.] am 14. November 1974 unter dem Namen "Interpretul" zu eröffnen.
Der erste operative Vorgang gegen mich wurde am 21. Januar 1971 unter dem Namen "Muzicologul" eröffnet und am 29. Juni 1971 geschlossen. (Vgl. ACNSAS, I 210845, vol. 1, Bl. 1.)
Der zweite operative Vorgang wurde nie geschlossen, d.h. er wurde auch nach meiner Ausreise am 15. März 1987 bis im Dezember 1989 - als das Regime gestürzt wurde - weitergeführt. Die gesamte Akte wurde im Archiv des Securitatenachfolgegeheimdienstes, dem Rumänischen Nachrichtendienst (S.R.I.) im April 1995 auf Mikrofilm gesichert. (Vgl. ACNSAS, I 210845, vol. 3, Bl. 106.)
"Gruia", den ich 1971 persönlich noch gar nicht kannte, taucht bereits damals in meiner Akte mit einer ausführlichen Analyse meiner Texte auf, die ich als 17- oder 18-Jähriger Schüler geschrieben habe. Wann und wie die Securitate in den Besitz dieser unausgereiften, juvenilen Texte gekommen ist, weiß ich nicht und ist den Akten auch nicht zu entnehmen. Beim Lesen der Interpretationen von "Gruia" habe ich die einzelnen Texte zuerst nicht wieder erkannt, erst als ich auf den Titel meines ersten in der "Neuen Banater Zeitung" vom 6. März 1970 veröffentlichten Gedichtes, "Das Ende der Reise" stieß, gab ich mir Rechenschaft, dass es sich um meine frühen lyrischen Versuche handelt. Diese in der Handschrift von "Gruia" verfasste Analyse umfasst mehrere doppelt beschriebene Seiten und ist nicht datiert, so dass der Entstehungszeitpunkt nicht genau bestimmt werden kann. (Vgl. ACNSAS, I 210845, vol. 1, Bl. 24-28.)
"Gruia" (Kennziffer 21146) taucht in meiner Akte - im operativen Vorgang "Interpretul" - unter diesem Namen zum ersten Mal am 20. Juli 1974 mit einem Bericht über die Aktionsgruppe auf. (Vgl. ACNSAS, I 210845, vol. 2, Bl. 11-11v.)
"Gruia", von dem es in einigen Interneteinträgen (z. B. in Wikipedia, wo er als "Verfasser von Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen und Drehbüchern" präsentiert wird) heißt, er sei "1974 von der rumänischen Geheimpolizei Securitate verhaftet worden", habe danach "19 Monate im Gefängnis" verbracht und "konnte" 1977 "in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen, lieferte der Securitate Dutzende von vertraulichen Informationen. Die Offiziere aus Temeswar und jene aus der Hauptabteilung 1 (direcţia 1) aus der Bukarester Zentrale, die "Gruia" psychologisch und nachrichtendienstlich instruierten, wie er sich mir als Freund annähern und sich mein Vertrauen erschleichen sollte, schätzten die in seinen Berichten enthaltenen Informationen als operativ äußerst wertvoll ein.
1974-75 muss es in der Zusammenarbeit tatsächlich eine Zäsur gegeben haben, was aus einer Anmerkung (vom 14. August 1976) von Oberstleutnant Nicolae Pădurariu hervorgeht. Darin heißt es in einem Nebensatz und ohne weitere Erklärungen, man habe 1975 auf die Mitarbeit von "Gruia" verzichtet ("abandonat în 1975"). (Vgl. ACNSAS, I 210845, vol. 2, Bl. 107-108.)
Tatsache ist, dass "Gruia", der bis dahin unter der Kennziffer 21146 in den Akten geführt wurde, am 16. Oktober 1975 in meinem Dossier unter einer neuen Kennziffer - 3665 - mit einem Bericht (Nr. 3) auftaucht. Die laufende Zahl dieses 3. Berichtes entspricht nicht mehr der vorherigen Nummerierung (Vgl. seinen 88. Bericht vom 12. Oktober 1974 und dann den Bericht Nr. 3 vom 16. Oktober 1975 - ACNSAS, I 210845, vol. 2, Bl. 21-22 bzw. ACNSAS, I 210845, vol. 2, Bl. 61-63.)
Der klaffenden Lücke von Oktober 1974 bis Oktober 1975 entspricht ein Zeitraum von rund einem Jahr. Das heißt, die im Internet angegebene Haftzeit von "Gruia", von 19 Monaten (also einem Jahr und 7 Monaten) kann so nicht der Wahrheit entsprechen.
In der Zeit von 1975 bis 1977 hatte "Gruia" den nachrichtendienstlichen Auftrag, sich in erster Linie mit Ortinau und mit mir zu beschäftigen.
Übrigens hat "Gruia" der Securitate auch für die Eröffnung des operativen Vorgangs gegen Gerhard Ortinau (D.U.I. "Titan") die entscheidenden Informationen geliefert (vgl. "Raport", 17. 09. 1976, gez. von Securitatemajor Rudolf Köpe, ACNSAS, I 233471, vol. 1, Bl. 105-105v).
Die Einzelheiten der äußerst aktiven Tätigkeit "Gruias" lassen sich anhand der Berichte, Maßnahmenpläne und Analysen fast vollständig rekonstruieren. Auch seine Identität, denn mitunter waren bei bestimmten Vorgängen weitere inoffizielle Mitarbeiter anwesend. In solchen Doppelberichten tauchen die Klarnamen aller Anwesenden auf. (Ähnliche Doppelberichte gibt es auch zu "Voicu", der nach der Ausreise von "Gruia" 1977 dessen Rolle übernehmen sollte und sie bis im März 1983, als er ebenfalls in die Bundesrepublik übersiedelte, mit Erfolg gespielt hatte.)
William Totok
Anhang:
Aus den beiden veröffentlichten Fassungen des Gedichtes „k und k epochenbilder” (1974 und 1980) wurde der Untertitel („ein staatsgedicht nach adam müller-guttenbrunn”) von der Zensur gestrichen.
k und k epochenbilder
und die kunde flog von tisch zu tisch
daß diese dirnen nicht liebten
ihre niederlage ist dadurch auch die unsere geworden
dieses ärgernis muß beseitigt werden
wenn sich der geist nach befruchtung sehnt
aber das wollte er nicht hören der unfehlbare
das mag für den regierenden gelten
nicht aber für den mitläufer
das war sein evangelium
es werden andere zeiten kommen
aber der schwerpunkt wird noch lange
bei den soldaten liegen
internationaler adel aus der kk armee
saß dort
ohne fühlung mit dem volk
es wurde viel von der russischen reise
bei der tafel gesprochen
... daß wir hier im zentrum
des trajanischen dacien stehen...
ich werde reisen so oft und so lange
es mir beliebt
maria theresia war gestorben
eine weltgeschichtliche epoche
sank mit ihr ins grab
auch das dogma
die eherne grenze für alles denken
auch das geschreibsel
es werden andere zeiten kommen
eine schonzeit war geboten
genug von diesem hokuspokus
dichten und reden auch wir
Anexă:
Din cele două versiuni ale poeziei „k und k epochenbilder” [kakania - tablou de epocă], (Neue Literatur Nr. 4/1974 şi volumul „die vergesellschaftung der gefühle” [socializarea sentimentelor], Editura Kriterion, Bucureşti, 1980, p. 20) cenzura a eliminat subtitlul: „o poezie de stat după adam müller-guttenbrunn”. Reproducem aici textul în traducerea lui Andrei Ujică, realizată probabil după manuscrisul original, în anul 1974.
kakania - tablou de epocă
(o poezie de stat)
circulă printre mese vestea
că tîrfele astea n-au iubit niciodată
decăderea lor este şi decăderea noastră
e enervarea care trebuie înlăturată
dacă spiritul doreşte să fecundeze
iată un lucru de care nici nu vroia să audă cel infailibil
asta fiind valabil pentru potentaţi
nu şi pentru cei care cîntă ca alţii
ce ziceţi de evanghelia lui
vor veni alte timpuri
greul însă va apăsa încă multă vreme
pe umerii soldaţilor
pajura multinaţională chezaro-crăiască
e cocoţată acolo
fără legătură cu poporul
la masă s-a mai vorbit mult
şi despre experienţa rusă
... fiindcă sîntem azi în centrul
daciei traiane...
voi călători oriunde
după bunul meu plac
maria theresia a murit
şi o întreagă epocă
a intrat cu ea în mormînt
chiar şi dogma
chiar şi revolutele graniţe dintre principii
scribălăii la fel
vor veni alte timpuri
un timp al cruţării s-a oferit
dar destul cu scamatoria asta
de poetizat şi de trăncănit
sîntem şi noi în stare
Weitere Infos:
Allgemeine Zeitung Mainz, 20.2.2010;
Ebenda
Ebenda
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.2.2010
Ebenda
Allgemeine Zeitung Mainz, 22.2.2010
Deutschlandfunk, 22.2.2010 AUDIO ---- TEXT
Muzeul Naţional de Istorie, Bucureşti, expoziţie, aprilie-iunie 2011 |
MINISTERULUI DE INTERNE
Exemplar unic
1. Notă dactilografiată.