Unruhen am Rande Europas
Die Republik Moldau steht vor einer demographischen Zerreißprobe, nachdem Bukarest beschlossen hat, den Moldauern die rumänische Staatsbürgerschaft anzubieten
William Totok
Die Regierung in Bukarest hat in einer Dringlichkeitssitzung beschlossen, die Einbürgerung für Bewohner der Republik Moldau zu erleichtern. Das hatte zuvor der rumänische Präsident Traian Basescu in einer Rede vor dem Parlament in Bukarest angekündigt.
Mehr als eine halbe Million Moldauer, sollen in den letzten Jahren Anträge auf die rumänische Staatsbürgerschaft gestellt haben.
Der Regierungsbeschluss sieht vor, dass alle Moldauer sowie deren Nachkommen bis zur 3. Generation, die vor 1945 die rumänische Staatsbürgerschaft hatten, diese auf Wunsch wieder erlangen können. Gleichzeitig, heißt es weiter, dürfen sie auch weiterhin ihr alte - moldauische - Staatsbürgerschaft behalten und können ihren Wohnsitz frei festlegen, d.h. auch nach Rumänien umsiedeln.
Die Muttersprache von mehr als der Hälfte der 3,3 Millionen Einwohner der Moldau ist Rumänisch. Die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete Sowjetrepublik Moldawien setzte sich aus der östlichen rumänischen Provinz Bessarabien und Transnistrien zusammen. Das zwischen der Moldau und der Ukraine liegende Transnistrien, wo eine slawischsprachige Mehrheit lebt, hatte sich Mitte der 1990-er Jahre zum selbständigen Staat erklärt, der völkerrechtlich jedoch nicht anerkannt wurde. Die Abspaltung Transnistriens von der Moldau wurde als eine Gegenmaßnahe zu den Wiedervereinigungsbestrebungen mit Rumänien begründet.
Nachdem die frühere Sowjetrepublik Moldawien 1991 ein unabhängiger Staat wurde, versuchten tatsächlich moldau-rumänische Nationalisten die Vereinigung mit Rumänien zu forcieren. Die Folge davon war ein zweijähriger Bürgerkrieg, in dem Russland die transnistrischen Separatisten strategisch und militärisch unterstützte. Dieser bis heute schwelende Konflikt bestimmt nach wie vor das politische Leben in der Moldau und ist außerdem eine der Hauptursachen, für die gewalttätigen Demonstrationen der letzten Tage. Obwohl die drei Oppositionsparteien, die den Einzug ins Parlament geschafft haben, nicht vordergründig eine Vereinigung verfolgen, gelten sie in weiten Teilen der außerparlamentarischen pro-rumänischen Opposition als geheime Hoffnungsträger für die Wiedererrichtung eines Großrumänien in seinen Grenzen von 1939.
In seiner Rede hat das rumänische Staatsoberhaupt die Vorwürfe seines kommunistischen Amtskollegen Voronin aus der Moldau zurückgewiesen, Rumänien habe die gewalttätigen Unruhen angezettelt, um die Moldau zu destabilisieren und sich deren Gebiet einzuverleiben.
Nach den Parlamentswahlen vom 5. April in der Moldau, bei denen die regierenden Kommunisten als Sieger hervorgegangen sind, kam es zu gewaltsamen Protesten. Das Parlamentsgebäude wurde in Brand gesteckt, die Kanzlei des Staatspräsidenten gestürmt und von randalierenden Demonstranten verwüstet. Während der Ausschreitungen wurden etwa 300 Personen verletzt. Einige Hundert Teilnehmer kamen in Polizeigewahrsam, wo sie brutalen Misshandlungen ausgesetzt sind. Drei Jugendliche sind an den Folgen der Torturen gestorben.
Die Opposition beschuldigte die Kommunisten einen „Staatsstreich" angezettelt zu haben, um auf diese Weise die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen zu kaschieren und ihre Macht zu legitimieren. Als versierter Verschwörungstheoretiker entpuppte sich auch Präsident Voronin, der in rumänischen Regierungskreisen die Drahtzieher für die Unruhen vermutete. Seinen nebulösen Anschuldigungen folgten konkrete Maßnahmen: die Ausweisung des rumänischen Botschafters aus der Moldau und die Abberufung des moldauischen Botschafters aus Bukarest.